Die Forderung nach der räumlichen Öffnung der Schule hat eine lange Tradition. Die hierbei verwendeten Bezeichnungen und Konzepte variieren im internationalen wie nationalen Vergleich. Differenzen bestehen u.a. im Grad der Formalisierung oder den eingesetzten Methoden. Gemeinsam scheint den Ansätzen jedoch der Grundgedanke, dass Unterricht in der Schule durch authentische Lernkontexte und die Verbindung von eigenen Erfahrungen und ihrer Reflexion erweitert werden sollte.
In dem von Jakob von Au und Uta Gade herausgegebenen Sammelband stellt ein Autorenteam aus nationaler und internationaler Perspektive plausibel dar, „dass [und warum, J.B.] sich guter Schulunterricht unabhängig vom Alter oder vom Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler nicht ausschließlich innerhalb der Klassenzimmerwände abspielen sollte“ (11). So werden Entwicklungslinien, Erfahrungen, Forschungsbefunde und -bedarfe sowie Projekte zum Themengebiet Outdoor Education anschaulich und gut lesbar präsentiert. Der Band ist in zwei Teile, nämlich Perspektiven aus der Forschung und Perspektiven aus der Praxis, gegliedert, die zu Beginn durch einen Einführungstext eingeleitet und am Ende des Buches durch Informationen zu Sicherheits- und Rechtsfragen abgeschlossen werden. Adressaten sind vor allem (angehende) Lehrkräfte, aber auch Wissenschaftler. Fast jeder Beitrag beginnt mit Angaben zu den Autorinnen und Autoren und deren Bezug zum Thema, sodass Rückschlüsse zu Profession und Erfahrungsbasis möglich sind, und endet mit Hinweisen zur Vertiefung sowie Internetadressen.
In der Einführung gibt von Au einen grundlegenden Überblick zum Thema Outdoor Education. Hierbei stellt er u.a. die Problematik einer klaren Begriffsdefinition heraus, die auch in den nachfolgenden Kapiteln thematisiert und inhaltlich deutlich wird. Des Weiteren zeigt er Schwächen vorhandener Modelle zur theoretischen Rückbindung auf und geht auf die Bedeutung des Themas in Deutschland ein. In sechs Thesen begründet von Au schlüssig die Potentiale von Outdoor Education. Sein Beitrag regt zur eigenen Reflexion an, weil Fragen aufgeworfen werden. Zudem bietet er durch das „Outdoor Education-Windrosenmodell“ eine Basis für das Verständnis von Outdoor Education und einen Impuls für die Begriffsdiskussion an.
Der erste Teil des Buches beginnt mit drei Kapiteln, in denen aus internationaler Perspektive Entwicklungen und Forschungsergebnisse dargestellt werden. Das Autorenteam Telford, Beames und Christie gibt im ersten Kapitel einen guten Überblick zur Entwicklung von Outdoor Learning in Schottland, wo seit 2004 der Begriff Outdoor Learning den Terminus Outdoor Education ersetzt, da mit jenem ein veraltetes Konzept „von Bildung und Natur assoziiert wurde“ (44). Die Autoren machen mit ihren Ausführungen die Notwendigkeit der politischen Unterstützung, die es in Schottland gibt, für eine kontinuierliche Weiterentwicklung und Etablierung deutlich. Bentsen verwendet in seinem Beitrag (Kapitel 2) zum dänischen Konzept der „Udeskole“ sowohl den Begriff Outdoor Learning als auch Outdoor Education gleichermaßen. In Dänemark ist Outdoor Learning nicht gesetzlich vorgeschrieben, dennoch konstatiert er ein gestiegenes Interesse durch Ministerien, Schulen und andere Institutionen. Er gibt hierzu einen Einblick, verdeutlicht Besonderheiten des dänischen Schulsystems, geht auf die Überlegungen Jordets ein und benennt die Charakteristika der dänischen Outdoor Education im internationalen Vergleich. Die internationale Perspektive abschließend, stellt Morris kurz Outdoor Education in Iowa vor (Kapitel 3).
Die Kapitel 4 bis 9 thematisieren aktuelle Forschungsvorhaben, Forschungsergebnisse und Projekte in Deutschland. Das Modellprojekt „Draußenschule“ in seiner praktischen Umsetzung sowie der begleitenden Forschung ist Gegenstand der Kapitel 4 und 5. Erste Ergebnisse aus der mehrperspektivisch (Schüler, Lehrkräfte, Eltern) angelegten und durch Methodentriangulation gekennzeichneten Untersuchung werden vorgestellt. Vertieft wird dies durch die Darstellung von Fallporträts. Auf diese Weise bieten die beiden sich teilweise inhaltlich überschneidenden Artikel, die beide von Gräfe, Gillessen, Harring, Sahrakhiz und Witte stammen, einen aufschlussreichen Einblick u.a. in die Beweggründe von Lehrkräften einmal wöchentlich mit ihren Schülern die Schule zu verlassen. Überdies werden erste Perspektiven der Kinder auf die „Draußenschule“ aufgezeigt, sodass die Leserschaft unweigerlich auf die weiteren Ergebnisse der Studie gespannt ist. Anregungen, Überlegungen und Praxisbeispiele wie Studierende während ihres Studiums auf Outdoor Education vorbereitet werden können, stellen Lindner, Lindau und Finger vor (Kapitel 6). Ausgehend von einem kurzen Verweis auf Schwierigkeiten und Chancen des Draußenlernens geben Dettweiler und Becker (Kapitel 7) einen Überblick über ihre ersten Forschungsergebnisse bezüglich der Lernmotivation und Bewegungsaktivität von Kindern. An Interviewausschnitten illustriert, verdeutlichen sie den positiven Einfluss des Draußenunterrichts. Eine kurze, gleichwohl in diesem Kontext ausreichende Klärung wichtiger Grundlagen zum Thema Geocaching sowie hilfreiche Angaben zur Integration in den Unterricht und zur Erstellung eigener Geocaching-Touren bietet der Artikel von Kisser, Naumann und Siegmund (Kapitel 8). Der erste Teil des Bandes wird abgerundet durch den Beitrag von Brockmüller, Schuler, Volz und Siegmund, in welchem eine Klassifizierung von Lernorttypen im Rahmen der Outdoor Education und ein multiperspektivischer Zugang zu Inhalten dargestellt werden. Diese Ausführungen und deren Verdeutlichung an zwei Beispielen liefern Impulse für die theoretische Fundierung des Themas Outdoor Education.
