EWR 8 (2009), Nr. 5 (September/Oktober)

Sabine Hornberg / Inci Dirim / Gregor Lang-Wojtasik / Paul Mecheril (Hrsg.)
Beschreiben – Verstehen – Interpretieren
Stand und Perspektiven International und Interkulturell Vergleichender Erziehungswissenschaft in Deutschland
Münster: Waxmann 2009
(202 S.; ISBN 978-3-8309-2128-8; 24,90 EUR)
Beschreiben – Verstehen – Interpretieren Der vorliegende Band geht auf eine im Herbst 2006 veranstaltete Tagung zurück, die anlässlich der vierzigjährigen Geschichte der Vergleichenden Erziehungswissenschaft in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft unter dem selbigen Buchtitel organisiert wurde. Er versammelt in drei thematischen Blöcken die in der Tagung vorgetragenen Beiträge. Zum einen geht es um drei Beiträge, die sich mit der historischen Entwicklung sowie mit der politischen Dimension der Teildisziplin beschäftigen. Zum anderen geht es im zweiten Block um vier Beiträge, die verschiedene „Perspektiven des Vergleichens“ präsentieren. Ferner sind im dritten Block drei Beiträge zum Thema „Kulturen interpretieren“ kompiliert. Die Beiträge des Sammelbandes sollen – wie bereits aus dem Untertitel der Publikation ersichtlich wird – „einen Eindruck von der Breite der Diskursfelder der International und Interkulturell Vergleichenden Erziehungswissenschaft“ (16) geben. Vor dem Hintergrund von Internationalisierung, Globalisierung sowie Migration sollen die Beiträge die gegenwärtig von dieser Teildisziplin zu bearbeitenden Fragestellungen und methodischen Ansätze reflektieren.

Der erste Beitrag – „Anmerkungen zur Vergleichenden Erziehungswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland und zu den folgenden Beiträgen“ von Sabine Hornberg – bietet einen knappen Einblick in die ‚Konturen’ einer Geschichte der Vergleichenden Erziehungswissenschaft in der Bundesrepublik an und gibt einen Überblick über die weiteren Beiträge des Bandes. Wolfgang Mitters Beitrag „Vergleichende Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik: Missverständnisse, Möglichkeiten, Perspektiven“ geht auf die Beziehung zwischen (Vergleichender) Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik ein. Mit Beispielen aus der Bildungsgeschichte thematisiert er diese Beziehung, die sich insbesondere durch die von Wolfgang Hörner definierte „’melioristische Funktion’“ der Vergleichenden Erziehungswissenschaft (23) auszeichnet. Dabei geht er auf die „Missverständnisse“ (26) und „Fehleinschätzungen“ seitens der Bildungspolitikern (28) sowie die überzogenen Erwartungen seitens der ForscherInnen (29f.) ein. Mitter spricht jedoch auch die Möglichkeiten der „’[...] Erreichung substantieller Koordinierung zwischen Politik, Wissenschaft und Bildungspraxis [...]’“ (30) an. Für den Autor gilt: „Vergleichende Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik können gewiss viel voneinander lernen, wenn im konkreten Fall die Dignität des Partners beachtet wird.“ (33) Mitter thematisiert mit seinem Beitrag ein dringliches Problem vergleichender – aber auch allgemein erziehungswissenschaftlicher – Forschung der Gegenwart.

In „The Politics of Intercultural and International Comparison“ reflektiert Gita Steiner-Khamsi die – sowohl in den USA als auch in Deutschland – übliche Verbindung zwischen den Feldern der Interkulturellen Pädagogik und der International Vergleichenden Erziehungswissenschaft. Sie hebt die politischen und ökonomischen Dimensionen des Vergleichs (41) in den oben genannten Ländern anhand der “International Knowledge Banks of Transnational Regimes” im Bildungsbereich hervor; dabei gilt ihr Augenmerkt drei problematischen Merkmalen von internationalen ‘Wissensbanken’. Die weltweite Konvergenz von Bildungsreformen dient ihr als Beispiel, um die Tendenz zu illustrieren, Wettbewerb, Zwang und Konvergenz voranzutreiben (42). Die Frage ist jedoch, worin der Vorteil von “aligning educational development with imaginary ‘international standards’ (58) liegt? Steiner-Khamsi argumentiert, dass eine Antwort in den politischen und ökonomischen Dynamiken von “policy borrowing” zu sehen ist. Internationale Organizationen operieren nicht nur in der ‘Angebotsseite’ der Reformideen (best practices), sie schaffen darüber hinaus eine Nachfrage nach Reformkonzepten und -modellen, welche wiederum der Finanzierung bedürfen; zufälligerweise das Geschäft dieser Agenturen selbst (58f.).

