Ironie hat in der Pädagogik eigentlich nichts verloren. Denn wenn z. B. Martin Wagenschein zum „Frontalangriff auf das Scheinwissen“ seiner Schülerinnen und Schüler bläst, dann selbstverständlich „ohne Ironie!“ [1] Als ein „professioneller Pädagoge“ weiß Wagenschein schließlich, „was geschieht“, wenn er „ein leistungsschwaches Kind lächerlich macht, wenn er ironisiert“ [2]. Dass Ironie ihre „Opfer“ oft „erbittert“ und man sie daher gerade beim Unterricht, „bei welche[m] man [ja] mit Offenheit und Nachsicht“ vorzugehen habe, nicht anwenden dürfe, wird seit dem 18. Jahrhundert regelmässig betont [3]. Abgesehen davon, dass Ironie ein durchaus probates Mittel sein kann, unwirsche Reaktionen hervorzurufen, liegt eine weitere Schwierigkeit der Ironie für die Pädagogik darin, dass sie nicht ganz leicht zu erkennen ist. So erweist sich nach Sören Kierkegaard das Unterfangen, Ironie festhalten zu wollen, als „zumindest ebenso mühselig wie der Versuch, einen Kobold abzubilden mit der Kappe, die ihn unsichtbar macht“ [4].
Dass es sich für die Pädagogik trotzdem lohnen könnte, über einen solchen flüchtigen „Kobold“ nachzudenken, auch wenn seine Bekanntschaft wahrscheinlich nicht nur angenehm sein wird, zeigt der Sammelband „Ironie in der Pädagogik“. Reizvoll ist dabei nicht allein das Thema, sondern auch die methodische Vielfalt, mit der versucht wird, dem flüchtigen Gnom „Ironie“ auf die Spur zu kommen. So legen etwa Britta Hoffarth und Paul Mecheril ihrer Untersuchung Pädagogen-Witze zu Grunde, dank derer sie eine Ehrenrettung der Ironie unternehmen. In der Erziehung könne Ironie nämlich auch eine ebenso willkommene wie vergnügliche „Einladung zum Spiel mit der Bedeutung“ und zur „Reflexion“ sein (40).
Diesem Plädoyer stimmt auch Andreas Gruschka zu, dessen empirische Forschung ihn sogar die zunächst überraschende Behauptung wagen lässt, dass beim Unterricht von achten Klassen der Sekundarstufe „Ironie eines der bedeutungsstärksten und am häufigsten verwandten kommunikativen Stilmittel von Lehrern darstellt und auch Schüler bevorzugt zu ihr greifen, wenn sie sich kritisch zum Unterricht verhalten wollen“ (122).
Es gehört mit zu den Vorzügen des Bandes, dass man ihn nicht aus den Händen zu legen braucht, wenn man nach Belegen für Gruschkas These sucht. So untersuchen Georg Breidenstein und Sandra Rademacher verschiedene Beispiele von Ironie im Unterricht, die zu „einer karnevalesken Transzendierung“ der „Schulordnung“ führen (140). Die eingehende Analyse von zwei Unterrichtsbeispielen aus einer achten Gymnasialklasse lassen auch Andreas Wernet einen sehr ähnlichen Schluss ziehen. Allerdings betont Wernet, dass das Gelingen von Ironie im Unterricht riskant und unwahrscheinlich sei und sich ihr „pädagogisches Problemlösungspotential“ vor allem auf „situative Effekte der Entspannung“ beschränke (177, 179).
Die Vermutung, dass Ironie gerade in ihrer Funktion als kommunikativer Pausenhof „ein Moment von Bildungsprozessen“ ausmachen könne (51), vermag Christoph Koller an Biographien zu erhärten. Inwieweit ironische Formulierungen jedoch bereits selbst Zeichen eines „Vollzug[s] eines Bildungsprozesses“ darstellten, bleibt auch für Koller fraglich. Die Bedeutung der Ironie liegt auch für ihn vielmehr in ihrem „dynamischen Potential, ihrem Vermögen, bestehende Strukturen zu verflüssigen“ (63).
Dass Ironie starre Annahmen und Zuweisungen „dahinschmelzen“ lasse, hebt auch Fabian Dietrichs hervor, der Referendariatsberichte in einem Internetforum untersucht. Ironie erweist sich dabei als eine ergiebige Möglichkeit, mit dem „Strukturproblem“ „Referendariat“ umzugehen, „ohne es postwendend deutend zu schließen“ (160). Eine ganz ähnliche Taktik wählt auch ein wissenschaftlicher Artikel, der von Jens Rosch analysiert wird. Die Wahl der Waffe „Ironie“ scheint um so angebrachter zu sein, als es sich um eine Abhandlung über sokratische Gespräche handelt.
Der Sammelband bricht eine Lanze für die in der Pädagogik verkannte Ironie, die zwar nicht in der Theorie, aber immerhin in der Praxis viel öfters vorzukommen scheint, als man gemeinhin glaubt. Der Band zeigt auch, dass Ironie nicht unbedingt ein Anlass zu pädagogischer Bestürzung sein muss. In den Worten Alex Aßmanns, dessen Beitrag die avanciertesten definitorischen Anstrengungen unternimmt, Ironie zu bestimmen: Ironie kann auch in einer teilweise witzigen und erfrischenden „mitthematische[n] Erschliessungskompetenz- und Autonomiezumutung an den Adressaten“ bestehen (189). Trotz solcher Meriten kommen die verschiedenen Beiträge jedoch darin überein, dass es sich bei der Ironie in der Pädagogik nur um eine Art Lokalanästhesie oder gelungene Slapstick-Einlage handle.
