Im Lehramtsstudium ebenso wie in den Bachelorstudiengängen der Elementarpädagogik, Sozialpädagogik und benachbarter Disziplinen findet eine Methodenausbildung, die die Studierenden in die Lage versetzt, eigene wissenschaftliche Fragestellungen zu entwickeln und im Rahmen einer Forschungs- oder Qualifikationsarbeit zu bearbeiten, häufig nur in begrenztem Umfang statt. Bei Nachwuchswissenschaftlern, die sich das entsprechende Wissen (auch) im weiteren Verlauf ihres Studiums nicht angeeignet haben, ist folglich erheblicher (Nachhol-) Bedarf anzunehmen. Die vorliegende Handreichung will einem solchen Bedarf abhelfen. Dieses Ziel wird mit überblickshaft angelegten Ausführungen zum angesprochenen Themenkreis sowie weiterführenden Literaturhinweisen verfolgt. Gleichwohl beschränkt sich der Band nicht auf die Darstellung der forschungsstrategischen Prämissen der Erziehungs- und Sozialwissenschaften, sondern vermittelt über insgesamt sechs Kapitel hinweg auch Einblicke in die für komplexe Forschungsanliegen (z.B. Dissertationen) besonders arbeitsintensiven Phasen der Konzeption, Durchführung und Veröffentlichung.
Im ersten Beitrag „Zwölf Standards der empirisch-pädagogischen Forschung – Schwerpunkt Grundschulforschung“ formulieren die Herausgeber in Anlehnung an einschlägige Fachliteratur Gütekriterien für wissenschaftliches Forschen in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften. Unter den Gütemaßstäben finden sich sowohl grundlegende wissenschaftsethische und -theoretische Kriterien (u.a. Wahrhaftigkeit, Objektivität, Intersubjektivität) als auch allgemeine Durchführungsstandards (u.a. Gegenstandsangemessenheit der Methode, Klarheit der Darstellung, Anschlussfähigkeit der Ergebnisse). Die hier formulierten Forschungsstandards verhalten sich in ihrem Geltungsanspruch insgesamt neutral gegenüber einzelnen (eher qualitativen oder quantitativen) Forschungsstrategien.
Im zweiten Beitrag „Theorie-Empirie-Verhältnis und Forschungsstrategien im deduktiv-hypothetischen Paradigma (empirisch-quantitative Forschung)“ gibt Wolfgang Einsiedler einen Überblick über den der quantitativen Forschung zugrunde liegenden deduktiv-hypothetischen Ansatz. Diesen führt er auf fünf Merkmale zurück: auf die deduktive Herleitung empirisch überprüfbarer Aussagen, auf den hypothetischen „Wahrheitsanspruch“ von Theorien, auf die der Hypothesenprüfung zugrunde liegende Erkenntnismethode des Falsifikationismus, auf methodisch kontrolliertes Arbeiten sowie auf die besondere Eignung der Verfahren für anwendungsbezogene Forschung. Schließlich geht Einsiedler auf einzelne Forschungsfunktionen und -strategien des deduktiv-hypothetischen Ansatzes näher ein und erläutert anhand zweier Beispiele ihre praktische Umsetzung.
Im dritten Kapitel „Theorie-Empirie-Verhältnis und methodische Standards in der qualitativen Forschung“ setzt sich Helga Kelle zunächst mit dem Verhältnis von Theorie und Empirie in der qualitativen Forschung auseinander und stellt dabei ihre sozialkonstruktivistischen (Schütze, Berger & Luckmann) und kognitionstheoretischen (Luhmann) Wurzeln heraus. Auf dieser Grundlage leitet sie sowohl die den rekonstruktiven und interpretativen Verfahren inhärente Beobachterrolle (zweiter Ordnung) und die Notwendigkeit einer unterschiedlichen Gewichtung grundlagen- und gegenstandstheoretischen Vorannahmen für den Forschungsprozess als auch die Notwendigkeit anderer als der für die quantitative Forschung geltenden Kriterien der Ergebnissicherung her. Es folgt eine kritische Auseinandersetzung mit einer Reihe von Qualitätsmerkmalen, die in den vergangenen Jahren von unterschiedlichen Autoren(-gruppen) in die methodische Diskussion um spezifisch „qualitative“ Durchführungsstandards eingebracht worden sind.
In Kapitel 4 „Planung eines Dissertationsvorhabens“ bietet Maria Fölling-Albers eine leicht verständliche Anleitung zur Planung und Abfassung einer Dissertation in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften, einschließlich der Erstellung eines das Forschungsvorhaben vorab beschreibenden Exposés. Dargestellt werden neben den verschiedenen Etappen, in welche die inhaltliche Arbeit an der Dissertation gegliedert ist, auch etliche flankierende Aktivitäten, wie z.B. die Kontaktpflege mit den Doktoreltern, die Vernetzung mit anderen Doktoranden und den Umgang mit typischen „Arbeitsfallen“ (100). Abgerundet wird der Beitrag mit einer Darlegung verschiedener Möglichkeiten einer institutionellen Ein- und Anbindung von Promotionsprojekten.
Katrin Lohrmann befasst sich im fünften Kapitel „Publizieren von Forschungsergebnissen in wissenschaftlichen Zeitschriften“ mit der Frage, wie „Ergebnisse möglichst so platziert werden, dass Forschung wahrgenommen und die anvisierte Zielgruppe durch die Publikation erreicht wird“ (121). Besonders gewinnbringend sind ihre Hinweise zu einzelnen Etappen des Begutachtungsprozesses, von der Kontaktaufnahme zur Zeitschrift bis zur endgültigen Annahme bzw. Ablehnung des Beitrags. Am Ende macht Lohrmann Vorschläge zur inhaltlichen und formalen Gestaltung eines Forschungsartikels.
