EWR 15 (2016), Nr. 2 (März/April)

Germo Zimmermann
Anerkennung und Lebensbewältigung im freiwilligen Engagement
Eine qualitative Studie zur Inklusion benachteiligter Jugendlicher in der Kinder- und Jugendarbeit
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2015
(321 S.; ISBN 978-3-7815-2005-9; 46,00 EUR)
Anerkennung und Lebensbewältigung im freiwilligen Engagement Wie kann gesellschaftliche Teilhabe benachteiligter Jugendlicher gelingen, wie die Vererbung sozialer Armut durchbrochen werden? Diese Fragen sind mehr denn je von gesellschaftlichem wie wissenschaftlichem Interesse. Freiwilliges Engagement zeichnet sich dabei als Quelle der Anerkennung und Lebensentwicklung für die Engagierten aus. Bildungsferne Schichten sind in Bezug auf freiwilliges Engagement jedoch stark unterrepräsentiert, sodass dieses primär bildungsbürgerliche Domäne bleibt.

Germo Zimmermann setzt sich in seiner Dissertation mit der Thematik der Anerkennung und Lebensbewältigung im freiwilligen Engagement kritisch auseinander. Im Hinblick auf die Bereiche freiwilliges Engagement, benachteiligte Jugendliche, verbandliche Kinder- und Jugendarbeit sowie soziale Inklusion stellt er die Frage: Wie gelingt es, Jugendliche aus benachteiligten Kontexten für freiwilliges Engagement zu gewinnen und nachhaltig zu fördern?

An eine Einführung in die Thematik, schließt eine sozialwissenschaftliche Grundlegung hinsichtlich der Kernkategorie der qualitativen Studie – der Anerkennung – an. Im dritten Kapitel legt Zimmermann die Methodologie der Studie offen, bevor im vierten und umfassendsten Kapitel die Untersuchungsergebnisse dargestellt und interpretiert werden. Im Forschungsprozess selbst ist die qualitative Studie (Kap. 4) der theoretischen Perspektive (Kap. 2) vorgelagert. Zur besseren Lesbarkeit und Einordnung der Ergebnisse dient jedoch die vom Autor gewählte Gliederung des Werkes, in der der theoretische Teil vor der Studie anordnet ist. Den Schluss bildet das Fazit des Autors mit einem Ausblick für Theorie und Praxis. Der umfangreiche Anhang und die übersichtlichen Abbildungen tragen zum guten Verständnis bei.

Im ersten Teil zeigt Zimmermann auf, dass freiwilliges Engagement Jugendlichen zur aktiven, gesellschaftlichen Teilhabe verhilft und eine bedeutsame Ressource für die Entwicklung von Jugendlichen darstellt. Wer sich als Jugendlicher freiwillig engagiert, tut dies oftmals auch als Erwachsener. Weiter führt er aus, dass Kinder- und Jugendarbeit ein zentraler Ort des freiwilligen Engagements ist – speziell im Rahmen von Jugendverbänden. Das Engagement bildungsferner Jugendlicher (19%) ist jedoch signifikant niedriger als bei Gleichaltrigen mit höherem Bildungsstatus (44%). Die qualitative Erforschung von Wegen, wie die Aktivierung zum Engagement gelingen kann, blieb bislang aus. Hier besteht das Anliegen des Autors.

Das zweite Kapitel nimmt den Begriff der Anerkennung als wesentliche Kategorie der Studie in den Blick. Dabei geht der Autor zunächst auf das Zwei-Kreise-Modell der biografischen Lebensbewältigung vom Böhnisch ein. Dieses setzt er in Beziehung zur Armutstypologie Schüttes sowie zu Bourdieus Kapitaltheorie und legt plausibel dar, dass Anerkennung auf intersubjektiver und zugleich auf institutioneller Ebene von Nöten ist, um den Kreislauf der Vererbung sozialer Armut zu durchbrechen. Im Anschluss wird die sozialphilosophische Anerkennungstheorie nach Honneth dargestellt. Zimmermann setzt sich in diesem Zuge kurz mit der Kritik an Honneths überstrapaziertem Anerkennungsbegriff auseinander. Letztlich übernimmt er, in Anlehnung an die Weiterentwicklung durch Jungblut, Honneths Theorie. Dieser Schritt ermöglicht dem Autor in der Studie einen vertiefenden Zugang zu gelingender oder misslingender Anerkennung im freiwilligen Engagement. Die Anerkennungstheorien selbst wurden erst nach der Analyse der Interviews und der Entwicklung des Modells der Inklusion durch Anerkennung im freiwilligen Engagement einbezogen.

Anschließend wird die Methodologie der Forschung offengelegt. Die qualitative Studie basiert dabei auf der Grounded Theory. Als Erhebungsmethode wählt Zimmermann das Problemzentrierte Interview (PZI). Durch absichtsvolle Fallauswahl werden 14 im Jugendverband CVJM engagierte, benachteiligte Jugendliche ausgesucht. Die Auswertung der Daten geschieht auf Grundlage des Integrativen Basisverfahrens (IB), einer text-hermeneutischer Methode, die in drei Phasen verschiedene Verfahren sozialwissenschaftlicher Interviewanalyse verbindet.