Der zweite thematische Block – Perspektiven des Vergleichs – wird eröffnet von Ulrich Baumann. In seinem Beitrag “Qualitativ-empirische international und interkulturell vergleichende Untersuchungen – eine metatheoretische Bilanz“ berichtet er über „Erträge, Defizite und Wünschenwertes“ (65) von qualitativ angelegten Studien in der Bundesrepublik. Der Autor geht auf definitorische Fragen ein, da international die Identifizierung von qualitativer Forschung nicht immer eindeutig sei (66f.). Er konstatiert ein Übergewicht von Forschungen in „interkulturell orientierten Disziplinen“ (67), Untersuchungen zu international vergleichender Erziehungswissenschaft seien schwach vertreten (68). In seiner Analyse geht Baumann ein auf die Einstellung gegenüber dem Verhältnis zwischen quantitativer und qualitativer Forschung, methodische Vorgehensweisen in der Gewinnung und Verwendung von Theorie, Daten und Ergebnissen sowie auf die Bedeutung von Vergleichen. Darüber hinaus sind Probleme qualitativ-empirischer Forschung (wie z. B. unklare Definitionen, wechselnde Begrifflichkeit, unzulängliche Begründungen und Argumentationen usw.) ebenfalls Themen des Beitrags (77-87). Qualitativ-empirische Forschung, so resümiert Baumann optimistisch, ist in der Erziehungswissenschaft etabliert und vielfältig, sie stellt ohne Frage ein Gewinn für die Teildisziplin und für PraktikerInnen – auch wenn sie über weite Strecken wenig systematisch und strukturiert ist (88f.). Als Desiderate werden Bemühungen um Systematisierung, Strukturierung und Kumulierung von Wissen sowie die Anhebung von Standards identifiziert (ebd.). Arnd-Michel Nohl stellt in seinem Beitrag „Der Mehrebenenvergleich als Weg zum kontextuierten Ländervergleich“ methodologische Überlegungen vor, die im Rahmen der Projekts „Kulturelles Kapital in der Migration“ zusammen mit KollegInnen angestellt hat (97). Nohls Beitrag wird letztlich von der Frage geleitet, wie es denn möglich sei, die „Binnendifferenzen“ innerhalb bzw. zwischen den zu vergleichenden Objekten zu berücksichtigen (96). Seine Ausführungen zum methodischen Design und zur Komplexität komparatistischer Forschung zielen darauf ab, „Wege jenseits des methodologischen und metatheoretischen Nationalismus“ (106) zu finden und dabei ein konstitutives Moment interkultureller und international vergleichender Forschung – das tertium comparationis – nicht vorab, sondern im Prozess festzulegen. Damit lässt sich, so Nohl im Rückgriff auf Dewey, dem Umstand Rechnung tragen, dass die zu vergleichenden Gegenstände „sich im Zuge des Vergleichens verändern bzw. erst konstituieren“ (95). Der Mehrebenenvergleich wird als Lösung dieses Conundrums identifiziert und mündet in verschiedenen Typiken, mit denen intern der Heterogenität Rechnung getragen wird (106f.).

