EWR 9 (2010), Nr. 6 (November/Dezember)

Frank Angela
Belastung von Kindern durch Mitschüler, Lehrer und Unterricht
Eine empirische Studie zu Problemen, Ressourcen und Bewältigung im Grundschulalltag
Hamburg: Kovač 2008
(371 S.; ISBN 978-3-8300-2403-3; 95,00 EUR)
Belastung von Kindern durch Mitschüler, Lehrer und Unterricht Welchen Belastungen durch Mitschüler, Lehrkräfte und den Unterricht sind Kinder alltäglich, jenseits der „großen“ Belastungen wie z.B. dem Schulwechsel, in der Grundschule ausgesetzt? Welche Ressourcen kennen sie und setzen sie ein, um diese Belastungen zu bewältigen? In ihrer an die KILIA-Studie (Kooperationsprojekt Identitäts- und Leistungsentwicklung im Anfangsunterricht) angebundenen empirischen Untersuchung geht Angela Frank dieser Frage nach, um dadurch Hinweise auf gesundheitliche Auswirkungen zu erhalten und pädagogische Maßnahmen abzuleiten.

Vor dem Hintergrund des transaktionalen Stresskonzepts und Überlegungen zu personalen und sozialen Ressourcen sowie theoretischen Ansätzen zur Problembewältigung entwickelte bzw. adaptierte Frank standardisierte Fragebögen zur durch die Kinder subjektiv wahrgenommenen Problembelastung, zur Selbstwirksamkeit, zur Problembewältigung, zur sozialen Unterstützung und zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Grundschulkindern. Außerdem wurde eine halbstandardisierte Erhebung zu den sozialen Ressourcen der Kinder durchgeführt. Die Autorin teilt die Belastungen in drei Problembereiche ein: Die Interaktion mit Peers, die Interaktion mit der Lehrkraft und die Leistungsanforderungen im Kontext schulischen Unterrichts. In zwei Erhebungswellen befragte sie 210 Kinder in zehn dritten Klassen. Bei der Auswahl der Klassen wurde auf eine möglichst große Breite der Rahmenbedingungen geachtet.

Die Ergebnisse dieser Studie können hier nicht in voller Breite wiedergegeben werden; folgende Schlaglichter seien jedoch genannt:

Kumulation von Belastungen: Die Probleme mit Peers, mit Lehrkräften und mit Leistungsanforderungen im Kontext des Unterrichts kumulieren bei etwa einem Viertel der Kinder stark und ein ähnlich hoher Anteil hat gesundheitliche Probleme. Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Belastungseinschätzung und gesundheitlichen Belastungen. Hinsichtlich der von den Kindern wahrgenommenen Belastungen gibt es außerdem große Unterschiede zwischen den Klassen. Die Bewältigungsstile der Kinder sind situationsübergreifend stabil, unabhängig davon, ob sie als günstig oder ungünstig einzuschätzen sind. Dies lässt auf Handlungsbedarf im Rahmen schulischer Förderung schließen.

Geschlechtsunterschiede: In Widerspruch zu anderen Studien lassen sich nur wenige Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen finden – sowohl eine Tendenz zu resignieren als auch depressive Verstimmungen zeigen Mädchen eher als Jungen. Hinsichtlich der Belastungseinschätzung der Kinder, der Selbstwirksamkeit, der sozialen Unterstützung und der als positiv eingeschätzten Bewältigungsstrategien finden sich hingegen keine Geschlechtsunterschiede.

Gesundheitliche Belastung: Insgesamt muss die Puffer-Hypothese angenommen werden, der zufolge die soziale Unterstützung und die Selbstwirksamkeitserwartung indirekt gesundheitliche Probleme verringern: Beide Variablen führen zu günstigeren Bewältigungsstrategien in Problemsituationen und dadurch wiederum zu weniger gesundheitlichen Problemen. Daneben bewerten Kinder mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung auch Belastungen als weniger schlimm als Kinder mit einer niedrigen Selbstwirksamkeitserwartung. Die Bewertung der Belastungen hat jedoch einen deutlich geringeren Einfluss auf die Gesundheit der Kinder als die Bewältigung von Problemsituationen.

Insgesamt ist also festzustellen, „dass eine hohe Selbstwirksamkeit und hohe soziale Unterstützung nicht nur pädagogischen Selbstzweck haben, sondern auch in hohem Maße bedeutsam für die Gesundheit von Kindern sein können“ (316ff). Dies birgt pädagogische Implikationen: Präventionsprogramme zur Gesundheitsförderung können zum einen direkt auf der Ebene der Verringerung von Problembelastungen ansetzen, als erfolgversprechend müssen aber auch Präventionsstrategien auf der Ebene des Umgangs mit Problemen und auf der Ebene der Ressourcen angesehen werden. Dabei sind sowohl institutionelle Maßnahmen wie z.B. Streitschlichtung als auch individuelle Maßnahmen wie z.B. Trainingsprogramme zu bedenken. Da die befragten Kinder durch ihre Lehrkräfte verhältnismäßig wenig belastet sind, wird besondere Sorgfalt auf Maßnahmen zur Bewältigung von Belastungen im Bereich der Peer-Beziehungen und der Leistungsanforderungen verwendet; Lehrkräfte werden hingegen eher als Möglichkeit der sozialen Unterstützung eingebunden.

Insgesamt ist das Buch für alle, die sich auf hohem wissenschaftlichem Niveau mit den alltäglichen Belastungen von Grundschülern auseinandersetzen möchten, sehr ertragreich, insbesondere durch die Vielfalt und die thematische Breite der Ergebnisse. Die Zusammenfassungen des Theorieteils und des Ergebnisteils erleichtern die schnelle Orientierung über das Buch; sie sind ggf. zur Rezeption, Einordnung und Bewertung von einzelnen Ergebnissen sehr hilfreich. Das Fazit, in dem aus den Ergebnissen der Studie Empfehlungen abgeleitet werden, die im Grundschulalltag auch praktisch umsetzbar sind, und das einen Überblick über unterschiedliche im Primarbereich einsetzbare Trainingsprogramme zur Stress- und Problembewältigung enthält, regt zum Weiterlesen an. Nicht nur für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch für in der schulischen Praxis tätige Personen ist dieses Buch daher von Interesse.
Annette Textor (Bielefeld)
Zur Zitierweise der Rezension:
Annette Textor: Rezension von: Angela, Frank: Belastung von Kindern durch Mitschüler, Lehrer und Unterricht, Eine empirische Studie zu Problemen, Ressourcen und Bewältigung im Grundschulalltag. Hamburg: Kovač 2008. In: EWR 9 (2010), Nr. 6 (Veröffentlicht am 08.12.2010), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383002403.html