EWR 11 (2012), Nr. 2 (März/April)

Friederike Heinzel (Hrsg.)
Generationenvermittlung in der Grundschule
Ende der Kindgemäßheit?
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011
(240 S.; ISBN 978-3-7815-1814-8; 18,90 EUR)
Generationenvermittlung in der Grundschule Die Bestimmung des Selbstverständnisses der Grundschule als eigenständiger Bildungsinstitution verbindet sich mit den ihr zugeschriebenen Aufgaben und Zielsetzungen, aber auch mit bildungspolitischen Entscheidungen. Allerdings sind diese Zuschreibungen diskussionswürdig geworden – nicht zuletzt auch aufgrund des der Grundschule immanenten Spannungsverhältnisses, einerseits „Zubringerfunktion“ für das weiterführende Schulwesen, andererseits einen eigenen Bildungsauftrag zu haben. Insbesondere stellt sich in diesem Kontext die Frage, ob die „Kindgemäßheit“, die der am gemeinsamen Lernen aller Kinder orientierten „ersten“ Schule über Jahrzehnte zugeschrieben wurde, geeignet ist, den sich wandelnden kindlichen Lebensweltorientierungen und ihren Herausforderungen didaktisch und pädagogisch angemessen zu begegnen.

Friederike Heinzel greift als Herausgeberin des Buches „Generationenvermittlung in der Grundschule“ diesen Diskussionsstrang auf, indem sie aus der Perspektive der sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung auf die Normativität „kindgemäßer“ Orientierungen verweist und dagegen die bislang nicht oder kaum wahrgenommenen – sozialisationstheoretisch wirkenden – Generationendifferenzen betont: „Die Grundschule ist [...] ein zentraler Ort, an dem Kinder und Erwachsene aufeinander treffen und im Rahmen von Lehrer-Schüler-Interaktionen und Schüler-Schüler-Interaktionen Generationenbeziehungen gestalten.“ (18) Damit wird eine Perspektive fokussiert, die das Kind als einen aktiven sozialen Akteur sieht, der selbst- und mitbestimmt handelt und für seine Interessen, Rechte und Wünsche einsteht. Grundschulpädagogisches Handeln steht dann nicht mehr für ein Agieren am Kind, sondern mit dem Kind. Der Paradigmenwechsel wird – in einer vorgenommenen Dreiteilung des Herausgeberbandes – auf theoretischer, konzeptioneller und praxisorientierter Ebene entwickelt.

Im 1. Teil setzen sich Margarete Götz in ihrem Beitrag „Kindorientierung – ein gesellschaftsabstinenter Anspruch der Grundschule?“ und Friederike Heinzel unter der Überschrift „Kindgemäßheit oder Generationenvermittlung als grundschulpädagogisches Prinzip?“ mit der Frage auseinander, ob und in welcher Weise der Blick auf die Generationendifferenzen tatsächlich zu einem neuen grundschulpädagogischen Prinzip führen kann. Während die erstgenannte Verfasserin eine kritisch prüfende Position einnimmt, indem sie im historischen Rückblick zwar auf eine notwendigerweise neue Kindorientierung der Grundschule verweist, die möglicherweise um die Generationenfrage zu ergänzen sei, den Erfolg des Ablösungsprozesses aber davon abhängig sieht, ob „die ersten vorliegenden „Umrisse“ [...] klare und scharfe Konturen“ (36) gewinnen, lässt sich die grundschulspezifische Differenz von individuellen und gesellschaftlichen Ansprüchen für die zweitgenannte Verfasserin nur durch die Generationenvermittlung auflösen. Vermittlung meint dabei „die Auflösung von Widersprüchen und Aufhebung von Gegensätzen im Sinne einer Schlichtung.“ (51) Es geht also um einen kommunikativen und ko-konstruktiven Dialog im Lern- und Bildungsprozess, in dem das gegenseitige Verstehen und Wertschätzen Anlass für situationsrelevantes pädagogisches Handeln sind. Die sich dem Leser vermittelnde Botschaft heißt: Demokratie statt Normativität.

