EWR 16 (2017), Nr. 3 (Mai/Juni)

Johannes Bilstein / Jörg Zirfas (Hrsg.)
Das Geben und das Nehmen
Pädagogisch-anthropologische Zugänge zur Sozialökonomie
Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2017
(282 Seiten; ISBN 978-3-7799-3650-3; 39,95 EUR)
Das Geben und das Nehmen Es mag irritieren, in Zeiten zunehmender Streitdiskussionen innerhalb der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen und der medialen Öffentlichkeit um die Ökonomisierung der Wissenschaften im Allgemeinen und des Bildungssystems eine Publikation zu veröffentlichen, die sich explizit nicht mit diesen öffentlichkeitswirksamen Reizdiskursen auseinandersetzen will. Noch mehr mag dabei verwundern, dass eben dieses Ausweichen auf eine andere und weniger polarisierende Schwerpunktsetzung nun zusätzlich unter einer pädagogisch-anthropologischen Betrachtung der Sozialökonomie erfolgt. Der Sammelband „Das Geben und das Nehmen“ wagt diesen Versuch, und gruppiert die darin enthaltenen Beiträge um die Fragestellung nach dem Zugang zu – im weitesten Sinne – ökonomischen Denkmodellen innerhalb der Pädagogischen Anthropologie.

Johannes Bilstein und Jörg Zirfas bringen in ihrer Einleitung zum Thema dementsprechend auch einen Ökonomiebegriff an, der in seiner umfassenden Definition mehrere Bedeutungen des Theorems in sich mit aufnimmt. So gehe es etymologisch und anthropologisch betrachtet in der Ökonomie um „Handlungen des Herstellens, des Verbrauchens und der Verteilung von ganz unterschiedlichen Gütern, die nicht nur dem Ziel einer optimalen Bedürfnisbefriedigung, sondern der Gestaltung einer gemeinsamen Welt dienen, die durchaus mit verschiedenen Formen der Gleichheit und der Ungleichheit einhergeht“ (8). Weiterhin betonen die Herausgeber, dass im Sinne dieser Auffassung auch die Frage nach dem anthropologisch-pädagogischen Zusammensein des Sozialen in der Verbindung mit der Erhaltung und Einrichtung einer humanen Welt gestellt werden könne. Paradoxerweise beinhalten diese Frage und die damit zugrunde liegende Definition des Ökonomiebegriffs auch soziale (pädagogische) Handlungen, die mit nicht-ökonomischen Praktiken zu verbinden sind. Zusätzlich seien mit dem Wort Ökonomie all diejenigen Interaktionen bezeichnet, die durch das Schenken, Geben, Tauschen, Annehmen, Erwidern, Opfern und Schulden „die Formen des Sozialen und des Pädagogischen gleichermaßen ausbilden“ (8). Spätestens hier wird ersichtlich, dass den Autoren ein Baustein einer pädagogischen Anthropologie vorschwebt, der sich nicht mit der Vorstellung von einer bloßen Gewinnmaximierung oder eines Kosten-Nutzen-Kalküls begnügt, sondern den Akzent gerade auf eine harmonisierende Wirkung desjenigen legt, was im Titel des Bandes zwischen und mit den Begriffen Geben und Nehmen markiert ist. Dies kann als außerordentlich ambitioniertes Unterfangen bezeichnet werden, zumal dem Vertrauen auf anthropologische Erklärungsmodelle doch allzu schnell der Verdacht anhaften könnte, unterkomplexe Festschreibungen des menschlichen Wesens unhistorisch zu verteidigen.

Die siebzehn Beiträge des Bandes nehmen dabei jedoch sehr unterschiedliche Positionen ein. Mithilfe der vier thematisch eingeteilten Kapitel Institutionen, Gaben, Rationalitäten und Oikonomiken werden die einzelnen Aufsätze unter nicht immer klaren Kriterien den Themenfeldern zugeordnet. Mithin finden deutliche inhaltliche Überschneidungen zu anderen Schwerpunkten statt, die die Nachvollziehbarkeit des Aufbaus der Publikation beeinträchtigen. Um dennoch einen Überblick zu dem weit gefächerten Themenspektrum des Bandes zu ermöglichen, behält es sich der Rezensent vor, eine eigene Gruppierung der Beiträge vorzuschlagen. Diese erfolgt auf der Grundlage des Aussagegehalts und der mehr oder weniger kritischen Anliegen der einzelnen Texte.

