EWR 20 (2021), Nr. 2 (März/April)

Ingrid Gogolin / Marianne Krüger-Potratz
Einführung in die Interkulturelle Pädagogik
Geschichte, Theorie und Diskurse, Forschung und Studium
Opladen: Barbara Budrich 2020
(350 S.; ISBN 978-3-8252-8606-4; 23,36 EUR)
Einführung in die Interkulturelle Pädagogik Ingrid Gogolin (Hamburg) und Marianne Krüger-Potratz (Münster, i. R.) geben in dieser dritten, vollständig überarbeiteten Auflage, die Teil der Reihe „Einführungstexte Erziehungswissenschaft“ ist, eine detaillierte Einführung in die Interkulturelle Pädagogik in Deutschland. Sie gehen auf die Frage ein, welche Herausforderungen die gesellschaftliche Heterogenität für die Pädagogik, Schule, Bildung und Erziehung mit sich bringt. Dabei wird das gesamte Feld der Interkulturellen Pädagogik abgesteckt – von der Geschichte und den wichtigsten Theorien und Konzepten, über aktuelle Forschungsfelder bis hin zu Orientierungshilfen für Forschung und Studium. Das Werk bietet somit einen umfassenden, grundlegenden und zugleich verständlichen Grundlagentext für Studierende der Erziehungs- und Bildungswissenschaft sowie des Lehramts, aber auch für Nachwuchsforscher/-innen und pädagogische Praktiker/-innen. Die Inhalte wurden im Vergleich zur vorherigen Auflage mit den neuesten Forschungsergebnissen und aktuellen Diskursen angereichert. Ein zusätzliches Kapitel wurde der „Sprache und Mehrsprachigkeit als zentrale Themen der interkulturellen Pädagogik“ gewidmet; dies deutet auf die Aktualität und die zunehmende Relevanz der Berücksichtigung und Förderung sprachlicher Diversität in Bildungsinstitutionen sowie den Bedarf an zusätzlicher Forschung.

Ausgehend vom raschen – auch medial bedingten – sozialen und kulturellen Wandel und Prozessen der Super-Diversität, insbesondere mit Blick auf sich verändernde kulturelle und sprachliche Praktiken Heranwachsender, geben Gogolin und Krüger-Potratz im ersten Kapitel eine Einführung in die Herausforderungen interkultureller Pädagogik für Bildungsinstitutionen. Sie gehen auf internationale Migrationen ein, legen das Verständnis von „Migrant/innen“ sowie von „Migrationshintergrund“ dar und zeigen auf, dass Migrationen kein neues Phänomen darstellen, aber wiederkehrende positiv oder negativ konnotierte Kontroversen auslösen. Die Interkulturelle Pädagogik, so die Autorinnen, richtet ihr Augenmerk auf gerechte Lebens- und Bildungschancen für alle, unabhängig von der sozioökonomischen und geografischen Herkunft, und unterstützt Bildungsinstitutionen in der bestmöglichen Bewältigung dieser Aufgabe. Damit wird bereits zu Beginn Wert auf den auch praktischen Nutzen des Buches gelegt – und dies zeigt sich als roter Faden im gesamten Werk.

Das darauffolgende Kapitel nutzen Gogolin und Krüger-Potratz, um am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland die historische Komplexität von Migrationsbewegungen und der zugrundeliegenden Motive sowie der sozialen, ökonomischen und politischen Reaktionen darzustellen. Anhand signifikanter Beispiele zeigen sie, dass „auch für Deutschland sprachlich-kulturelle ebenso wie ethnische, nationale und religiöse Heterogenität durch Wanderungsbewegungen oder Grenzverschiebungen der ‚historische Normalfall‘ ist“ (38). Dabei werden nicht nur Zu- und Auswanderung und entsprechende Ursachen, sondern auch Minderheiten und die Unterdrückung ihrer Sprachen berücksichtigt. Besonders hervorgehoben wird, dass sich sprachlich-kulturelle und ethnische Heterogenität nicht zwingend aus der Wanderung von Menschen ergab und ergibt, sondern auch „Grenzen über Menschen hinweg wandern“ (75) und wanderten. Auch wenn die Migrationsgeschichte in Deutschland sehr konfliktreich ist, lassen sich positive Entwicklungen in der Migrationspolitik und vermehrte Akzeptanz für ethnische und kulturell-sprachliche Diversität seit Beginn der 2000er Jahre erkennen.

