EWR 7 (2008), Nr. 4 (Juli/August)

Bernd Dewe / Peter J. Weber
Wissensgesellschaft und Lebenslanges Lernen
Eine EinfĂĽhrung in bildungspolitische Konzeptionen der EU
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2007
(152 S.; ISBN 978-3-7815-1556-7; 18,00 EUR)
Wissensgesellschaft und Lebenslanges Lernen Die Ausrichtung der vorliegenden Publikation wird bereits im Untertitel skizziert: Sie soll in „bildungspolitische Konzeptionen der EU“ einführen. Dieses Anliegen wird in vier Kapiteln verfolgt, die verschiedene Themen aus der aktuellen Debatte aufgreifen: „Lernen und Wissen“, „Lebenslanges Lernen“, „Erwachsenenlernen im EU-Kontext“ sowie „Bildungsökonomie und Wissensgesellschaft“. Der ca. 150-seitige Band enthält außerdem 20 Abbildungen und Tabellen, die Zusammenhänge visualisieren und Textaussagen zusammenfassen. Die beiden Autoren sind durch ihre Beschäftigung mit Fragen des Wissens und pädagogischen Handelns in der Erwachsenenbildung (Bernd Dewe) sowie Aspekten der neuen Medien und des Online-Lernens (Peter J. Weber) bekannt und verbinden ihre jeweiligen Schwerpunkte in der vorliegenden Auseinandersetzung mit „Wissensgesellschaft und Lebenslangem Lernen“.

Das Buch beginnt mit einen Kapitel über „Lernen und Wissen“ (13-37), das zahlreiche Anregungen zum Nach- und Weiterdenken über das Verhältnis beider Grundbegriffe enthält – insbesondere in Bezug auf ihre subjektive und soziale Dimension. Die Entwicklung der Gedanken von Abschnitt zu Abschnitt erschließt sich beim Lesen zwar nicht immer vollständig, was aber den von diesem Kapitel ausgehenden Anregungen für eine Beschäftigung mit dem Wissen, z.B. in Bezug auf verschiedene Wissensarten, das Verhältnis von Wissen und Nichtwissen sowie die Abgrenzung von Wissen und Information, oder dem „Wagnischarakter“ von Lernsituationen keinen Abbruch tut. Trotz der Einigkeit über die Entwicklung einer „Wissensgesellschaft“ ist die Vermittlung von Wissen gegenüber anderen pädagogischen Formen eher in Misskredit geraten. Eine Vergewisserung über das Wissen ist daher notwendig und wird hier mit Bezug zu aktuellen Entwicklungen wieder in die Diskussion gebracht.

Das zweite Kapitel (39-79) rekonstruiert die Veränderungen des Lernens Erwachsener und der Weiterbildung im Kontext der internationalen Diskussion um Lebenslanges Lernen, die „in steigendem Maße altersunabhängige Lern- und Weiterbildungsbemühungen als gesellschaftliche Normalität mit sich bringt“ (39). Diese Rekonstruktion erfolgt entlang von drei Schwerpunkten: Dem Zusammenhang von Lebenslangem Lernen und institutionalisiertem Lernen (2.1.), der dahingehend spezifiziert wird, dass eine ohnehin heterogene Trägerstruktur in der Weiterbildung sich durch eine „Vervielfältigung der Lernanlässe“ (43) und die Entwicklung von Wissen zum „entscheidenden Wirtschaftsfaktor“ (45) weiter differenziert. Lernanlässe werden in institutionalisierte Formen des Lernens übersetzt, bedürfen aber gleichwohl „spezifischer Vermittlungs- und Aneignungsprozesse durch die lernenden Individuen“ (46). Diesen Gedanken greifen die Überlegungen zu den Konsequenzen des Lebenslangen Lernens für das (Selbst-)Verständnis von Erwachsenen sowie veränderten Ansprüche an pädagogisches Handeln auf (2.2.). Eine Rekonstruktion verschiedener bildungspolitischer Entwürfe und Strategien zum Lebenslangen Lernen auf internationaler und nationaler Ebene schließt das Kapitel ab.

