EWR 19 (2020), Nr. 5 (November / Dezember)

Katja Kansteiner/ Christoph Stamann/ Claus G. Buhren/ Peter Theurl (Hrsg.)
Professionelle Lerngemeinschaften als Entwicklungsinstrument im Bildungswesen
Weinheim Basel: Beltz Juventa 2020
(300 S.; ISBN 978-3-7799-6047-8; 39,95 EUR)
Professionelle Lerngemeinschaften als Entwicklungsinstrument im Bildungswesen Die Popularität von „Professionellen Lerngemeinschaften“ (PLGs) nimmt im deutschsprachigen Raum in den letzten zwanzig Jahren stetig zu, sei es in der praktischen Erprobung dieses Formats, u. a. im Kontext von Schulentwicklungsvorhaben, oder aber in der theoretischen Auseinandersetzung damit. Angezeigt wird diese Zunahme nicht nur durch die wachsende Anzahl an Publikationen, sondern auch durch die Präsenz des Formats in bildungspolitischen Kommuniqués. Obgleich der wachsenden Aufmerksamkeit, die PLGs zuteilwird, fußen die meisten Beiträge zu diesem Thema nur auf einem schmalen Rezeptionskanon [z. B. 1, 2]. Vor diesem Hintergrund erscheint eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesem Format nicht nur angebracht, sondern durchaus notwendig. Kansteiner, Stamann, Buhren und Theurl füllen so gesehen mit ihrem Sammelband eine Lücke.

Der Sammelband umfasst insgesamt 20 Beiträge und entstand im Nachgang einer internationalen Tagung, die im Frühjahr 2018 im Anschluss an das Erasmus-Plus-Projekt „HeadsUp“ (Heads using professional learning communities) an der Pädagogischen Hochschule in Weingarten veranstaltet wurde. Daraus resultierend finden sich im Sammelband nicht nur Beiträge von deutschsprachigen Kolleginnen und Kollegen, sondern auch einige Beiträge, die in englischer Sprache verfasst sind. Erklärte Ziele der Herausgeber/-innen sind, eine Zwischenbilanz unter die aktuellen (internationalen) Diskurse zu ziehen und nachzuzeichnen, welche Entwicklungen sich „theoretisch und empirisch, konzeptionell und schulpraktisch“ (10) vollzogen haben. Darüber hinaus wird in den Beiträgen beschrieben, welche Wirksamkeit PLGs haben, wie dieses Format erfolgreich implementiert werden kann bzw. mit welchen offensiven und verdeckten Steuerungszusammenhängen die Etablierung von PLGs einhergeht. Ferner sollen die Beiträge erörtern, welche Interaktionsdynamiken in PLGs stattfinden und worin sich PLGs von anderen Formaten der Personal- und Organisationsentwicklung unterscheiden. Um diesen umfangreichen Ansprüchen gerecht zu werden, gliedert sich der Sammelband in insgesamt sechs Teile (A-F). Während sich Teil A und Teil B mit theoretischen und empirischen Studien befassen, widmet sich Teil C praktischen Umsetzungen von PLGs in Schulkontexten. Teil D, E und F erweitern die Perspektiven, indem die Beiträge PLGs als interdisziplinäre Formate bzw. als Entwicklungsinstrumente in der Ausbildung und im Hochschulkontext diskutieren. In weiterer Folge werden nun einzelne Beiträge aus unterschiedlichen Bereichen hervorgehoben und vertiefend diskutiert.

Das Konzept der „Professionellen Lerngemeinschaften“ stammt ursprünglich aus dem anglo-amerikanischen Raum und blickt dort nicht nur auf eine lange Tradition zurück, sondern ist auch in Strukturen und Logiken der dort existierenden Bildungskontexte eingewoben. Mit der Einführung dieses Formats in andere Bildungssysteme entstehen Übersetzungen bzw. weiterentwickelte Verständnisse davon. Kansteiner, Stamann und Rist bilanzieren allerdings in ihrem Orientierungsbeitrag zu Beginn des Sammelbandes, dass sich der deutschsprachige Diskurs durch eine „enggeführte Konzeptualisierung“ (16) auszeichne. Um die Leser/-innenschaft mit den englischsprachigen Konzeptualisierungen vertraut zu machen, analysieren die Autor/-innen einführend drei Übersichtsartikel. Namentlich beziehen sie sich auf zwei englischsprachige Publikationen [3, 4] sowie auf einen deutschsprachigen Beitrag [5]. Bemerkt sei hierzu, dass nicht klar wird, warum zum einen bei der Aufarbeitung der englischsprachigen Diskurse ein deutschsprachiger Beitrag berücksichtigt wurde und zum anderen, aufgrund welcher Kriterien die Überblicksartikel ausgewählt wurden. Weitere Beiträge [z. B. 6, 7, 8, 9] haben die Diskurse in den vergangenen Jahren mindestens ebenso geprägt. Außerdem diskutieren diese ebenso Fragestellungen des Sammelbandes wie jene zum Thema „Wirksamkeit“ (10) von PLGs bzw. deren „Steuerungswirkung“ (ebd.). Eine nachvollziehbare Auswahl, abgestimmt auf die Zielperspektiven des Sammelbandes, hätte womöglich zu einer erweiterten Konzeptualisierung führen können, die als Matrix für die nachgestellten empirischen Beiträge herangezogen hätte werden können. Die „PLG-Systematik“ (28ff.) stellt hingegen nur bedingt eine Erweiterung bzw. eine Systematisierung der bestehenden Konzepte dar und wird im Sammelband zudem nicht weiter aufgegriffen.