Ein überwiegend großer Teil der Beiträge versammelt Positionen und inhaltliche Setzungen zu menschlichen Wesenseigenschaften in Zusammenspiel mit sozialökonomischen Entwürfen. So reihen sich die Aufsätze von bspw. Eckart Liebau, Nicolas Engel, Dominik Krinninger, Johannes Bilstein und Jörg Zirfas weniger in eine historische, jedoch ausgesprochen normative Bestimmung dieses Verhältnisses ein. Ob in einer an Pierre Bourdieu geschulten Betrachtung des Menschen als eines sich im Habitus und im Raum der Lebensstile befindlichen Individuums (Liebau) oder in der Perspektive mit den Mitteln der anthropologischen Bestimmung des Menschen als eines sich in Organisationen und Kooperationen aufhaltenden und hervorbringenden Wesens (Engel) – in solchen theoretischen Erwägungen scheuen sich die Autoren nicht, klare überhistorische Festschreibungen des Menschen vorzunehmen. Das betrifft auch gaben- und dankbarkeitsökonomische Ansätze (Bilstein / Zirfas) sowie Analysen zur Pädagogizität der Familie (Krinninger), in denen mit reichlich historischem und wissenschaftlichem Material sowie ausführlichen Reflexionsbemühungen ein durchaus umfassendes Konzept vom Menschen entworfen wird. Problematisch sind solche Entwürfe aus der Sicht des Rezensenten deshalb, da sie zwar mit einigem Aufwand ein möglichst facettenreiches Bild vom Wesen des Menschen konstruieren, aber in ihren Festschreibungen umgekehrt den Möglichkeitsspielraum menschlichen Zusammenlebens stark begrenzen. Der Mensch wird vorschnell in seiner Wesensbeschaffenheit als ein kooperierendes Wesen festgestellt, welches gleichzeitig immer auch Herrschaft ausübe (Engel, 65), oder ein in der Dialektik der Familie gefangenes Wesen zwischen Fürsorge und gesellschaftlicher Anerkennung (Krinninger, 79). Bilstein etwa hypostasiert mit seinen gabentheoretischen Argumenten – die hauptsächlich an dem in den 1920er Jahren erschienen Essay über die Gabe von Marcel Mauss [1] orientiert sind – die von ihm bestimmte Tatsache des menschlichen Gabentauschs zu einer optimistischen und kaum hinterfragten Legitimation der Institution Stiftung schlechthin: „Sie [die Stiftungen, C. B.] bieten die modernen Beispiele für die unlösbare Verschränkung von Geben und Nehmen, sie leben und demonstrieren wie im Akt der Gabe alle miteinander verbunden und aufeinander verwiesen sind.“ (174) Weniger pathetisch dafür aber umso sakraler raunt Zirfas in seinem Beitrag von einer Anthropologie der Dankbarkeit, die, abgesehen von ihrer politischen Folgenlosigkeit, in einer Huldigung der Dankbarkeit des eigenen Menschseins – und nebenbei auch dessen Schöpfers – zum Ausdruck kommen soll: „Insofern kann man schließlich auch dafür dankbar sein, dass man dankbar sein kann, d. h. dass man eine wohlwollende Verbindung zum anderen wahrnehmen und äußern kann.“ (279) Zuletzt stellt sich bei diesen anthropologischen Setzungen die Frage, was sie nun mit pädagogischen Ansätzen zu tun haben könnten. Eine Frage, die in Anbetracht einiger typischer logischer Verstrickung – etwa der Befund, dass eine Anthropologie auch hinreichend darauf reflektieren müsste, weshalb es nun Angesichts fester und unabänderlicher Wesensbestimmungen des Menschen pädagogischer Eingriffe bedarf – kaum beantwortet wird.