Der zweite Teil des Buches beinhaltet 12 Kapitel, in denen anschaulich eine Vielzahl an Beispielen – vor allem zu naturwissenschaftlichen Themen und zur Bildung für nachhaltige Entwicklung – aus der Praxis überwiegend für den Sekundarbereich vorgestellt sowie Hinweise zur Umsetzung von Outdoor Education vermittelt werden. In ihrem Beitrag zum „Expeditionary Learning Alpine“ (Kapitel 1) geben Bley, Mayer und Lauterbach interessante Einblicke, wie Naturwissenschaft dort gelernt werden kann, „wo uns die Natur umgibt“ (130). Plappert verdeutlicht auf der Basis ihrer Beschreibung zu Veränderungen in der Landwirtschaft und dem menschlichen Zusammenleben, gesellschaftskritisch und engagiert, wie der Bauernhof zur Bildung für nachhaltige Entwicklung beitragen kann. Auch Brake, Istler und Kisser (Kapitel 9) zeigen, wie ein Nachhaltigkeitsprojekt kontinuierlich und auf der Basis guter Kooperationen ermöglicht werden kann. Reinl stellt recht kurz das Projekt „Auf den Spuren des Klimawandels“ (Kapitel 3) vor. Bauer fasst zu Beginn seines Beitrags Entwicklung und Ziele waldpädagogischer Einrichtungen (Kapitel 4) zusammen und schildert seine Erfahrungen beim dortigen Aufenthalt. Seine Ausführungen bieten konkrete Vorschläge für Lehrkräfte.
Durch Fakten des Geographieunterrichts inhaltlich fundiert, zeigen Schwab und Kammerer (Kapitel 5) die Grenzen von Modellen und die Bedeutung des Bezugs zum realen Objekt auf. Das Problem, welches hinter der häufigen Formulierung: „Wir machen einen Ausflug!“ steckt, arbeitet Jäkel in ihrem Artikel zum Schulgarten (Kapitel 6) heraus. Zudem gibt sie durch eine Checkliste Hinweise für eine erfolgreiche Schulgartenarbeit. Ergänzend hierzu stellt Puschner (Kapitel 8) das breite Spektrum an Kompetenzen, die bei der Schulgartenarbeit gefördert werden können dar. Paschold gibt in Kapitel 7 der Thematik Outdoor Education durch die Beschreibung von Lehrer-Landwirt-Tandems einen gewinnbringenden neuen Akzent: durch die Tandembildung verbessern sich „Nutzungshäufigkeit, curriculare Integration und methodische Umsetzung außerschulischen Lernens“ (207). Die Kapitel 10 und 11 richten den Fokus auf die Eingangsstufe bzw. auf den Primarbereich. Weiß gibt Einblicke in konkrete Beispielsequenzen einer „Draußenschule“. Quartier erweitert die bisherigen Beispiele durch die Beschreibung des wildnispädagogischen Ansatzes der Naturwerkstatt der Bielefelder Laborschule. Beachtenswert für das Konzept der Outdoor Education ist hier vor allem der Gedanke der „Freien Draußenzeit“ (239) und dessen Wirkung. Gade (Kapitel 12) fasst, basierend auf ihren Praxiserfahrungen, Ratschläge zur Einführung von Outdoor Education zusammen und führt Beispiele für die Unterrichtspraxis an.
Insgesamt bietet der Band nicht nur eine Vielzahl an interdisziplinären und internationalen Ansätzen, sondern auch wertvolle Informationen zur Umsetzung von Outdoor Education in der Praxis, beinhaltet Impulse für die theoretische Fundierung des Konzeptes, zeigt Forschungslücken auf und betont die Notwendigkeit einer Verbindung des Lernens außerhalb der Schule und des Lernens in der Schule durch eine gezielte Vor- und Nachbereitung, da nur so ein langfristiger Lernzuwachs ermöglicht werde.
EWR 16 (2017), Nr. 5 (September/Oktober)
„Raus aus dem Klassenzimmer“
Outdoor Education als Unterrichtskonzept
Weinheim, Basel: Beltz, Juventa 2016
(268 Seiten; ISBN 978-3-7799-3358-8; 29,95 EUR)
Janine Brade (Chemnitz)
Zur Zitierweise der Rezension:
Janine Brade: Rezension von: Au, Jakob von / Gade, Uta (Hg.): „Raus aus dem Klassenzimmer“, Outdoor Education als Unterrichtskonzept. Weinheim, Basel: Beltz, Juventa 2016. In: EWR 16 (2017), Nr. 5 (Veröffentlicht am 26.09.2017), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978377993358.html
Janine Brade: Rezension von: Au, Jakob von / Gade, Uta (Hg.): „Raus aus dem Klassenzimmer“, Outdoor Education als Unterrichtskonzept. Weinheim, Basel: Beltz, Juventa 2016. In: EWR 16 (2017), Nr. 5 (Veröffentlicht am 26.09.2017), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978377993358.html