Die weiteren Beiträge des Teils A als „konzeptionelle-systematisierende Einordnung“ von Julia Warwas und Christian Schadt (37ff.) sowie Thiemo und Bea Bloh (49ff.) bereichern die konzeptionelle Auseinandersetzung mit PLGs hingegen durchaus, wenn auch ihre Konzepte leider nicht als theoretischer Orientierungsrahmen für die anderen Beiträge eingesetzt werden. Warwas und Schadt entwickeln in ihrem Beitrag „Kerndimensionen von PLGs“ (43ff.). Sie erschaffen ein abstraktes Modell, das drei voneinander getrennte Dimensionen – aktionale, ideelle und strukturelle – definiert und somit eine Abkehr von Auflistungen einzelner Eigenschaften für PLGs zulässt. Mit Hilfe dieser Dimensionierung kann es gelingen, PLGs in ihrer Ausgestaltung besser einschätzen und analysieren zu können. Bloh und Bloh gehen in ihrem Beitrag noch einmal vertieft auf kollektiv-implizite Wissensbestände von PLGs ein und präzisieren dadurch die ideelle Dimension von Warwas und Schadts Modell. Auch der Beitrag von Vescio (84ff.) hätte noch zur im Teil A „konzeptionellen-systematisierenden Einordnung“ hinzugenommen werden können. Die von der Autorin angestellten Überlegungen, etwa zum inflationären Gebrauch des Titels „PLG“ und dem Kulturwandel, der mit der Einführung von PLGs in Fortbildungskontexten einher geht, sind ebenfalls grundlegend für die Einordnung von PLGs als Entwicklungsinstrumente innerhalb eines Bildungssystems. Vescio betont zudem, dass PLGs, die konkrete Reformthemen behandeln, oft konterkariert werden, da die Kurzlebigkeit der Inhalte nicht einher geht mit der Langfristigkeit und Vertiefung, die Grundpfeiler des Formats sind. Diesbezüglich stellt sich die Frage, inwieweit PLGs als Vehikel für Reformen bzw. als Steuerungsinstrumente überhaupt eingesetzt werden können.

Buhren rekapituliert in seinem Beitrag in Teil C – Projekterfahrungen und Begleitforschung zu Professionallen Lerngemeinschaften im Schulkontext – noch einmal aktuelle Studien zu PLGs im deutschsprachigen Raum und stellt fest, dass PLGs nicht verkürzt dargestellt werden dürfen, indem sie nur auf Lehrer/-innenkooperationen reduziert werden (vgl. 119ff.). Damit betont er noch einmal die Aussage von Vescio, dass sensibler mit der Bezeichnung „PLG“ umgegangen werden sollte. Buhren formuliert außerdem am Ende seines Beitrags die These, dass PLGs nicht „verordnet werden können“ (126). Damit bezieht er sich zum einen auf die Annahme, dass es entsprechende Organisationskulturen braucht, in die das Format der PLGs eingefasst wird und zum anderen, dass durch intrinsisch-motivationale Teilnahmegründe die Wirksamkeit des Formats steigt. Auch hieran könnte eine Diskussion, inwieweit PLGs als Steuerungsinstrumente fungieren können, anknüpfen. Hervorzuheben ist auch der Beitrag von Barrios et al. (179ff.) in Teil C. Die Gegenüberstellung der beiden Formate „Working Groups“ und „PLCs“ schärfen noch einmal den Blick auf Gemeinsamkeiten dieser beiden Formate und Spezifika von PLGs. Eine solche Kontrastierung wäre etwa auch für den Beitrag von Berger (252ff.) oder Holtappels Konzepte der Teamarbeit und Lehrerkooperation (64ff.) spannend gewesen. Neben dem bereits erwähnten Beitrag von Warwas und Schadt finden sich auch im Beitrag von Manuela Keller-Schneider (139ff., Teil C) interessante methodische Überlegungen für die Beforschung von PLGs.