Das Kapitel 3 widmet sich dem Erwachsenenlernen im EU-Kontext (81-110). Es referiert einige Grundlagen europäischer Bildungspolitik und differenziert verschiedene Etappen der europäischen Bildungspolitik von der „Bildung für die Wirtschaft“ in der Anfangsphase bis zur ab 2000 angesetzten Phase der „Lissabonner Strategie“ (85). In Bezug auf die Rolle der EU für die Bildungspolitik werden hier allerdings verschiedene Einschätzungen vorgenommen, die wohl nicht unbedingt ungeteilte Zustimmung erhalten, z.B. diejenige, dass sich die Europäische Kommission mit dem Weißbuch von 1995 als „Ideenträger für eine qualitativ hochwertige Bildung zeigt“ (87) oder der Bildungsbereich innerhalb der EU ein „Forum für den Austausch von Ideen und vorbildlichen Lösungen“ ist, dem die Aufgabe zukommt, „eine echte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten unter Wahrung der Vorrechte jedes Mitgliedsstaates in puncto Inhalt und Gestaltung seiner Bildungs- und Berufsbildungssysteme zu fördern“ (ebd.). Interessante Informationen liefert das Kapitel zur Haushaltsrelevanz des Bildungsbereichs auf europäischer Ebene, die trotz der Programmatik des Lebenslangen Lernens eher marginal ist, und zu der Rolle von Informations- und Kommunikationstechnologien innerhalb der Bildungspolitik der EU (104-110). Interessant – und nahe liegend – wäre es gewesen, von dem letztgenannten Schwerpunkt systematische Verbindungen zu den Ausführungen zu Wissen und Information im ersten Kapitel zu ziehen.

Im letzten Kapitel setzen sich die Autoren schließlich mit der Bildungsökonomie auseinander (111-125). Es werden verschiedene bildungsökonomische Theorien referiert und ihre Konjunkturen angesichts unterschiedlicher ökonomischer und politischer Rahmenbedingungen dargelegt, wobei auch die Rolle der OECD und anderer internationaler Organisationen berücksichtigt wird, die „bildungsökonomische Analysen und Modelle weltweit als Richtlinien vorgeben“ (117). Die aktuelle Bedeutungszunahme bildungsökonomischer Überlegungen wird zudem mit verschiedenen Wachstumstheorien sowie der Veränderung zur Wissensgesellschaft erklärt, die nicht nur zu einer Technisierung, sondern auch zu einer Ökonomisierung von Bildung geführt habe (120-125).

Dem im Untertitel formulierten Anspruch, dass das vorliegende Buch eine Einführung in bildungspolitische Konzeptionen der EU ist, werden in Vorwort und Einleitung noch verschiedene weitere hinzugefügt. So soll die Publikation gemäß Vorwort „Grundlagen des Lernens vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen, insbesondere IKT sowie der Europäisierung/Internationalisierung (aufzeigen), indem sie grundlegende Einblicke in die bildungspolitischen und programmatischen Diskussionen um innovative Lernkonzepte gibt. Zudem möchte sie dem Leser Anschluss bieten an den laufenden lerntheoretischen Diskurs über die Schwächen und Stärken behavioristischer, kognitiver, konstruktivistischer und wissenssoziologischer Deutungsversuche moderner Lernverpflichtungen und -optionen“ (8). Sie soll ferner einen „von traditionellen (nationalen) und auf hergebrachte Institutionen des Lernens fixierten Betrachtungen sich abhebenden Zugang zum Thema Lebenslanges Lernen in der Wissensgesellschaft“ (ebd.) geben. Und ein „Anliegen ist es zugleich dem Leser Einblicke in die Herausforderungen des Lernens in der aufkommenden Wissensgesellschaft zu eröffnen“ (ebd.). Der Text zeige auch auf „wo die Bedeutung europäischer und internationaler Diskussionen um permanente Bildung liegt und legt kritisch programmatisch geführte Bildungsdiskurse offen“ (ebd.). Die Einleitung ergänzt diese Anliegen nochmals, z.B. mit dem Hinweis, dass es im Folgenden „auch um das Auffinden neuer Dimensionen einer reflexiven Wissenserzeugung und -kommunikation im Bildungsbereich“ (9) gehe.

