EWR 23 (2024), Nr. 3 (Juli)

Ralf Bohnsack / Andreas Bonnet / Uwe Hericks
Praxeologisch-wissenssoziologische Professionsforschung
Perspektiven aus Früh- und Schulpädagogik, Fachdidaktik und Sozialer Arbeit
Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2022
(496 S.; ISBN 978-3-7815-2533-7; 29,90 EUR)
Praxeologisch-wissenssoziologische Professionsforschung Die Forschung zur Professionalisierung und Professionalität innerhalb der Berufsfelder von Früh- und Schulpädagogik als auch im Berufsfeld der Sozialen Arbeit hat sich in den vergangenen Dekaden vor allem mit Fragen der beruflichen Akteur:innen (insb. Erzieher:innen, Lehrpersonen, Sozialpädagog:innen) auseinandergesetzt, wobei sowohl das berufsbezogene Wissen als auch Umgangsweisen mit beruflichen Anforderungen eine wesentliche Rolle gespielt haben. Der vorliegende Sammelband „Praxeologisch-wissenssoziologische Professionsforschung“ von Ralf Bohnsack, Andreas Bonnet und Uwe Hericks (2022) führt jene professionstheoretischen Entwicklungslinien weiter und schließt an den Entwurf Bohnsacks (2020) an, Professionalisierung aus praxeologisch-wissenssoziologischer Perspektive zu entwerfen und damit die bisherigen professionstheoretischen Ansätze zu erweitern [1]. Die darin ausgearbeitete theoretische Perspektive ergänzt v.a. den bisher dominanten Fokus auf die professionellen Akteur:innen u.a. um eine praxeologisch-wissenssoziologische Professionstheorie, die die Bedingungen des Interaktionszusammenhangs von Akteur:innen und Klientel mitverhandelt. Der Band rückt in seiner feldübergreifenden Anlage und multidisziplinären Perspektive aus bisherigen, eher disziplingetrennten Diskursen um Professionalisierung hervor.

Nach dem Aufschlag von 2020 folgt mit dem hier besprochenen Sammelband der Versuch, eine von der Empirie gesättigte kontrastierende Perspektive auf drei Handlungsfelder einzunehmen. Die metatheoretischen Grundlagen der Praxeologischen Wissenssoziologie werden dabei v.a. in Bezug zur jeweils relevant werdenden Organisation diskutiert. Leitend ist der Versuch, zum einen eine Trennung von analytischer und normativer Dimension zu vollziehen, um die Praxis zunächst rekonstruktiv zu erschließen, bevor im Anschluss daran bewertet wird, ob es sich um eine professionelle Praxis handelt (oder eben nicht). Zum anderen wird die habitualisierte Praxis im Wechselspiel mit (organisationalen) Normen betrachtet.

Die Systematisierung des Bandes orientiert sich entlang der transdisziplinären Verbindung der Diskurse um Professionalisierung: Die vier Bereiche gliedern sich in zwei einleitende Beiträge der Herausgeber, in zehn Beiträge aus Perspektive der Schulpädagogik und Fachdidaktik, in fünf Beiträge aus Perspektive der Frühpädagogik sowie drei Beiträgen aus Perspektive der Sozialen Arbeit. Zu den drei Handlungsfeldern gibt es je einen einleitenden Beitrag, die allesamt bestimmte Grundannahmen wie z.B. die Bedeutung der Organisationsstruktur berücksichtigen.

Für den schulpädagogischen Diskurs und das Handlungsfeld Schule differenzieren Andreas Bonnet und Uwe Hericks zunächst die Grundbegriffe Professionalisierung, Professionalität und Professionalisiertheit aus. In den nachfolgenden Beiträgen zeigen die in diesem Abschnitt versammelten Autor:innen anschließend die Variationsbreite professionellen Handelns durch je unterschiedliche Perspektivierungen auf: Die thematische Bandbreite reicht dabei von Leistungsdifferenzen im Mathematikunterricht (Wagener) bis hin zur Bedeutung von Emotionen für den Lehrer:innenberuf (Sotzek). Unter Hinzunahme der berufsbiographischen Perspektive beziehen sich die schulpädagogischen Beiträge nicht nur auf die Schule als solches (Bonnet & Hericks; Bakels; Sturm; Sotzek; Wagener; Wilken), sondern auch auf die Phase des Studienbeginns (Hinzke) bzw. auf die Mentoringbeziehung im Masterstudium (Püster). Neu und noch weniger ausgearbeitet erscheint das Verhältnis von Organisation und Biographie resp. der wahrgenommenen organisationalen Normen und habituellen Auseinandersetzung mit diesen als Ressource (60).

