EWR 13 (2014), Nr. 1 (Januar/Februar)

Mareike Kunter / Ulrich Trautwein
Psychologie des Unterrichts
Paderborn: Schöningh (UTB) 2013
(204 S.; ISBN 978-3-8252-3895-7; 18,99 EUR)
Psychologie des Unterrichts Der Band ist in der Reihe „Standardwissen Lehramt“ erschienen und richtet sich ausdrücklich an Lehramtsstudierende, denen unterrichtspsychologisches Basiswissen vermittelt werden soll. Stilistisch wählen die Mareike Kunter und Ulrich Trautwein die direkte Ansprache der Leserinnen und Leser, einen eher ungewöhnlichen Weg, der hier aber durchgängig überzeugt.

Gleich im ersten Kapitel wird ein „Rahmenmodell“ (modifiziertes Angebots-Nutzungs-Modell nach Helmke) eingeführt, das die Faktoren, die an Unterricht beteiligt sind und sich auf den Erwerb von Kompetenzen bei den Lernenden auswirken, in einen Zusammenhang stellt (Rahmenbedingungen, Familie, Lehrperson, Lernpotenziale). Gemäß diesem Modell stellt Unterricht ein Angebot dar, das von Lernenden mehr oder weniger stark genutzt wird; als Erträge resultieren aus der Angebotsnutzung Kompetenzen. Unter den möglichen Erträgen von Unterricht werden die kognitiven Lernerträge als Schwerpunkt des Bandes herausgestellt, soziale und emotionale Lernziele oder der Umgang mit schwierigen Unterrichtssituationen werden dagegen weitgehend ausgespart. Möglicherweise weckt der Titel des Buches bei einigen Lesenden weiter reichende Erwartungen, die durch diese Schwerpunktsetzung zwangsläufig enttäuscht werden.

Das Rahmenmodell gibt die Struktur für das gesamte Buch vor; die Kapitel 2 bis 7 widmen sich der Erläuterung der in dem Modell enthaltenen Faktoren, wobei sich die Darstellung durchgängig an aktuellen Forschungsbefunden orientiert. Auf die Einordnung der jeweils behandelten Inhalte in das Rahmenmodell wird oftmals explizit im Text hingewiesen, Stichworte am Rand können ebenfalls (in den einzelnen Kapiteln unterschiedlich gut) genutzt werden.

Zunächst werden „Voraussetzungen für gelingende Lernprozesse“ auf Seiten der Lernenden thematisiert, insbesondere die Bedeutung des Vorwissens und der aktiven Informationsverarbeitung werden hervorgehoben. So wird deutlich, warum es wichtig ist, an Vorwissen anzuknüpfen, Interessen aufzugreifen oder das Erleben von eigener Kompetenz und von Bedeutsamkeit der Inhalte zu fördern.

Der zum Thema „Lernen als sozialer Prozess“ unternommene Ausflug in die soziokonstruktivistischen Theorien wirkt dagegen weniger gelungen. Die wesentliche Erkenntnis des Kapitels liegt in der Feststellung, dass Lernen nicht im luftleeren Raum, sondern in sozialen Bezügen stattfindet. Ansonsten wirft das Kapitel mehr Fragen auf, als es beantwortet. So wird die konzeptuelle Abgrenzung zu Theorien der Informationsverarbeitung nicht hinreichend klar. Dass die Begriffe „Konzept“ und „Schema“ – Grundbegriffe des Informationsverarbeitungsansatzes – im Kontext der soziokonstruktivistischen Theorien eingeführt werden, trägt zur Konfusion bei. Später werden beide Ansätze als einander ergänzend bezeichnet, wobei der Informationsverarbeitungsansatz den Weg der Informationen im Gedächtnis fokussiere, der soziokonstruktivistische Ansatz dagegen „die Prozesse, die überhaupt dazu führen, dass wir uns mit Informationen beschäftigen“ (42) Aber auch diese Auslagerung von Motivation in die soziokonstruktivistischen Ansätze bzw. die Reduktion letzterer auf die Erforschung von Motivation geht an der Forschungsrealität vorbei und hilft Lehrkräften in der Praxis wenig.

Das dritte Kapitel analysiert den Unterricht selbst als Lerngelegenheit. Die für viele Leser/innen vermutlich überraschende Botschaft ist hier, dass äußeren Merkmalen, wie Organisationsformen, Methoden und Sozialformen (den „Sichtstrukturen“), weniger Einfluss auf die Lernerfolge zukommt als dem Umgang mit Lernzeit, dem Ausmaß an kognitiver Aktivierung und der individuellen Unterstützung (den „Tiefenstrukturen“). Das anschließende Kapitel fokussiert Klassenführung, Potential zur kognitiven Aktivierung und konstruktive Unterstützung als wichtige Tiefenstrukturen. So wird umrissen, wie ein effektives „Classroom Management“ umgesetzt werden kann. Vielleicht hätte ein praxisbezogenes Buch für Lehramtsstudierende bei diesem für gelingenden Unterricht erwiesenermaßen hoch bedeutsamen Merkmal etwas ausführlicher sein können, hier wären auch konkrete erzieherische Maßnahmen oder Befunde zu den Effekten gelungener und misslungener Lehrer-Schüler-Interaktionen integrierbar gewesen. Der Hinweis auf ein in den USA verbreitetes Programm zum effektiven Training der Klassenführungskompetenz lässt angehende Lehrkräfte in Deutschland vermutlich etwas ratlos zurück. Die Themen kognitive Aktivierung und konstruktive Unterstützung werden dagegen ausführlich und anschaulich behandelt.