Dass und wie sich die Interkulturelle Pädagogik im 19. und 20. Jahrhundert als Fachrichtung der Erziehungswissenschaft im Zusammenhang mit der Vergleichenden Erziehungswissenschaft und bildungspolitischen Kontexten entwickelt hat, zeigen Gogolin und Krüger-Potratz im dritten Kapitel. Gerade die Bildung von Nationalstaaten hat in großen Teilen Europas auch die Bildungsinstitutionen im Sinne einer nationalen, sprachlichen, sozio-kulturellen, ethnischen und religiösen Homogenisierung wesentlich beeinflusst. Insofern werden in diesem Teil des Bandes verschiedene, auch gegensätzliche Perspektiven auf das „Eigene“ und das „Fremde“ im Bildungssystem, bildungspolitische Maßnahmen, und Spezialisierungen zum Umgang mit Heterogenität in Erziehung und Bildung deutlich hervorgehoben. Die Autorinnen unterscheiden dabei zwischen der Kolonialpädagogik, dem Grenz- und Auslanddeutschtum, dem Unterricht von Kindern mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit sowie der Zwei- und Mehrsprachigkeit als Problem- und der monolingualen Homogenität als Normalfall. Die von solchen Spezialisierungen „in die Diskurse eingebrachte Denk-, Deutungs- und Argumentationsmuster sind bis in die Gegenwart […] in der Erziehungswissenschaft wie auch in der Interkulturellen Pädagogik wirksam“ (110) und somit auch für die aktuelle Bildungsforschung und -praxis von Bedeutung.

Im vierten Kapitel werden unterschiedliche Ansätze, Konzepte und Problemstellungen Interkultureller Pädagogik in Diskursen über Erziehung und Bildung dargestellt. Gerade als Einführung ist die Diskussion grundlegender Begrifflichkeiten, wie beispielsweise das historisch, sprachlich und disziplinär bedingte Verständnis der Begriffe „inter- und multikulturell“ sowie die Analyse der Verwendung des Kulturbegriffs in verschiedenen Ansätzen besonders wertvoll. Die Darstellung von Ansätzen nach „theoretischer Herkunft“ zeigt nicht nur die Relevanz für die disziplinäre Identität der Interkulturellen Pädagogik und für interkulturelle Theoriebildung und Forschung. Sie ermöglicht zugleich angehenden und praktizierenden pädagogischen Fachkräften und Lehrpersonen die Entwicklung von Kompetenzen zur theoriegeleiteten Interpretation von interkulturell relevanten pädagogischen Prozessen und Handlungen. Während die klare Struktur und Abgrenzung der einzelnen Ansätze einerseits zum besseren Verständnis beitragen, weisen die Autorinnen anderseits auch auf die derzeitige „reflexive Auffassung von ‚Kultur‘“ (177) und somit auf eine Kritik der Vorstellung ‚reiner‘ kultureller Identitäten hin. Abschließend werden aktuelle Überlegungen zur Ersetzung des Begriffs „Interkulturelle Pädagogik“ diskutiert; so hebt beispielsweise „Diversity Education“ verschiedene Formen der Heterogenität im Bildungssystem hervor, um Bildungsungerechtigkeiten entgegenzuwirken. Kritisch betrachtet wird, ob sich eine solche Namensänderung durchsetzt und vor allem, ob dies „mit einem Gewinn für Erkenntnis oder praktisches Handeln verbunden ist“ (180).

Im fünften Kapitel wird auf Sprache und Mehrsprachigkeit als kulturelle und soziale Praxen und die besondere Bedeutung sprachbezogener Fragestellungen für die Interkulturelle Pädagogik eingegangen. Diese Teildisziplin der Erziehungswissenschaft geht damit in interdisziplinärer Herangehensweise der Frage nach, wie Sprache Erziehungs- und Bildungsprozesse beeinflusst und wie Bildungsinstitutionen den Anforderungen der sprachlichen Super-Diversität und unterschiedlichen Sprachkenntnissen von Lernenden gerecht werden können. Gogolin und Krüger-Potratz führen in historisch, kulturell und sozialpolitisch bedingte Norm- und Wertvorstellungen, in die aktuelle sprachliche Situation in super-diversen Gesellschaften, und in den Spracherwerb bei ein- und mehrsprachigen Kindern ein, und berücksichtigen dabei auch sprachbezogene Machtverhältnisse. Besonders relevant ist die Darstellung der Forschungsergebnisse zu den Potenzialen, die sich aus zwei- und mehrsprachigem Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen für das pädagogische Handeln ergeben.

