EWR 18 (2019), Nr. 5 (November/Dezember)

Marco Adamina / Markus Kübler / Katharina Kalcsics / Sophia Bietenhard / Eva Engeli (Hrsg.)
"Wie ich mir das denke und vorstelle..."
Vorstellungen von Schülerinnen und Schülern zu Lerngegenständen des Sachunterrichts und des Fachbereichs Natur, Mensch, Gesellschaft
Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt 2018
(327 Seiten; ISBN 978-3-7815-2257-2; 19,90 EUR)
"Wie ich mir das denke und vorstelle..." Kinder können anhand verschiedener Phänomene ihrer Lebenswelten sehr unterschiedliche Erfahrungen machen, die ihre Vorstellungen und Kenntnisse zu diesen prägen. Um sie im schulischen Kontext zu unterstützen, (weiteres) tragfähiges Wissen über ihre Lebenswelt(en) aufbauen und anwenden zu können, sich Methoden zur Welterschließung anzueignen und ihr Welt- und Selbstverhältnis zu verändern, müssen ihre Vorstellungen für die Planung von Unterricht stets berücksichtigt werden. Dabei ist eine ausreichend tiefe Einsichtnahme in die fachbezogenen Vorstellungen von Kindern Voraussetzung für gezielte individuelle Unterstützungen seitens der Lehrkräfte.
Für den gegenwärtigen Sachunterricht ist das Ausgehen von sowie das Umgehen mit den unterschiedlichen Vorstellungen der Kinder bedeutend, da er die Lebenswelten der Kinder zum Unterrichtsgegenstand macht und darauf abzielt, sie bei der Erschließung dieser Welten zu unterstützen (vgl. z.B. Kahlert 2014, S. 505). Innerhalb der Sachunterrichtsdidaktik besteht Konsens darüber, dass den Kindervorstellungen dementsprechend Raum innerhalb des Lehr-Lern-Prozesses gegeben werden sollte.

Um den Leser/innen einen Einblick darin zu geben, was Kinder über die Welt und ihre Phänomene denken (könnten), sammeln die Herausgeber/innen im vorliegenden Band ausgewählte Ergebnisse von Forschungen zu „domänenspezifischen Vorstellungen der Kinder über die Welt“ (9). Die Beiträge des Bandes beziehen sich sowohl auf den Sachunterricht in Deutschland als auch auf den Natur-Mensch-Gesellschafts-Unterrichts (folglich mit NMG abgekürzt) der deutschsprachigen Schweiz und fassen den aktuellen Forschungsstand in diesen Bereichen aus unterschiedlichen Perspektiven zusammen. Durch die zusammengetragenen Einblicke in die verschiedenen „fachdidaktischen und lernpsychologischen Konzepte[.] und Forschungen“ (S. 15) wird insgesamt die Relevanz von Schüler/innenvorstellungen für Lehr-Lern-Prozesse beleuchtet.

Der Band beginnt mit drei Beiträgen, die für ein tieferes Verständnis der Folgebeiträge bedeutsam sind. Hardy & Meschede setzen sich mit lern- und entwicklungspsychologischen Grundlagen von Schüler/innenvorstellungen auseinander und zeigen, dass Fähigkeiten von Kindern im Bereich des schlussfolgernden sowie abstrakten Denkens lange unterschätzt worden sind. Weiter erklären die Autorinnen, dass sich kindliche Vorstellungen in einem „langwierigen Prozess der Ausdifferenzierung und Umstrukturierung vorhandenen Wissens“ (25) entwickeln, in dem Instruktionen der Lehrenden kaum Wirkung zeigen. Neben dem Kohärenz- sowie dem Fragmentierungsansatz gehen die Autorinnen auf metabegriffliches Wissen ein und stellen Ergebnisse diverser Forschungen vor. Möller widmet sich in ihrem Beitrag der ‚historischen‘ Entstehung des Begriffes der Schüler/innenvorstellungen und seiner Bedeutungen. Dabei klärt sie alternative Bezeichnungen und bringt eine kurze eigene Definition von Schüler/innenvorstellungen an (37). Sie erläutert die Bedeutung von Schüler/innenvorstellungen für die Ansätze des Conceputal Change, des Scaffolding und der soziokulturellen Theorie Wygotskis, leitet Folgerungen für den Umgang mit Schüler/innenvorstellungen bei der Planung von Sachunterricht ab und konkretisiert diese an methodischen Beispielen.

Hartinger & Murmann führen in ihrem Beitrag Möglichkeiten zur Erhebung von Schüler/innenvorstellungen an und verdeutlichen, dass die Lernenden unterstützt werden müssen, sich ihrer Vorstellungen bewusst zu werden und diese mit ggf. neuen Ideen in Verbindung bringen zu können (51). Neben Unterscheidungsmerkmalen von Schüler/innenvorstellungen führen die Autor/innen diagnostische Methoden zur Gewinnung sowie zur Erschließung von diesen an (z.B. Interviews ergänzt um Kinder-Zeichnungen, Gruppendiskussionen). Abschließend unterbreiten sie Vorschläge für Lehrkräfte zur Erschließung und Nutzung der Vorstellungen für die eigene Unterrichtsplanung (59f.).