Kern der Publikation sind die empirischen Ergebnisse im vierten Kapitel. Als Ausgangspunkt der Untersuchung wird die Instabilität der engagierten Jugendlichen fokussiert (Familienverhältnisse, soziale Ausgrenzung etc.).Von hier aus wird, als Ziel der Untersuchung, soziale Inklusion in den Blick genommen (Persönlichkeitswachstum, gesell. Integration etc.). Als Weg von Instabilität zu sozialer Inklusion geht Zimmermann den drei Arten von Anerkennung nach Honneth (Zugehörigkeit, Partizipation und Wertschätzung) bei den Jugendlichen nach. Hier bietet die Studie eine gelungene Verbindung aus Zitaten der Probanden, die dem Leser „direkten“ Feldzugang ermöglichen, und wissenschaftlicher Darstellung und Analyse zum tieferen Verständnis. So hält Zimmermann fest, dass Jugendliche aus instabilen Lebenskontexten durch die dreifache soziale Anerkennung im freiwilligen Engagement soziale, kulturelle und teils ökonomische Ressourcen zur Lebensbewältigung empfangen. Teilhabe und gesellschaftliche Integration wird ermöglicht.

Im letzten Kapitel fasst Zimmermann die zehn wichtigsten Ergebnisse zusammen als Grundlage für entsprechende Handlungsempfehlungen an Praxis, Politik und Forschung. Er verdeutlicht den Bedarf an Handlungskonzepten auf Mikro-, Meso und Makroebene. Dabei geht er auf die drei Arten von Anerkennung und auf die vier Armutstypen nach Schütte ein, wenn er aufzeigt, dass und inwiefern Anerkennung im freiwilligen Engagement die Inklusion benachteiligter Jugendlicher ermöglicht und fördert.

Der Autor bietet mit der Kombination aus sozialwissenschaftlicher Grundlegung und qualitativer Untersuchung eine lohnenswerte Auseinandersetzung mit der Thematik. Er zeigt nicht nur Hindernisse auf, sondern eröffnet Wege zu gelingender Inklusion. Die empirische Studie führt den Leser in den Kontext der Untersuchung und die Lebenswelt benachteiligter Jugendlicher. So bietet Zimmermann gerade in Kinder- und Jugendarbeit engagierten Lesern die Möglichkeit, auf individueller wie auf institutioneller Ebene weiterzudenken. Gleichzeitig fordert die Auseinandersetzung die Forschung zur wissenschaftlichen Vertiefung auf. Es wirkt zwar plausibel, dass Anerkennung eine bedeutende Rolle in Bezug auf gelungenes Engagement hat. Zugleich stellt sich die Frage, welche weiteren Bereiche für gelingende Inklusion durch freiwilliges Engagement bedeutsam sind.

Zimmermann hält letztlich fest, dass freiwilliges Engagement benachteiligter Jugendlicher Inklusion ermöglicht. Dazu ist Anerkennung auf mehreren Ebenen wichtig, um den Kreislauf der Vererbung sozialer Armut zu durchbrechen. Allerdings muss an dieser Stelle kritisch angemerkt werden, dass der Autor unter dem Begriff der Inklusion – gerade im Hinblick auf das soziale Kapital der Jugendlichen – sowohl inklusive als auch integrative Aspekte subsumiert. So werden Sozialintegration in bestehende Gruppen des CVJM sowie gesellschaftliche Integration als Teile von Inklusion ausgeführt. Anerkennung im freiwilligen Engagement ermöglicht zunächst, dass Jugendliche einen Platz in bestehenden Systemen finden. Dass tatsächlich Inklusion geschieht und sich die Systeme ebenfalls verändern, scheint durch Anerkennung allein nicht möglich. Möglicherweise wäre der Begriff der Integration angebrachter gewesen.

Insgesamt stößt Zimmermann mit der qualitativen Untersuchung in eine wichtige Forschungslücke – das Gelingen freiwilligen Engagements benachteiligter Jugendlicher in der Jugendverbandsarbeit. Die Ergebnisse dieses interdisziplinären Werks liefern einen Beitrag in den drei Bereichen der Jugend-, der Engagement- sowie der Armuts- und Benachteiligungsforschung. Speziell für den Diskurs zum freiwilligen Engagement zeigt die Studie drei neue bzw. vertiefende Aspekte auf. Zunächst die Forderung nach professioneller Unterstützung und Förderung von Jugendlichen aus instabilen Lebenslagen durch Hauptamtliche. Des Weiteren den wichtigen Beitrag des Engagements für die eigene Lebensbewältigung und in diesem Zusammenhang gerade in Zeiten zunehmend instabiler Familienverhältnisse die Wertevermittlung durch Träger freiwilligen Engagements.

Fazit: ein sehr lesenswertes Werk voller relevanter und herausfordernder empirischer Ergebnisse, das wünschenswerterweise den gesellschaftlichen Diskurs belebt und Eingang in die Evaluation pädagogischer Praxis in der Kinder- und Jugendarbeit finden sollte.
Daniel Wegner (Marburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Daniel Wegner: Rezension von: Zimmermann, Germo: Anerkennung und Lebensbewältigung im freiwilligen Engagement, Eine qualitative Studie zur Inklusion benachteiligter Jugendlicher in der Kinder- und Jugendarbeit. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2015. In: EWR 15 (2016), Nr. 2 (Veröffentlicht am 24.03.2016), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978378152005.html