In „Rekonstruktive Sozialforschung als Forschungsstrategie im Umgang mit der impliziten Normativität Globalen Lernens“ setzt sich Barbara Asbrand mit den „nicht unerhebliche[n] Herausforderungen“ auseinander, die sich aus der normativen Orientierung „an den Leitbildern Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit“ ableiten (111). Zum einen geht sie auf die „implizite Normativität des Praxisfeldes“ ein und zeigt anhand exemplarischer Ergebnisse eines qualitativ-rekonstruktiven Projekts zu Denkformen und Umgang mit weltgesellschaftlicher Komplexität bei Jugendlichen, dass „die Orientierungen der Jugendlichen mehreren Typiken zugeordnet bzw. bestimmte Orientierungen auf unterschiedliche konjunktive Erfahrungen oder existenzielle Hintergründe zurückgeführt werden können.“ (114); zum anderen thematisiert sie den eigenen Forschungsprozess anhand einiger Überlegungen zum methodisch kontrollierten Fremdverstehen (116f.). Asbrand stellt fest, dass noch viele offenen Fragen nach der Normativität Globalen Lernens der empirischen Erforschung bedürfen, zu der die rekonstruktive Sozialforschung verschiedentlich beitragen kann (125f.).

Christel Adick unterbreitet in ihrem Beitrag ein Vorschlag zu einem Ordnungsschema für die verschiedenen Wissensbestände in der Vergleichenden Erziehungswissenschaft. In „Reflexionsebenen und Wissensformen in der Vergleichenden Erziehungswissenschaft“ thematisiert die Autorin zwei Probleme. Zum einen geht es – hochschuldidaktisch – um die Frage der „Vermischung“ verschiedener Wissensbestände in der universitären Lehr- und Lernpraxis; zum anderen geht es – disziplingeschichtlich – um Fragen nach dem Gegenstand und dem Selbstverständnis der Vergleichenden Erziehungswissenschaft. Beide Problemkomplexe lassen sich nur durch „eine (erneute) Verständigung über den Gegenstandsbezug der Vergleichenden Erziehungswissenschaft“ (131) angehen. Adick fragt nach dem Spezifikum Vergleichender Erziehungswissenschaft, worauf verschiedene Antworten möglich sind (131ff.), ihr geht es aber auch um die Gegenstandsfelder der Vergleichenden Erziehungswissenschaft (135-138). Die Überlegungen zu diesen Fragen münden in ein Ordnungsschema, das die verschiedenen Reflexionsebenen und Wissensbestände entlang der in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion einschlägigen Positionen strukturieren und für die (nicht-fortgeschrittenen) Leser – aufgrund der hohen Komplexität – erst verständlich macht. Adicks Vorschlag und Schaubild (151) eignet sich besonders gut für die Lehre und wird sicher nicht nur in Kontexten der international vergleichenden Erziehungswissenschaft aufgegriffen werden.

Im ersten Kapitel des dritten thematischen Blocks – zu „Kulturen interpretieren“ – befasst sich Volker Schubert mit dem Untersuchungsgegenstand „‘Kulturgeschehen Erziehung‘“ (159). In seinem Beitrag „Kulturelle Praktiken und pädagogische Arrangements. Zur Frage der Gegenstände interkulturell-vergleichender pädagogischer Forschung“ reflektiert der Autor die „Aufgabe einer erziehungswissenschaftlichen Komparatistik“ als „pädagogische Disziplin“ (ebd.), die sich als vergleichende Kulturwissenschaft versteht. Anhand eines Beispiels des japanischen Erziehungswesens veranschaulicht Schubert, „wie durch die konkrete komparatistische Untersuchung von kulturellen Praktiken [...] Aspekte des pädagogischen Handelns“ (167) ihre Selbstverständlichkeit verlieren und sich der Reflexion öffnen.

Peter J. Weber setzt sich in „Informations- und Kommunikationstechnologien als Feld der International und Interkulturell Vergleichenden Erziehungswissenschaft“ mit der „Frage nach den nationen- und kulturspezifischen Auswirkungen sowie transnationalen Bedeutungen“ (171) der Medien auseinander. Das in quantitativen internationalen Untersuchungen zum Thema zugrunde liegende diskrepante Verständnis von ‚Informations- und Kommunikationstechnologien’ schrumpf die Aussagekraft und Vergleichbarkeit der Ergebnisse; Grund hierfür sieht Weber in der mangelnden Konzeptualisierung der pädagogischen Zielgröße in der Medienkompetenz, was wiederum für die Vergleichenden Erziehungswissenschaft als Tätigkeitsfeld anbietet, da hierzu eine systematische Differenzierung der unterschiedlichen Kompetenzen durch interkulturelle Vergleiche notwendig sind (179).

