EWR 13 (2014), Nr. 1 (Januar/Februar)

Marc Kleinknecht / Thorsten Bohl / Uwe Maier / Kerstin Metz (Hrsg.)
Lern- und Leistungsaufgaben im Unterricht
FĂ€cherĂŒbergreifende Kriterien zur Auswahl und Analyse
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013
(223 S.; ISBN 978-3-7815-1930-5; 18,90 EUR)
Lern- und Leistungsaufgaben im Unterricht Über Aufgaben zur UnterstĂŒtzung von Lernprozessen, aber auch zur ÜberprĂŒfung von vorhandenem Wissen und Können wird in der Allgemeinen Didaktik und in den Didaktiken der unterschiedlichen UnterrichtsfĂ€cher – erfreulicherweise – seit je nachgedacht. Ein eindrĂŒckliches Zeugnis hiervon liefert gegenwĂ€rtig der Herausgeberband von Marc Kleinknecht, Thorsten Bohl, Uwe Maier und Kerstin Metz. Der Band spiegelt ein interessantes „Experiment“ der Herausgeber wider. Sie baten Vertreter unterschiedlicher fachdidaktischer Disziplinen, ein von ihnen entwickeltes allgemeindidaktisches Kategoriensystem fĂŒr die Analyse von Aufgaben exemplarisch anzuwenden und aus der jeweiligen fachdidaktischen Perspektive heraus zu bewerten. Die Zielsetzung bestand darin, basierend auf den RĂŒckmeldungen der Fachdidaktiker die Eignung des Kategoriensystems abzuschĂ€tzen und ggf. Überarbeitungen an selbigem vorzunehmen.

Der vorliegende Band ist dreigeteilt. Er umfasst in einem ersten Teil einen Beitrag der Herausgeber, in welchem diese das von ihnen entwickelte Kategoriensystem zur Analyse des kognitiven Aktivierungspotentials von Aufgaben eingehend darstellen. Der zweite Teil des Bandes versammelt BeitrĂ€ge von Fachdidaktikern unterschiedlicher SchulfĂ€cher (Deutsch, Mathematik, Physik, Biologie, Chemie, Geschichte, Kunst, Sport, Wirtschaftsunterricht). Diese heben – in parallel aufgebauten BeitrĂ€gen – auf die Auseinandersetzung mit Aufgaben in den jeweiligen Fachdidaktiken ab, nehmen exemplarisch unter RĂŒckgriff auf das von Kleinknecht, Bohl, Maier und Metz entwickelte Kategoriensystem Analysen einzelner Aufgaben aus dem jeweiligen Schulfach vor und diskutieren hieran anschließend das Kategoriensystem – insbesondere unter der jeweiligen fachdidaktischen Perspektive. Im letzten Teil des Bandes bringen die Herausgeber schließlich die von den Fachdidaktikern gefĂŒhrten Diskussionen unter dem Aspekt der EinschĂ€tzung des Kategoriensystems und der einzelnen Kategorien zusammen und geben einen Ausblick auf weiterfĂŒhrende Arbeiten.

In ihrem EinfĂŒhrungsbeitrag verweisen Kleinknecht, Bohl, Maier und Metz – mit Blick auf die besondere Relevanz von Aufgaben im Kontext von Schule und Unterricht – auf die Bedeutung eines allgemeindidaktischen Kategoriensystems fĂŒr die Analyse von Aufgaben, indem sie u.a. herausstellen, dass in einem solchen Kategoriensystem – ergĂ€nzend zu einer fachdidaktischen Perspektive – „noch ungenutzte Chancen und Möglichkeiten fĂŒr den Professionalisierungsprozess von LehrkrĂ€ften“ (10) liegen dĂŒrften. Die vier Wissenschaftler machen hieran anschließend grundlegende Probleme der Aufgabenanalyse deutlich (u.a. Notwendigkeit von Annahmen ĂŒber das Vorwissen der Lernenden oder den Unterrichtskontext), diskutieren vorliegende fach- und allgemeindidaktische Aufgabentaxonomien wie beispielsweise die Bloomsche „Taxonomy of Educational Objectives“ oder das im Kontext der COACTIV-Studie verwendete Verfahren der Analyse und Kategorisierung von Aufgaben und stellen schließlich ein allgemeindidaktisches Kategoriensystem fĂŒr die Analyse von Aufgaben vor. Mit diesem wollen sie das kognitive Aktivierungspotential von Aufgaben erfassbar machen. Um als „Konstruktions- oder Modifikationsheuristik fĂŒr Aufgaben in verschiedenen FĂ€chern“ (28) genutzt werden zu können, umfasst das Kategoriensystem dabei eine ĂŒberschaubare Anzahl an Analysekategorien (Wissensart, kognitiver Prozess, Wissenseinheiten, Offenheit, Lebensweltbezug, sprachlogische KomplexitĂ€t, ReprĂ€sentationsformen), die von den Autoren jeweils detailliert beschrieben werden. Kleinknecht, Bohl, Maier und Metz stellen weiterhin heraus, dass sie den Beitrag der Allgemeinen Didaktik zu den Themen „Aufgaben“ und „Aufgabenkultur“ darin sehen, „die Bedeutung von Aufgaben in allen FĂ€chern theoretisch zu modellieren und ĂŒberfachliche Kriterien der AufgabenqualitĂ€t herauszuarbeiten“ (40). Vor diesem Hintergrund stellen die vier Wissenschaftler heraus, dass mit dem entwickelten Kategoriensystem der Anspruch verbunden wurde, dass die Kriterien Überlegungen aus etablierten allgemeindidaktischen Kategoriensystemen sowie der neueren fachdidaktischen Forschung zur AufgabenqualitĂ€t gleichermaßen widerspiegeln sollen. Daneben wurde das Kategoriensystem aber auch mit der Zielsetzung erstellt, ein Instrument fĂŒr die „alltĂ€gliche Unterrichtsvor- und -nachbereitung von LehrkrĂ€ften“ (41) und auch fĂŒr deren Professionalisierung zu entwickeln.