Die zweite Gruppe von Beiträgen ist durch eine kritische Stellung zur Ökonomisierung von Bildungs-, Alltags- und Kulturwelten gekennzeichnet. Hanne Seitz, Nika Daryan oder bspw. Birgit Althans und Friederike Schmidt versuchen dabei mittels der Differenz von Ökonomie und eines sich außerhalb von Tausch- und Verwertungsprozessen befindenden Prinzips zu argumentieren. Seitz liefert dabei mit einsichtigen Beobachtungen den Bereich der Kulturellen Bildung dem Verdacht aus, auf bloße Selbstoptimierung innerhalb einer Kreativität, Selbstverwirklichung, und kulturelle Teilhabe vereinnahmenden neoliberalen Gesellschaftsordnung abzuzielen. Dabei tritt bei Seitz die Referenz zu Friedrich Schiller in einer doppelten Erscheinung auf. Mit einem zynischen Unterton heißt es bei ihr: „Die Kulturelle Bildung bereitet Schillers Projekt der ‚Ästhetischen Erziehung des Menschen‘ eine unverhoffte Renaissance.“ (91) Auf der anderen Seite mobilisiert Seitz am Ende ihres Aufsatzes genau jenen Topos zum Widerstand gegen die Formen der gesellschaftlichen Selbstoptimierung, der auch und gerade durch Schillers Briefe im Bereich der Kunst das gängige Kernstück fast jeder ästhetischen Beschwörungsformel bildet: die menschliche Freiheit (98). Daryan dagegen unternimmt den Versuch, dem Unternehmerischen Habitus als dispositive Form von Disziplinierung (M. Foucault / U. Bröckling) eine bildungswissenschaftliche Kritik entgegenzustellen. Die Autorin möchte dabei den Kreativitätsbegriff, der größtenteils auf einen ichbezogenen Schaffensprozess ausgerichtet ist, durch einen Mimesisbegriff austauschen. Dieser trachtet wiederum danach, die göttliche Schöpfung und somit einen religiösen Habitus zu rehabilitieren. Ob diese Opposition im Anschluss an anerkennungstheoretische Implikationen (A. Honneth) tragfähig ist, wird von Daryan mehr behauptet als systematisch plausibilisiert.

Die Aufsätze von Sandra Busch, Daniel Burghardt oder Volker Schubert fallen in die Gruppe von Beiträgen, die einen explizit historischen Zugang zum Thema wählen. Anhand von Friedrich Schlegels Roman Lucinde (1799) rekonstruiert Busch die Verknüpfung von Bildung, Ökonomie und Mütterlichkeit, während Schubert in seinem Text nach der Rolle von Rationalität in der sozialistischen Pädagogik Siegfried Bernfelds fragt. Beide Autor/-innen betonen dabei weniger die sich aus dem Material ergebenden Anthropologien, als vielmehr den historischen Gehalt der jeweiligen Analysen. Hier tauchen Fragen nach den Möglichkeiten, Verwerfungen oder problematischen Setzungen verschiedener pädagogischer Traditionsbezüge auf. Ähnlich, nur mit einer an Karl Marx geschulten systematischen Zuspitzung, verfährt auch Burghardt. Ihm geht es in seinem Aufsatz allerdings mehr darum deutlich zu machen, dass eine Anthropologisierung gesellschaftlich-kapitalistischer Verhältnisse als ein historisches Produkt zu entlarven ist, welches durch den Modus der materialistischen Kritik als solches überhaupt erkennbar gemacht werden kann. Obwohl Burghardt einsichtig und luzide die marxsche Theorieentwicklung vor allem in Bezug auf die Theoreme Entfremdung, Kapital und Ökonomie darstellt und deren geschichtliche Veränderbarkeit hervorhebt, verabschiedet er nicht vorschnell die für eine Pädagogische Anthropologie wichtige Fokussierung auf den Menschen. Mit Leo Kofler schließt Burghardt seinen Text dementsprechend dialektisch: „Ohne großartige Entwürfe einer utopischen Gesellschaft entwickeln zu müssen, kann die Anthropologie, als ‚die Wissenschaft von den unveränderlichen Voraussetzung menschlicher Veränderlichkeit‘, vor diesem Hintergrund Alternativen zum neoliberalen Menschenbild des Kapitalismus aufzeigen.“ (193)