Im abschließenden Kapitel „Nicht nur Theorie und Methode“ reflektieren die Herausgeber der Handreichung gemeinsam praktische Herausforderungen, die ein mögliches Promotionsprojekt in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften mit sich bringt, und liefern zugleich Lösungen – etwa für das Problem der Finanzierung, indem sie eine Übersicht möglicher Fördereinrichtungen geben. Darüber hinaus werden weiterführende Anregungen zu promotionsbegleitenden Aktivitäten gegeben, so z.B. den Besuch methodenbezogener Weiterbildungsveranstaltungen, die Nutzung niedrigschwelliger Publikationsangebote in Tagungsbänden oder die Vorbereitung der Veröffentlichung der Dissertation. Im letzten Abschnitt wird ein Ausblick auf die sogenannte Postdoc-Phase als die an die Promotion unmittelbar anschließende Phase der universitären Laufbahn eröffnet.
Insgesamt kann die Handreichung den Anspruch, Nachwuchswissenschaftlern eine erste Orientierung zu geben, zu großen Teilen erfüllen. Allerdings bleibt unklar, warum sich die im ersten Kapitel auf Fragen der Ergebnissicherung bezogenen gemeinsamen Gütekriterien qualitativer und quantitativer Forschung in der Forderung nach größtmöglicher Vorurteilsfreiheit und Nachvollziehbarkeit (Objektivität/Intersubjektivität), nach „sachgemäßem Methodeneinsatz“ und „mehrfacher“ Überprüfung der Korrektheit der Ergebnisdaten erschöpfen. In diesem Zusammenhang ist es bedauerlich, dass die Bezüge zu den in Kapitel 2 und 3 ausführlicher behandelten speziellen Standards der Ergebnissicherung nicht systematisch gestaltet wurden. So kann etwa der Einschätzung, „dass die Gütekriterien der quantitativen Forschung – Objektivität, Reliabilität und Validität – nicht einfach auf qualitative Forschung übertragbar sind“ (73), zwar leicht zugestimmt werden. Welche Relevanz diese Einschätzung für die Formulierung paradigmenübergreifender Maßstäbe wissenschaftlicher Dignität besitzt, hätte hier wie im gesamten Band aber stärker ausgelotet werden können. So sprechen sich beispielsweise Ralf Bohnsack und Heinz-Hermann Krüger in ihrem (auch im vorliegenden Band referierten) Aufsatz zur Qualitätssicherung in der qualitativen Forschung [1] ebenfalls gegen eine direkte Übertragung spezieller Standards des quantitativen Paradigmas aus. Sie diskutieren die Möglichkeit, einzelne Bewertungskriterien und Verfahrensschritte innerhalb qualitativer Ansätze, etwa die Fundierung interpretativer Methoden in den Regeln lebensweltlicher Sinnerzeugung selbst oder die Beforschung der relevanten Akteure in ihren „natürlichen“ Kontexten, als funktionale Äquivalente der konventionellen Gütekriterien (hier der Reliabilität/Zuverlässigkeit) zu betrachten. Derartige methodologische Überlegungen – zu denen die Herausgeber vielleicht unterschiedlich Position beziehen – und die ihnen zugrunde liegenden Querbezüge mögen für eine Handreichung, die sich auf die Vermittlung von „Basisinformationen“ (8) beschränken will, als zu weitführend empfunden werden. Für ein vertieftes Verständnis der auf verschiedene Methodenkapitel verteilten Argumente wären sie aber durchaus hilfreich. Wie dem auch sei, die vorliegende Handreichung ist als „Einstiegshilfe“ in das wissenschaftliche Arbeiten intendiert und als solche zu empfehlen. Aufgrund der komprimierten Darstellungsweise und zahlreicher handwerklicher Tipps verspricht der Band dabei vor allem für Nachwuchswissenschaftler nützlich zu sein, die (weitgehend) ohne Vorwissen über Methoden und Routinen erziehungswissenschaftlicher Forschung eine Qualifizierungsarbeit zu schreiben beabsichtigen – und damit genau jene Zielgruppe anzusprechen, welche die Herausgeber, wie oben angedeutet wurde, auch selbst erreichen wollen.
[1] Bohnsack, Ralf / Krüger, Heinz-Hermann (2005): Qualität qualitativer Forschung in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Beiheft 4, 63-81
EWR 12 (2013), Nr. 5 (September/Oktober)
Standards und Forschungsstrategien in der empirischen Grundschulforschung
Eine Handreichung
MĂĽnster u.a.: Waxmann 2013
(164 S.; ISBN 978-3-8309-2833-1; 19,90 EUR)
Oliver Hormann (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Oliver Hormann: Rezension von: Einsiedler, Wolfgang / Fölling-Albers, Maria / Kelle, Helga / Lohrmann, Katrin (Hg.): Standards und Forschungsstrategien in der empirischen Grundschulforschung, Eine Handreichung. MĂĽnster u.a.: Waxmann 2013. In: EWR 12 (2013), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2013), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383092833.html
Oliver Hormann: Rezension von: Einsiedler, Wolfgang / Fölling-Albers, Maria / Kelle, Helga / Lohrmann, Katrin (Hg.): Standards und Forschungsstrategien in der empirischen Grundschulforschung, Eine Handreichung. MĂĽnster u.a.: Waxmann 2013. In: EWR 12 (2013), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2013), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383092833.html