Der Beitrag von Kahlhammer und Achleitner in Teil D „Erfahrungen interinstitutioneller Professioneller Lerngemeinschaften“ (221ff.) zählt ebenfalls zu den diskursbereichernden Beiträgen in diesem Sammelband, da das Autorenduo einen entscheidenden Faktor in der Rekontextualisierung von PLGs für den deutschsprachigen Raum adressiert. PLGs folgen der Logik des Professionellen Lernens, diese unterscheidet sich von traditionellen Verständnissen der Fortbildung. Die Implementierung von PLGs erfordert einen systematischen Kulturwandel in der Fortbildungslandschaft – z. B. werden Fortbildner/-innen zu Moderatoren und Moderatorinnen und Teilnehmer/-innen zu zentralen Akteurinnen und Akteuren, die eigene Erfahrungen in den wissenschaftlichen Diskurs einbringen. Die Aufarbeitung dieser Facette erscheint wichtig und zielführend für die weitere Entwicklung dieses Formats.

Die Beiträge von Feldmann (240ff.) und Funke-Tebart (261ff.) versuchen in Teil E „Professionelle Lerngemeinschaften in der Lehrer*innenbildung“ aufzuzeigen, wie PLGs in der Ausbildung eingesetzt werden könnten. Dass Studierenden bereits während ihrer Ausbildungsphase mit diesem Format vertraut gemacht werden, ist sicherlich wünschenswert, diskutiert werden sollte jedoch, inwieweit semestrale Strukturen und bedingte Praxisbezüge überhaupt Voraussetzungen für PLGs sein können, oder ob es sich nicht eher um Vorstufen von PLGs oder Teilaspekte der PLG-Arbeit handelt.

Hinsichtlich der Komposition und Abstimmung der Einzelbeiträge bezogen auf die Gesamtziele des Sammelbandes lässt sich abschließend festhalten, dass den Beiträgen teils ein „Big Picture“ fehlt. So stellen viele Autorinnen und Autoren am Beginn ihrer Kapitel grundlegende konzeptionelle Überlegungen zu PLGs an, wodurch zwar Wiederholungen, jedoch selten kritische Auseinandersetzungen mit dem Format entstehen. Andere Beiträge dagegen versuchen Formate als PLGs darzustellen, die keine sind. Editorielle Feinjustierungen hätten den Sammelband zudem stringenter werden lassen. Auch ein abschließendes Resümee, dass die anfänglich genannten Ziele noch einmal zusammenfassend diskutiert, wäre für Lesende hilfreich gewesen. Nichtsdestoweniger liefern viele der Beiträge neue Diskussionsgrundlagen für die Auseinandersetzung mit dem prominenten Format PLG.

Literatur:
[1] Bonsen, Martin (2005). Professionelle Lerngemeinschaften in der Schule. In: Holtappels, Hans-Günther; Höhmann, Katrin (Hrsg.): Schulentwicklung und Schulwirksamkeit. Weinheim: Juventa, S. 180-195.
[2] Bonsen, Martin & Rolff, Hans-Günther (2006). Professionelle Lerngemeinschaften von Lehrerinnen und Lehrern. In: Zeitschrift für Pädagogik 52(2), S. 167-184.
[3] Stoll, Louise; Bolam, Ray; McMahon, Agnes; Wallace, Mike & Thomas, Sally (2006). Professional Learning Communities: A review of the literature. In: Journal of Educational Changes 7, S. 221-258. doi: 10.1007/s10833-006-0001-8
[4] Feger, Stephanie & Arruda, Elise (2008). Professional Learning Communities: Key themes from the literature. http://www.psycholosphere.com/Professional%20Learning%20Communities%20-%20Key%20Themes%20from%20the%20Literature%20by%20Feger%20&%20Arruda.pdf
[5] Warwas, Julia & Helm, Christoph (2018). Professional learning communities among vocational school teachers: Profiles and relations with instructional quality. In: Teaching and Teacher Education 73, S. 43-55.
[6] DuFour, Richard (2004). What is a Professional Learning Community? In: Educational Leadership 61(8), S. 6-11.
[7] Vescio, Vicki; Ross, Dorene & Adams, Alyson (2008). A review of research on the impact of professional learning communities on teaching practice and student learning. In: Teaching and Teacher Education 73, S. 43-55.
[8] Harris, Alma & Jones, Michelle (2010). Professional learning communities and system improvement. Improving schools, 13(2), S. 172-181.
[9] Lomos, Catalina; Hofman, Roelande H. & Bosker, Roel J. (2011). Professional communities and student achievement – A meta-analysis. In: School Effectiveness and School Improvement 22(2), S. 121-148.
Livia Jesacher-Rößler (Innsbruck)
Zur Zitierweise der Rezension:
Livia Jesacher-Rößler: Rezension von: Kansteiner, Katja / Stamann, Christoph / Buhren, Claus G. / Theurl, Peter (Hg.): Professionelle Lerngemeinschaften als Entwicklungsinstrument im Bildungswesen. Weinheim Basel: Beltz Juventa 2020. In: EWR 19 (2020), Nr. 5 (Veröffentlicht am 22.12.2020), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978377996047.html