Der zweite Teil mit den BeitrĂ€gen von Fachdidaktikern der unterschiedlichen SchulfĂ€cher nimmt den grĂ¶ĂŸten Raum im Herausgeberband ein. Der Leser erhĂ€lt hier einen Einblick in Diskurse ĂŒber Aufgaben in den jeweiligen Fachdidaktiken. Daneben wird jeweils an einigen wenigen Aufgaben, deren Auswahl jeweils kurz erlĂ€utert wird, die Anwendung des besagten Kategoriensystems vorgefĂŒhrt und es werden auch Schwierigkeiten angesprochen, die sich im Rahmen der Analyse ergaben. Schließlich erfolgt jeweils eine abschließende Diskussion des Kategoriensystems unter einer fachdidaktischen Perspektive, in der insbesondere auch Hinweise zur Weiterentwicklung thematisch werden.

Exemplarisch seien hier die von den einzelnen Fachdidaktikern gefĂŒhrten Auseinandersetzungen am Beispiel der BeitrĂ€ge von Knut Neumann (Physik) und Margarete Dieck (Kunst) illustriert. Neumann hebt in seinem Beitrag auf die fachdidaktische Analyse von Aufgaben im Schulfach Physik ab. Er erlĂ€utert, dass im Physikunterricht zum einen Aufgaben eingesetzt werden sollen, die Gelegenheit zum Kompetenzerwerb bieten, und zum anderen Aufgaben, die eine Feststellung erworbener Kompetenzen erlauben. FĂŒr seine exemplarische Analyse von Aufgaben zieht er daher je zwei Aufgaben heran, die zu Zwecken der Kompetenzförderung bzw. der Kompetenzdiagnose erstellt wurden. Daneben realisiert er mit den insgesamt vier Aufgaben seiner Aufgabenstichprobe, dass je eine Aufgabe einem der vier in den Bildungsstandards genannten Kompetenzbereiche (Fachwissen, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation, Bewertung) zuordenbar ist. Basierend auf der vorgenommenen Analyse kommt er zu dem Ergebnis, dass die Analyse „weitgehend widerspruchsfrei“ (111) gelang. Zugleich problematisiert er aber auch das Kategoriensystem und schlĂ€gt Modifikationen und Erweiterungen vor, z.B. eine „Kodierung der Unterrichtsphase, in der die Aufgabe eingesetzt werden soll“ (112). Weiterhin diskutiert er mit Blick auf kompetenzorientierte Aufgaben die Problematik des – im Rahmen der Aufgabenanalyse – notwendigen Zerlegens in artifiziell anmutende Teilaufgaben. Mit Blick auf die Kunstdidaktik stellt Dieck heraus, dass in dieser in den letzten Jahrzehnten „Aufgaben, wie ĂŒberhaupt die Mikroebene von Kunstunterricht kein virulentes Thema“ waren und markiert, dass es – jenseits inhaltlicher Unterscheidungen – „keine fest eingefĂŒhrten Aufgabentypen“ (163) gibt. FĂŒr die exemplarische Aufgabenanalyse greift sie auf zwei Aufgaben aus aktuellen SchulbĂŒchern zurĂŒck. Die Nutzung des von Kleinknecht, Bohl, Maier und Metz entwickelten Kategoriensystems bei der Analyse dieser Aufgaben resĂŒmierend verweist sie darauf, dass sich nicht alle Kategorien gleich gut anwenden ließen und diskutiert Möglichkeiten der Überarbeitung des Kategoriensystems wie beispielsweise eine prĂ€zisere Fassung der Kategorie „ReprĂ€sentationsform“. Zugleich stellt sie aber auch Anfragen an das Kategoriensystem, indem sie z.B. anmerkt, dass es den Anschein hat, dass in selbigem von einer „grundsĂ€tzlichen Differenz von (positiv besetztem?) ‚realem Leben‘ und (negativ besetzten?) schulischen Inhalten“ (174) ausgegangen wird.