Im umfangreichsten sechsten Kapitel „Ausgewählte Forschungsfelder und Forschungsthemen“ werden exemplarisch Studien aus verschiedenen Teildisziplinen der Erziehungswissenschaft – der Historischen und der Vergleichenden Erziehungswissenschaft, der Bildungsforschung insbesondere in Bezug auf gerechte Bildungschancen, der schul- und unterrichtsbezogenen sowie der sprachbezogenen Forschung – zu Fragen nach dem Umgang mit sozialer, ethnischer, und sprachlich-kultureller Heterogenität seit den 1970er Jahren vorgestellt. Dieses Kapitel bietet einen umfassenden Überblick über bereits vorliegende Untersuchungen und Forschungserkenntnisse in Deutschland und darüber hinaus. Es identifiziert aber auch Forschungslücken, deren Bearbeitung besonders für Nachwuchsforscher/-innen anregend sein dürfte. Die Autorinnen zeigen auf, wie sich das Spektrum der Fragestellungen und untersuchten Themen zu Migration und Heterogenität in den einzelnen Teildisziplinen erweitert hat; trotz beachtlicher Fortschritte in den letzten Jahrzehnten besteht ein besonderer Forschungsbedarf in der Ermittlung multikausaler Erklärungen und Zusammenhänge für Bildungsbenachteiligungen. Es zeigt sich am Beispiel der Forschungsergebnisse zur sprachlichen Heterogenität, dass diese die Lebenswirklichkeit aller Heranwachsenden beeinflusst und somit das gesamte pädagogische Personal gefordert ist, sich entsprechende Kompetenzen zur Gestaltung von Erziehungs- und Bildungsprozessen in heterogenen Kontexten anzueignen.

Gogolin und Krüger-Potratz widmen das letzte Kapitel den wissenschaftlichen Arbeits- und Orientierungshilfen für die Interkulturelle Pädagogik im deutschsprachigen Raum und nehmen dabei auch andere relevante Teil- und Bezugsdisziplinen in den Blick. Besonders wertvoll sind dabei auch Hinweise zur kritischen Prüfung der Vertrauenswürdigkeit von Quellen sowie Informationen über ein vielfältiges Repertoire an gedruckten und digitalen Hilfsmitteln für das selbständige wissenschaftliche Arbeiten, sowie über Nachschlagewerke, Zeitschriften, Bibliographien, Forschungseinrichtungen und öffentliche Institutionen. Im Vergleich zu den früheren Editionen wurde in dieser Auflage auf Verweise zu Arbeitshilfen aus anderen Kultur- und Sprachräumen verzichtet; der Einbezug wäre allerdings insbesondere für Fachzeitschriften künftig durchaus hilfreich.

In Deutschland leben Menschen aus etwa 190 der ca. 196 Staaten der Welt, und es gibt kaum Wohngebiete, in denen keine Migrant/-innen leben. Trotzdem wird sprachlich-kulturelle sowie ethnische Homogenität vielfach als der Normalfall erachtet. Neue Migrationsbewegungen und die daraus resultierende zunehmende sprachliche und kulturelle Diversität fordern die Erziehungswissenschaft, ihre Teildisziplinen – insbesondere die Interkulturelle Pädagogik – und Nachbarwissenschaften zur verstärkten Berücksichtigung damit verbundener Themen und Problemlagen heraus. Dies gilt nicht allein für Forschung und Theoriebildung, sondern auch für die Entwicklung von praxisbezogenen Strategien zum Umgang mit Heterogenität für (angehende) pädagogische Fachkräfte und Lehrpersonen. Gogolin und Krüger-Potratz legen im vorliegenden Band durch vielfältige und strukturierte Einblicke in die interkulturelle, pädagogische Forschung und Praxis den Grundstein für ein besseres Verständnis des komplexen Phänomens.
Barbara Gross (Bozen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Barbara Gross: Rezension von: Gogolin, Ingrid / Krüger-Potratz, Marianne: Einführung in die Interkulturelle Pädagogik, Geschichte, Theorie und Diskurse, Forschung und Studium. Opladen: Barbara Budrich 2020. In: EWR 20 (2021), Nr. 2 (Veröffentlicht am 28.04.2021), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978382528606.html