Auf die grundlegenden Schwierigkeiten der Ironie, auf die in den Beiträgen wiederholt hingewiesen wird – Ironie ist eben nur schwierig zu erkennen („intuitiv“) (124) und kann eigentlich nur nachträglich vermutet werden –, gehen zwei Artikel ausführlicher ein. Dass Ironie in der Pädagogik somit nicht alleinempirisch und exemplarisch, sondern auch systematisch untersucht wird, ist ein weiteres Verdienst des Bandes.
Mit Hilfe Paul de Mans nimmt Jens Oliver Krüger die Beschreibung eines Vorfalls in einer Schule unter die Lupe, der dazu führte, dass ein „Pädagogischer Tag“ zur Ironie abgehalten wurde. Im Gegensatz zu den Bemühungen der Schule unterstreicht Krüger, dass es „unzureichend“ sei, Ironie allein als „strategisches Element in einem verbalen Schlagabtausch“ zu verstehen (100). Vielmehr zeige sich an den Ergebnissen des veranstalteten „Sondertags“ sowie an den anhaltenden Debatten über das Wesen der Ironie, dass es bei beidem eigentlich um die „unaufhebbare Widerständigkeit von Sprache selbst“ gehe, deren „Unverfügbarkeit“ allein ironisch einigermassen erträglich sei (97f).
Von dieser sprachphilosophischen Einsicht geht auch Christiane Thompson aus. In ihrem Beitrag analysiert sie zunächst Klaus Pranges „Zeigestruktur der Erziehung“ als ein pädagogisches „Symptom“, das sich bei fast allen modernen pädagogischen Theorien studieren ließe. Prange fasse nämlich „Zeigen“ schlicht intentional und rein funktional auf und lasse daher dessen „Vollzug“ „ausser Acht“. Wie jedoch Sprach- und Medienphilosophen detailliert nachgewiesen haben – und was jede Schulstunde vor Augen führt –, stehen jedoch gerade das „Zeigen“ und das Sprechen „nicht in der Verfügung der Zeigenden bzw. Sprechenden“ (69f). Thompson legt dann dar, wie im Gegensatz zur pädagogischen Tradition Sokrates sich „als Zeigender vielmehr selbst „einhält“, um ein „Zwischen“ freizugeben (78). Die Ungewissheit, ob Sokrates das wirklich tut und ob es dieses „Zwischen“ überhaupt gibt oder es nicht immer erst nachträglich entsteht, macht gerade den Reiz dieser Form echter, antiker Ironie aus, die Kierkegaard so schätzte. Das Prädikat „pädagogisch wertvoll“ erhielten dann mit Thompson nur noch Bestrebungen, die vermutlich notgedrungen selbst ironisch versuchten, den „Kobold abzubilden mit der Kappe, die ihn unsichtbar macht“.
[1] Martin Wagenschein (1968/5 2005): Verstehen lehren. Genetisch – Sokratisch – Exemplarisch. Weinheim, Basel: Beltz, S. 95.
[2] Dieter Lenzen (1994/4 2004): „Erziehungswissenschaft – Pädagogik. Geschichte – Konzepte – Fachrichtungen“. In: ders. (Hrsg.), Erziehungswissenschaft. Ein Grundkurs. Reinbek beim Hamburg: Rowohlt, S. 11–41, hier S. 16.
[3] Johann Wilhelm Schmid (1791): Katechetisches Handbuch. 1. Band. Regeln der Katechetik, Jena: Cuno, S. 113.
[4] Sören Kierkegaard (1841/1961): Über den Begriff der Ironie. Mit ständiger Rücksicht auf Sokrates. Düsseldorf, Köln: Diederichs, S. 10.
EWR 11 (2012), Nr. 1 (Januar/Februar)
Ironie in der Pädagogik
Theoretische und empirische Studien zur pädagogischen Bedeutsamkeit der Ironie
Weinheim: Juventa 2011
(224 S.; ISBN 978-3-7799-2242-1; 22,00 EUR)
Patrick BĂĽhler (Bern)
Zur Zitierweise der Rezension:
Patrick BĂĽhler: Rezension von: AĂźmann, Alex / KrĂĽger, Jens Oliver (Hg.): Ironie in der Pädagogik, Theoretische und empirische Studien zur pädagogischen Bedeutsamkeit der Ironie. Weinheim: Juventa . In: EWR 11 (2012), Nr. 1 (Veröffentlicht am 24.02.2012), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978377992242.html
Patrick BĂĽhler: Rezension von: AĂźmann, Alex / KrĂĽger, Jens Oliver (Hg.): Ironie in der Pädagogik, Theoretische und empirische Studien zur pädagogischen Bedeutsamkeit der Ironie. Weinheim: Juventa . In: EWR 11 (2012), Nr. 1 (Veröffentlicht am 24.02.2012), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978377992242.html