Paul Mecheril schließt den Band mit seinem den Cultural Studies zuzurechnenden Beitrag zur „Kultur der Migrationsgesellschaft“ ab. In „Verfremdungseffekte. Brecht, die Migrationsgesellschaft und ihre Kultur“ versucht der Autor Elemente der Theatertheorie Bertold Brechts für die Untersuchung der Migrationsgesellschaft fruchtbar zu machen (183). Kultur als Praxis, „als Beschreibung sozial-symbolischer Praxis“, wird als „Modus des Unterscheidens“ verstanden, wobei sich Mecheril für die Frage nach der ‚Herstellung’ dieser „sozial wirksamen, symbolischen Unterscheidungen“ (184) interessiert. Für die Beantwortung dieser Frage bietet sich das in Anschluss an Brechts Formulierung die Methode der „Verfremdung“ an (185). Dieses ‚Verfremden’ lässt sich als „Interpretationstaktik und als pädagogisches Mittel“ auffassen, das durch ihr „distanziertes Verhältnis“ die kulturelle Interpretation der Migrationsgesellschaft ermöglicht (186). Für Mecheril muss jede Kulturanalyse der Migrationsgesellschaft als Machtanalyse verstanden werden, denn nur so lässt sich „der Sinn dieser Praxen“ nachvollziehen und der reflexive Bezug auf soziale Verhältnisse herstellen, oder wie Mecheril es formuliert: „Das Szientifische zu Bewusstsein bringen.“ (193)

Das 202 Seiten umfassende Buch erhebt nicht den Anspruch, die Vielfalt der International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft abzubilden. Es wirft, wie die Herausgeber im Vorwort schreiben, „Schlaglichter auf Stand und Perspektiven“ der Teildisziplin. Die selbstgesetzten Ziele – einen Eindruck von der Breite der Diskursfelder zu geben und die im Feld zu bearbeitende Fragestellungen und methodische Ansätze zu reflektieren (16) werden sehr gut eingelöst.

Der Sammelband verdeutlicht, dass es in der deutschen Interkulturellen und International Vergleichenden Erziehungswissenschaft sehr interessante Entwicklungen gibt. Etwas unbeantwortet bleibt die Frage nach dem die unterschiedlichen Zugänge und Themen verbindenden Element - mit Ausnahme des Beitrags von Steiner-Khamsi und den eher skizzenhaften Ausführungen in der Einleitung. Hätte ein abschließendes Kapitel für Abhilfe sorgen können oder spiegelt sich hier die Ausdifferenzierung der Disziplin?

Alles in allem ist das Buch für das Fachpublikum in jedem Fall ein großer Gewinn, denn es fokussiert drei in der Teildisziplin sehr zentrale Aufgabenfelder: „Beschreiben – Verstehen – Interpretieren“. Für Studierende ist es ebenfalls sehr zu empfehlen – vielleicht nicht für das reine Selbststudium, denn dafür sind die Informationen teilweise zu knapp; doch zusammen mit der neueren Einführungsliteratur zur Teildisziplin dient es als eine gute Grundlage für Seminare und Vorlesungen. Den Herausgebern ist ein großer Dank auszusprechen, denn sie tragen dazu bei, die Lücke in der hochschuldidaktischen Literatur zur International und Interkulturell Vergleichenden Erziehungswissenschaft in Deutschland allmählich zu schließen.
Marcelo Parreira do Amaral (Tübingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Marcelo Parreira do Amaral : Rezension von: Hornberg, Sabine / Dirim, Inci / Lang-Wojtasik, Gregor / Mecheril, Paul (Hg.): Beschreiben – Verstehen – Interpretieren, Stand und Perspektiven International und Interkulturell Vergleichender Erziehungswissenschaft in Deutschland. Münster: Waxmann 2009. In: EWR 8 (2009), Nr. 5 (Veröffentlicht am 02.10.2009), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383092128.html