Den drei allgemeinen Beiträgen folgen dreizehn spezifische Beiträge, in denen Schüler/innenvorstellungen innerhalb verschiedener Kompetenz- und Themenbereiche des Sach- und NMG-Unterrichts vorgestellt werden. Von diesen sind vier Beiträge der sozialwissenschaftlichen, vier der naturwissenschaftlichen, vier der geographischen, zwei der historischen und eine der technischen Perspektive zuzuordnen. Ein Beitrag fokussiert religiöse Präkonzepte. In den verschiedenen Beiträgen führen die jeweiligen Autor/innen neben grundlegenden Konzepten, die in den Perspektiven des Sach- und NMG-Unterrichts verortet sind, relevante Forschungsergebnisse aus quantitativen, qualitativen als auch Mixed-Methods-Studien zu Schüler/innenvorstellungen an und verweisen auf bedeutende Forschungsdesiderate (z.B. Längsschnittstudien zur Konzeptentwicklung, tiefere Analysen von Präkonzepten, Interventionsstudien zur Wirksamkeit eines Schüler/innenvorstellungen berücksichtigenden Unterrichts). Auch leiten die Autor/innen Konsequenzen aus diesen Ergebnissen für die Unterrichtsplanung und -gestaltung ab, womit die pädagogische Relevanz der empirischen Ergebnisse illustriert wird. Die Beiträge sind „in der Anlage und in der Darstellung der Ergebnisse aus der Erforschung von Schülerinnen- und Schülervorstellungen, den ausgewählten inhaltlichen Aspekten oder der Forschungsmethoden und Probandengruppen“ (13) z.T. sehr unterschiedlich, was die Herausgeber/innen mit unterschiedlichen Ausgangslagen bzw. Forschungsständen zu Schüler/innenvorstellungen innerhalb der beteiligten Fachdidaktiken respektive derer Bezugsdisziplinen und ihrer Didaktiken begründen (ebd.).

Der Band wird durch einen weiteren allgemeinen Aufsatz zu Schüler/inneninteressen an Themen des Sach- und NMG-Unterrichts abgeschlossen. In diesem Beitrag setzt sich Adamina mit dem Zusammenhang von Interesse und dem Entwickeln von Vorstellungen und Konzepten auseinander und zieht Schlussfolgerungen für die Planung von Sach- und NMG-Unterricht.

Allen Beiträgen des Bandes ist gemein, dass den Vorstellungen der Kinder eine hohe Relevanz für den individuellen Lernprozess und damit für den zu planenden und reflektierenden Unterricht beigemessen wird. Im Band spiegeln sich unterschiedliche Ansichten über die Art und Weise des unterrichtlichen Umgangs mit Kindervorstellungen im Sachunterrichts- bzw. NMG-Unterrichtsdiskurs wider. Insgesamt verdeutlicht sich der Vorzug, sich der Thematik aus verschiedenen Perspektiven – fachwissenschaftlich, -didaktisch und forschungsmethodisch – anzunähern. Die Ausführungen sowie die vorgestellten Forschungsergebnisse zu den diversen Perspektiven des Sach-und NMG-Unterrichts ermöglichen es der/dem Leser/in, einen tieferen Einblick in mögliche Vorstellungen von Kindern zu bekommen. Weiter erhalten sie Anregungen für Reflexionen der Planung von (eigenem) Unterricht. Das Vorhaben der Herausgeber/innen, einen Überblick über Schüler/innenvorstellungen zu den diversen Bereichen des Sach- und NMG-Unterrichts für Akteur/innen der ersten und zweiten Ausbildungsphase des Lehrer/innenberufs sowie für Fachdidaktiker/innen zu geben, ist ihnen zweifelsohne gelungen. Die Intention des Hervorhebens der Bedeutung von Schüler/innenvorstellung für Lehr-Lern-Prozesse wird bei der Lektüre der einzelnen Beiträge des Bandes deutlich. Durch die unterschiedlichen Perspektiven und Zugänge wird insgesamt eine weitere theoretische, empirische und praktische Auseinandersetzung mit der Thematik angeregt.
Jaqueline Simon (Halle)
Zur Zitierweise der Rezension:
Jaqueline Simon: Rezension von: Adamina, Marco / Kübler, Markus / Kalcsics, Katharina / Bietenhard, Sophia / Engeli, Eva (Hg.): "Wie ich mir das denke und vorstelle...", Vorstellungen von Schülerinnen und Schülern zu Lerngegenständen des Sachunterrichts und des Fachbereichs Natur, Mensch, Gesellschaft. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt 2018. In: EWR 18 (2019), Nr. 5 (Veröffentlicht am 18.12.2019), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978378152257.html