Die letzte Gruppe beinhaltet diejenigen Aufsätze, die ihren Weg aus nicht gerade verständlichen Gründen in den Sammelband gefunden haben. Gudrun Moraschs Beitrag zum Umgang mit sog. begabten Minderleistern im Horizont von schulischen Leistungserwartungen mag zwar informieren und deutlich machen, welche Ansinnen und welche Methoden dieser Zweig der empirischen Bildungsforschung verfolgt. Doch ökonomische oder gar anthropologische Aspekte spielen hier überhaupt keine Rolle. Mallika Swaminathans Versuch, die symbolische Repräsentation der hinduistischen Göttinnen Lakshmi und Saraswathi als eine Form des ökonomischen Denkens von Adam Smith oder John Maynard Keynes zu interpretieren, könnte zwar kulturwissenschaftlich auf offene Ohren stoßen, lässt aber weder pädagogische noch anthropologische Diskursanteile erkennen. Ebenso ist nicht besonders klar, welche Anknüpfungspunkte die Beiträge von Christoph Wulf und Diana Lohwasser zum Thema des Sammelbandes enthalten. Wulfs Streifzug durch das Terrain der kritischen Theorie mit Blick auf die Begriffe Zweckrationalität, Verdinglichung und Dialektik der Aufklärung hat neben dem Wagnis – auf knapp zehn Seiten die Kernbegriffe und verschiedenen theoretischen Ebenen eben jener Theorie zu erläutern – den Nachteil, dass kaum nennenswerte Verknüpfungen zur Ökonomie oder zur Pädagogik auftauchen. Lohwassers Text hingegen spart an pädagogischen Reflexionen nichts aus, lässt aber durch den verwendeten Mimikry-Stil – der sich am Gegenstand ihres Beitrags, also an der Philosophie von Emmanuel Levinas orientiert – nicht überzeugend hervortreten, was denn mit Ökonomie oder einer Anthropologie in einem systematischen Sinne überhaupt gemeint ist.

Wie deutlich geworden sein sollte, versammeln die Beiträge des Bandes mehrere Blickachsen auf das Verhältnis von Pädagogik, Ökonomie und Anthropologie. Dass mitunter auch Aufsätze innerhalb der Publikation enthalten sind, die der von den Herausgebern geforderten Vermeidung einer Perspektive auf bekannte bildungsökonomische Diskurse entgegenstehen, ist dabei auch zu begrüßen, da eben diese kritischen Betrachtungen die recht versöhnliche Ausrichtung des Bandes vorsichtig dämpfen. Das Buch liefert einen guten Überblick über verschiedene Forschungszugänge, was nicht zuletzt durch die üppige Anzahl von Beiträgen zu erklären ist. Für das Zielpublikum, also für Erziehungswissenschaftler/-innen und Sozialphilosoph/-innen, bergen eben diese Menge und die daran anschließende Struktur des Sammelbandes aber auch einige Nachteile. Es fällt schwer, trotz eines in der Einleitung sehr allgemein formulierten Ökonomiebegriffs, alle Beiträge als Bestandteil dieser Publikation zu identifizieren. Zu unterschiedlich sind der Aussagegehalt, die Motivlage und die methodische Vorgehensweise. Aus dem breiten thematischen Spektrum der Aufsätze hätten sicherlich auch andere Buchprojekte mit jeweils verschiedenen Gewichtungen entstehen können. So bleibt nach der Lektüre der Eindruck bestehen, dass den Herausgebern wohl eher zu einem Sammelband über gabentheoretische Aspekte einer pädagogischen Anthropologie geraten gewesen wäre. Eine Gabe – im Sinne einer vielleicht sogar tauschfreien, selbstlosen und evtl. von Zeck-Nutzen Kalkülen befreiten Interaktion – ist dieses Buch allerdings nicht gerade.

[1] Mauss, M.: Essai sur le don. Forme et raison de l'échange dans les sociétés archaïques. Préface de Florence Weber. Paris: PUF 2012.
Clemens Bach (Jena/Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Clemens Bach: Rezension von: Bilstein, Johannes / Zirfas, Jörg (Hg.): Das Geben und das Nehmen, Pädagogisch-anthropologische Zugänge zur Sozialökonomie. Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2017. In: EWR 16 (2017), Nr. 3 (Veröffentlicht am 30.05.2017), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978377993650.html