Das als theoretisches Konzept verstandene Prinzip der Generationenvermittlung steht in dem Anspruch, ein neues grundschulpädagogisches Verständnis zu wecken, auch wenn Umsetzungen noch vage bleiben. Erste Ansätze liefern die im 2. Teil vorgestellten Forschungsperspektiven, die einerseits auf das Generationenverständnis, andererseits auf generationale Ordnungen im Schulalltag abheben. In seinem Beitrag „Generation als hermeneutisches Konzept“ diskutiert Gerd Steffens mit dem sozialisationstheoretischen Generationenkonzept von Karl Mannheim und dem epochen- oder kulturspezifischen Zugriff nach Margaret Mead zwei Ansätze, die Selbstvergewisserungen und reflexives Lernen im Generationenverhältnis ermöglichen. Karin Bock stellt „Kinderwelten und Erwachsenenwelten“ einander gegenüber, indem durch Beobachtungen und Gruppendiskussionen die unterschiedlichen Strukturierungen, Prioritäten- und Regelsetzungen von Schulkindern und ihren Lehrkräften analysiert werden. Beide Zugriffsweisen erweisen sich als – wenn auch erste, so doch – vielversprechende Optionen eines forschungsbasierten Verstehens.

Praxisorientierte, im Rahmen der Lehrerausbildung implementierte Lehrforschungsprojekte werden im 3. Teil des Buches vorgestellt. Herbert Hagstedt fragt, ob „Das präsente Schulkind – eine reformpädagogische Projektion“ sei, Sarah Alexi, Dorothea Witt und Friederike Heinzel sehen „Biografisches Erzählen“ als einen „Beitrag zur Förderung intergenerationeller Beziehungen in der Grundschule“, Susanne Pietsch plädiert für die Übernahme von „Patenschaften in der Lehrerausbildung als Einübung in pädagogische Generationenbeziehungen“, Rita Wodzinski und Monika Zolg greifen auf „Physikalische und technische Konzepte“ zurück, um das „Wissensgefälle zwischen Kindern und Lehramtsstudierenden“ zu analysieren, Norbert Kruse fragt, ob und in welcher Weise „Gespräche zwischen Erwachsenen und Kindern im Unterricht über deren Texte“ zur Entwicklung einer Schreibkompetenz beitragen, Brigitte Spindeler möchte „Durch diagnostische Interviews Generationenbeziehungen im Bereich der Mathematik weiterentwickeln“, Ulrich Mayer untersucht „Vorstellungen von Grundschulkindern zur Problematik der Generationenbeziehungen anhand historischer Bildquellen“, Helmut Vogt, Sabine Mogge und Anja Wolfram stellen „Konzepte von Grundschulkindern über das Altern des Menschen“ vor. Mit den Projekten wird ein breites und mehrperspektivisches Themenband aufgemacht, das den theoretischen Rahmen in interessanter und für die praktische Erprobung anregender Weise umsetzt, auch wenn die direkten Schlussfolgerungen für die pädagogische Arbeit in der Grundschule noch konkreter zu benennen sind.

Mit dem Buch „Generationenvermittlung in der Grundschule“ liegt ein theoretisch anspruchsvoller grundschulpädagogischer Zugang vor, der neue Perspektiven eröffnet und zu einem neuen Denken über Ziele, Aufgaben und Gestaltung der Grundschule anregt. Wenn auch der „rote Faden“ durch die Einzelbeiträge wünschenswerter Weise hätte argumentativ geschärft oder in einem Gesamtfazit ausdifferenziert werden können, so ist die Veröffentlichung für Lehrkräfte und Lehramtsstudierende ein uneingeschränkter Gewinn in der Reflexion über das professionelle Selbstverständnis und den Umgang mit dem konkreten Grundschulkind in einer sich stets wandelnden Lebenswelt.
Renate Hinz (Dortmund)
Zur Zitierweise der Rezension:
Renate Hinz: Rezension von: Heinzel, Friederike (Hg.): Generationenvermittlung in der Grundschule, Ende der Kindgemäßheit?. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 2 (Veröffentlicht am 10.04.2012), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978378151814.html