Im Anschluss an den einleitenden Beitrag zur Professionalisierung in der Frühpädagogik (Nentwig-Gesemann, Gerstenberg, Kallfaß & Rothe) setzt sich der zweite Bereich mit dem frühpädagogischen Handlungsfeld auseinander. Die Autor:innen fokussieren die Handlungspraxis der Akteur:innen in direkter Interaktion entlang von Videos (Kallfaß; Rothe) sowie in Team- und Gruppengesprächen (Gerstenberg & Cloos; Nentwig-Gesemann). So werden z.B. sowohl Interaktionspraxen der Zusammenarbeit als auch der Weiterbildung betrachtet. Besonders erhellend ist der Beitrag von Annika Kallfaß. Die Autorin bezieht sich in der empirischen Analyse KiTa-übergreifend auf das Verhältnis von organisationaler Praxis (KiTa) und familiärer Praxis (Familie). Dabei rückt sie das Beziehungsverhältnis zwischen den Eltern und den Frühpädagog:innen in den Vordergrund und betrachtet, wie die Frühpädagog:innen der Herausforderung der Herstellung einer autonomen Verständigung mit den Eltern professionell begegnen. Über die Beiträge hinweg ist besonders der stetige Einbezug der Frage nach der kollegialen Zusammenarbeit und der organisationsbezogenen Ausgestaltung der pädagogischen Praxis bereichernd.

Der einleitende Beitrag für das Handlungsfeld der Sozialen Arbeit stellt abschließend nochmal in prägnanter Weise die Relevanz einer spezifisch auf die pädagogische Handlungspraxis ausgerichteten Rekonstruktion heraus (Kubisch & Franz). Wie bereits für die Schul- und Frühpädagogik herausgearbeitet werden konnte, ergibt sich die Komplexität der Anforderungen, die sich den Akteur:innen stellen, aus dem organisationalen Kontext. Den Autor:innen gelingt es in thematischer Breite herauszustellen, was alles für die Handlungspraxis aus professionstheoretischer Perspektive in den Blick genommen werden kann. Zudem ermöglicht die Hinzunahme der Breite des sozialpädagogischen Feldes, die sich mitunter entlang der Klientel (aus-)differenzieren lässt, eine besondere Schärfung der Professionstheorie durch die vielfältigen Kontrastierungsmöglichkeiten innerhalb der Sozialen Arbeit als auch mit der Schul- und Frühpädagogik. Die empirischen Beiträge forcieren, wie die Professionellen mit der Klientel eine gemeinsame Handlungspraxis herstellen und beleuchten, welche Bedingungen für ein professionalisiertes Milieu von Bedeutung sind. So beleuchtet Julia Franz für die Kinder- und Jugendhilfe, dass die Urteilsbildung der Professionellen wesentlich von der Reflexion kontingenter Praxen mitbestimmt ist. Dabei gerät auch De-Professionalisierung in den Blick, z.B. wenn die Professionellen das Handeln ihrer Klientel ohne Sach- und Alltagsbezug beurteilen.

Die besondere Stärke des Bandes liegt in der Vielzahl interner Quer- und Rückverweise über die kontrastierenden Handlungsfelder hinweg, sodass die praxeologisch-wissenssoziologische Professionstheorie empirisch fundiert weiterentwickelt und differenziert werden kann. Gerade die theoretisch einführenden, aber auch die empirischen Beiträge eröffnen durch ihre methodisch-methodologische Schärfe weitere Anknüpfungspunkte für den professionstheoretischen Diskurs. Die Darstellungen von Bedingungen für Professionalisierung in der jeweiligen Berufspraxis stellt die Möglichkeit dar, einen ersten Zugang zum empirischen Verständnis des Zusammenhangs von Professionellen, Klientel und Organisation zu bekommen. An dieser Stelle lässt sich auch das Potenzial weiterer Anschlussmöglichkeiten z.B. für die Übergangsforschung oder die Biographieforschung in Hinblick auf die herausgearbeiteten Normen der jeweiligen Organisation ausmachen. Der große Mehrwert des Bandes liegt aus einer Forschungsperspektive zu Professionalisierung gesprochen v.a. darin, dass die disziplinübergreifende Ausgestaltung durch die Komparation Spezifika, aber auch grundlegende Gemeinsamkeiten über die Handlungsfelder deutlich macht. Dieser Band ist allerdings mit den metatheoretischen Kategorien der Praxeologischen Wissenssoziologie durchaus voraussetzungsreich und eignet sich damit v.a. für eine vertiefte Auseinandersetzung mit Professionstheorie. Den mit der Dokumentarischen Methode und ihrem Vokabular vertrauten Leser:innen sei der Band zur (kursorischen) Lektüre empfohlen.

[1] Bohnsack, R. (2020). Professionalisierung in praxeologischer Perspektive. Zur Eigenlogik der Praxis in Lehramt, Sozialer Arbeit und Frühpädagogik (1. Auflage). Barbara Budrich.
Viveca Pasternak (Halle)
Zur Zitierweise der Rezension:
Viveca Pasternak: Rezension von: Bohnsack, Ralf / Bonnet, Andreas / Hericks, Uwe: Praxeologisch-wissenssoziologische Professionsforschung, Perspektiven aus Früh- und Schulpädagogik, Fachdidaktik und Sozialer Arbeit. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2022. In: EWR 23 (2024), Nr. 3 (Veröffentlicht am 14.08.2024), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978378152533.html