Im letzten Teil des Bandes resĂŒmieren Kleinknecht, Bohl, Maier und Metz in einem abschließenden Beitrag die Auseinandersetzungen der einzelnen Fachdidaktiker mit dem von ihnen entwickelten allgemeindidaktischen Kategoriensystem fĂŒr die Analyse von Aufgaben. Dabei verweisen sie u.a. darauf, dass alle Fachdidaktiker „die fachdidaktische Relevanz der Kategorien aus einer theoretischen Perspektive“ (207) bestĂ€tigen und „dass mit den Kategorien ein differenzierter Blick auf das kognitive Potential von Aufgaben möglich ist“ (207). Zugleich rĂ€umen sie aber auch ein, dass Kritik an zu geringer fachlicher bzw. fachdidaktischer SpezifizitĂ€t und unterrichtsbezogenen, didaktischen Fragestellungen vorgebracht wurde. Vor dem Hintergrund der von den Fachdidaktikern vorgetragenen Kritik bzw. ihrer Hinweise zur Revision diskutieren die Wissenschaftler schließlich sowohl in Hinblick auf die einzelnen Kategorien des Kategoriensystems als auch in Hinblick auf das Kategoriensystem als Ganzes Perspektiven fĂŒr die Weiterentwicklung und berichten u.a., dass hierzu kĂŒnftig insbesondere auch Daten von Teilnehmern an entsprechend abgestimmten Aus- und Fortbildungen systematisch genutzt werden sollen.

Alles in allem bietet der vorliegende Herausgeberband dem Leser nicht nur einen umfassenden Einblick in allgemein- und fachdidaktische Auseinandersetzungen mit Aufgaben. Die beispielhaften Analysen von Aufgaben aus verschiedenen FĂ€chern, die – wie es die Herausgeber betonen – als „kriterienorientierte Interpretation und nicht als Musterlösung“ (41) zu verstehen sind, laden den Leser hierĂŒber hinaus geradewegs zu einer intensiven – und durchaus auch kritischen – Auseinandersetzung mit den vorliegenden Aufgaben und deren EinschĂ€tzungen ein. Der Band dĂŒrfte daher gerade auch im Bereich der Lehrerbildung seinen Platz finden.

Besondere Beachtung verdient daneben das realisierte Vorgehen, ausgehend von allgemeindidaktischen Überlegungen, die durchaus fachdidaktische Anleihen besitzen, Fachdidaktiker verschiedener SchulfĂ€cher um EinschĂ€tzungen zu bitten und diese schlussendlich wieder auf die allgemeindidaktischen Überlegungen zu beziehen. Impulse fĂŒr die Weiterentwicklung allgemein- und fachdidaktischen Denkens – bzw. wie in diesem Fall fĂŒr die Weiterentwicklung eines allgemeindidaktischen Kategoriensystems – sind von einem solchen Vorgehen gleichermaßen zu erwarten. Daher wĂ€re eine Etablierung dieser Form des Austausches zwischen Allgemeiner Didaktik und Fachdidaktik fĂŒr die Zukunft wĂŒnschenswert. Dieser Austausch hĂ€tte im vorliegenden Band dabei sicherlich davon profitieren können, wenn auf einer Metaebene expliziert worden wĂ€re, welche Aspekte der fachdidaktischen Diskussionen fĂŒr die allgemeindidaktischen Auseinandersetzungen fruchtbar genutzt werden können und welche Aspekte – aufgrund der besonderen Perspektive der Allgemeinen Didaktik – weniger BerĂŒcksichtigung finden mĂŒssen. Dies wird leider im letzten Teil des Buches nur implizit deutlich.

Abschließend gilt es festzuhalten, dass der fĂŒr die Allgemeine Didaktik vorgestellte Ansatz, Aufgaben kategorial zu bewerten, mit Blick auf die in den Fachdidaktiken gefĂŒhrten Diskurse durchaus anschlussfĂ€hig ist. Trotz der besonderen Bedeutung von Aufgaben in Schule und Unterricht stellt sich jedoch die Frage, inwieweit durch derartige (sowohl allgemein- als auch fachdidaktische) Kategoriensysteme nicht einem konzeptionell hoch aufgeladenen Aufgabenbegriff Vorschub geleistet wird, wĂ€hrend zugleich andere Aspekte der Gestaltung von Lehr-Lern-Umgebungen zu wenig Aufmerksamkeit erfahren. Auch an diesem Punkt sollte ein Nachdenken ĂŒber den Beitrag der Allgemeinen Didaktik zu den Themen “Aufgabenkultur“ und „Aufgaben“ ansetzen.
Stefan Schmit (Oldenburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Stefan Schmit: Rezension von: Kleinknecht, Marc / Bohl, Thorsten / Maier, Uwe / Metz, Kerstin (Hg.): Lern- und Leistungsaufgaben im Unterricht, FĂ€cherĂŒbergreifende Kriterien zur Auswahl und Analyse. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2014), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978378151930.html