Durch diese Ausführungen werden zwar diverse Anliegen deutlich, allerdings werden sie durch die Autoren nicht in einer Art zusammengefügt und gebündelt, dass sich den Lesenden daraus die Hintergründe für die konkrete Themensetzung und die Struktur des Buches erschließen würden. Den etwas diffusen, aber gleichwohl weitgesteckten Anliegen des Buches steht somit eine eher eklektisch wirkende Auswahl von vier Schwerpunktthemen gegenüber. Die einzelnen Kapitel enthalten zwar durchaus inspirierende Überlegungen und interessante Einblicke in aktuelle Diskussionen und Entwicklungen, es gelingt den beiden Autoren aber weder in den einleitenden Ausführungen noch in den einzelnen Kapiteln selbst oder dem ca. zweiseitigen Schlussabschnitt (127-129) ihren Zusammenhang zu verdeutlichen. Die vier Kapitel wirken in ihrer Schwerpunktsetzung zu separat, als dass die Betonung ihres Zusammenhangs in Vorwort/Einleitung und Schluss die Lesenden von einem Gesamtkonzept des Buches, das zu eben dieser Auswahl und Zusammenstellung geführt hat, überzeugen könnte. Die Chance Argumente und Themen nicht in „kleinen Portionen“, sondern in größeren Linien zu entwickeln – die eine Monographie im Unterschied zu Sammelbänden mit mehr oder weniger unabhängigen Beiträgen bietet – blieb dadurch leider ungenutzt. Für das Buch bleibt somit am Ende zu konstatieren, was im Schlusskapitel für die Wissensgesellschaft und das Lebenslange Lernen als Fazit hervorgehoben wird: trotz anderslautender (rhetorischer) Bemühungen bleiben sie am Ende de facto fragmentiert (129).

Diese Schwäche in der Gesamtkonzeption schränkt zwar die Erfüllung des Anspruchs, „eine Einführung in bildungspolitische Konzeptionen der EU“ vorzulegen, ein. Da die vier Kapitel aber tatsächlich jeweils einen einführenden Charakter aufweisen, ermöglichen sie dennoch eine entsprechende Nutzbarkeit, z.B. im Rahmen der universitären Lehre, wo einzelne Kapitel gewinnbringend in verschiedenen Veranstaltungen eingesetzt werden könnten. Von praktischem Nutzen ist zudem der „Serviceteil“, der am Ende des Buches in den Kategorien „global“, „Europa“, „national“ und „regional“ verschiedene bildungspolitisch relevante Organisationen vorstellt und den Link auf die entsprechende Homepage präsentiert. Auch dies unterstreicht die Einsetzbarkeit im Rahmen der Lehre oder einer selbständigen Einarbeitung in die entsprechenden Themenfelder, da es die Lesenden mit wichtigen Organisationen und Programmen bekannt macht und dadurch im Anschluss an die Lektüre weitergehende eigene Recherchen anregen kann.
Katrin Kraus (ZĂĽrich)
Zur Zitierweise der Rezension:
Katrin Kraus: Rezension von: Dewe, Bernd / Weber, Peter J.: Wissensgesellschaft und Lebenslanges Lernen, Eine EinfĂĽhrung in bildungspolitische Konzeptionen der EU. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 4 (Veröffentlicht am 06.08.2008), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978378151556.html