Nach den Tiefenstrukturen werden „Unterrichtsmethoden“ als Sichtstrukturen aufgegriffen, „die das Potenzial besitzen qualitätvolle Tiefenstrukturen zu schaffen“ (106). Hier lässt sich lernen, dass nicht eine Methode per se anderen Methoden überlegen ist, sondern dass es immer darauf ankommt, inwieweit eine Methode tatsächlich effektives Lernen ermöglicht. Je nach Lernziel und Voraussetzungen der Lernenden können sich verschiedene Methoden am besten eignen. Kooperatives Lernen ist z.B. nur dann effektiv, wenn echte Gruppenaufgaben formuliert werden, die sich nicht genauso gut alleine lösen lassen und eine positive Interdependenz zwischen den Lernenden bei zugleich individueller Verantwortlichkeit geschaffen werden kann. Bei hoch strukturierten Inhalten oder bei Lernenden mit geringen Vorkenntnissen können Formen des lehrerzentrierten Unterrichts, wie die direkte Instruktion, zu besonders guten Ergebnissen führen. Die Forderung nach Methodenvielfalt findet somit in der nachvollziehbar dargestellten empirischen Befundlage ihre Begründung.

Erfolgreiche Unterrichtsgestaltung ist erlernbar – das ist die ermutigende Botschaft des sechsten Kapitels, in dem die „professionelle Kompetenz von Lehrkräften“ thematisiert wird. Die Darstellung setzt an den „Standards für die Lehrerbildung“ an und verdeutlicht, welche Kompetenzen von den angehenden Lehrkräften zu erwerben sind: fachliches, fachdidaktisches und pädagogisch-psychologisches Wissen, aber auch professionelle Überzeugungen, Motivation und Selbstregulation. Das abschließende Kapitel wirft einen kurzen Blick auf einige „Rahmenbedingungen“ von Unterricht, die sich als Einflussfaktoren für Lernerfolg erwiesen haben: Klassenzusammensetzung, Schulform, Schulklima, regionaler Kontext, familiäre Herkunft und kulturelle Rahmenbedingungen. Diese Kapitel regt sicherlich zum Nachdenken an, gibt aber wenig praxisrelevante Hinweise für den Umgang mit etwaigen Problemlagen.

Aus unserer Sicht liegt eine große Stärke des Buches in seiner klaren und eingängigen Strukturierung. Das eingangs vorgestellte Rahmenmodell erleichtert die Aufnahme und Integration des vermittelten Wissens. Auch die durchgängig „empirische Orientierung" überzeugt. Die Integration empirischer Befunde ist gelungen: Sie dient der Veranschaulichung und kommt ohne methodische Details und weitgehend ohne Zahlen aus. Das Buch hätte gern noch etwas umfangreicher sein dürfen (relevante Themen, wie Bezugsnormorientierungen oder Ursachenzuschreibungen, könnten dann enthalten sein). Man mag sich aber damit trösten, dass eine Zusammenstellung weiterführender Literatur und praktischer Ratgeber angefügt ist.

Auch die formale Gestaltung des Bandes gefällt. So werden die Leser/innen wiederholt durch Aufgaben im Text kognitiv aktiviert (ob man für die Bearbeitung im Buch selbst Zeilen vorsehen muss, ist sicherlich Geschmackssache). Im Sinne eines „Advance Organizers“ wird eine Vorschau auf die Inhalte der Kapitel gegeben, und jedes Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung. Die am Rand platzierten Stichworte werden in einem alphabetischen Stichwortregister zusammengestellt. Durch Hinweise auf Internetquellen wird ergänzendes Material erschließbar.

Im Schlussfazit drücken Kunter und Trautwein die Hoffnung aus, dass das Buch nicht nur die professionelle Kompetenz angehender Lehrkräfte fördert, sondern auch dazu anregt, die eigenen Überzeugungen über Unterrichtsqualität zu reflektieren. Beiden Zwecken scheint uns der Band gut zu dienen.
Elke Heise & Barbara Thies (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Elke Heise & Barbara Thies: Rezension von: Kunter, Mareike / Trautwein, Ulrich: Psychologie des Unterrichts. Paderborn: Schöningh (UTB) 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2014), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978382523895.html