EWR 6 (2007), Nr. 5 (September/Oktober 2007)

Liselotte Denner
Bildungsteilhabe von Zuwandererkindern
Eine empirische Studie zum Ăśbergang zwischen Primar- und Sekundarstufe
(Reihe: Karlsruher pädagigsche Studien, Bd. 8)
Karlsruhe: Book on Demand 2007
(264 S.; ISBN 978-3-8334-6783-7; 28,00 EUR)
Bildungsteilhabe von Zuwandererkindern Seit langem sind die geringeren Bildungsteilhabechancen von Kindern mit Migrationshintergrund bekannt. Es ist aber unzweifelhaft ein Verdienst der PISA-Studien und der durch sie ausgelösten breiten Diskussion, dass bildungspolitisch verstärkt Anstrengungen unternommen werden, die Teilhabechancen dieser „Risikogruppe“ zu erhöhen. Statistisch lässt sich leicht nachweisen, dass ungleiche Teilhabechancen bestehen – etwa in dem die Quoten des Grundschulbesuchs mit denen der weiterführenden Schulen verglichen werden. Zu den besonders oft an Hauptschulen oder besondere Förderschulen überwiesenen Schülern und Schülerinnen zählen diejenigen, die einen russischen, türkischen oder italienischen Familienhintergrund haben. So auch in der Stadt Karlsruhe. Hier bot der Befund, dass von zwanzig Prozent der Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund, die die Grundschule besuchen, nur sechs Prozent auf ein Gymnasium gehen, Anlass für die vorliegende Studie. Stadt und Pädagogische Hochschule – in Zusammenarbeit mit dem staatlichen Schulamt und der Handwerks- Industrie- und Handelskammer – gingen hier eine interessante Kooperation ein, die durch Mittel des Europäischen Sozialfonds gefördert wurde.

So eindeutig die Statistik über Effekte der Bildungsbeteiligung Auskunft gibt, so wenig vermag sie zu erhellen, welche Faktoren am geringeren Bildungserfolg der betroffenen Gruppen beteiligt sind und wie sie zusammenwirken. Hier treffen sich wissenschaftliche und politische Interessen. Die Wissenschaft kann hier durch raffinierte Forschungsdesigns und umfangreiche Analysen zur Aufklärung beitragen und damit gleichzeitig die Bildungspolitik orientieren, indem sie es erlaubt, aus den wissenschaftlichen Befunden Erfolg versprechende Förderkonzepte und Programme abzuleiten. Geschieht dies zudem noch unter aktiver Beteiligung von Studierenden im Rahmen eines Lehrforschungskontexts, so ist ein weiteres Desideratum eingelöst: Zukünftige Lehrerinnen und Lehrer werden bereits während der ersten Phase ihres Studiums für bestimmte Fragen sensibilisiert und erwerben wichtige Kompetenzen.

In der vorliegenden Studie, welche die Übergänge von Zuwandererkindern von der Grundschule zur Sekundarstufe zum Gegenstand hat (BiZuKi: Bildungsteilhabe von Zuwandererkindern), wurden Befragungen mit Kindern, Eltern und Lehrpersonen durchgeführt, wobei die Kinder italienischer, russischer oder türkischer Nationalität, männlichen oder weiblichen Geschlechts und sowohl bildungserfolgreich als auch weniger erfolgreich sind. Insgesamt wurden 28 Interviews durchgeführt, wobei nicht in allen Fällen ein komplettes Interviewset, bestehend aus der Schüler-, der Eltern- und der Lehrpersonbefragung zustande kam. In dieser Hinsicht bestätigte sich die Beobachtung, dass die so genannten bildungsfernen Eltern schlechter erreichbar sind, so wünschenswert die verstärkte Einbeziehung ihrer Perspektive für die Analyse und die Erstellung von Förderprogrammen wäre.

Der Untersuchungsbericht besteht aus insgesamt neun Kapiteln, die in drei großen Teilen behandelt werden. Der erste große inhaltliche Teil der Studie (Kapitel 2) besteht aus einer umfassenden Sichtung des Theorie- und Forschungsstands. Hier finden sowohl begriffliche Klärungen statt wie auch eine eingehende Auseinandersetzung mit den bisher vorliegenden Erklärungen zum Zusammenhang von Schülerleistung, Bildungsbeteiligung und Chancengleichheit. Nachdem die Adressatengruppe definiert wurde, die Frage nach der Begriffsverwendung von Bildungsteilhabe kontrastierend zu anderen Begriffen geklärt sowie die einschlägigen Erklärungen behandelt wurden, geht es im folgenden Abschnitt um die unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen von Übergang und um die Akteurskonstellationen bei der Gestaltung des spezifischen Übergangs von der Grundschule zur weiterführenden Schule.

Im zweiten großen Teil (Kapitel 3) geht es um Konzeption und Durchführung des konkreten Projekts Bildungsteilhabe von Zuwandererkindern. In diesem Teil wird sowohl das in den 1970er Jahren in die wissenschaftliche Lehre eingeführte Format des „Forschenden Lernens“ genauer erläutert als auch die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring für die Erhebung und Auswertung der Daten sowie das Konzept der Mehrperspektivität zur Sprache gebracht. Im dritten und umfassendsten Teil der Studie (Kapitel 8), werden die Ergebnisse der für den Bildungserfolg wichtig erachteten Faktoren dargestellt und ausführlich diskutiert. Dabei handelt es sich im Einzelnen um den Faktor „Sprache“, den Faktor „Fremd- und Selbstkonzept“, den Faktor „Kooperation“, den Faktor „Schulerfolg“ und den Faktor „Übergänge“ bei der Bildungsteilhabe. Für alle Faktoren wird zunächst knapp der Forschungsstand umrissen und dann anhand eines Kategorienschemas und eines komplexen Codierungssystems die Auswertungsergebnisse vorgestellt und die Diskussion vorgestellt.

Ein hoher Stellenwert kommt dem Faktor Sprache bei der Frage nach der Bildungsteilhabe zu. Die vorliegende Untersuchung ist darum bemüht, vor dem Hintergrund der einschlägigen Fachdiskussion möglichst viele Facetten zu berücksichtigen. So geht es nicht nur um Sprachbeherrschung, sondern auch um Sprachgebrauch und Sprachinteresse sowie um die Beziehung zwischen Erst- und Zweitsprache. Dem Faktor Sprache kommt nicht zuletzt deshalb eine so zentrale Bedeutung zu, weil die Beherrschung der Landessprache als Schlüsselfaktor für schulischen und beruflichen Erfolg, aber auch ganz grundsätzlich als Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabechancen gilt. Die Internationalen Vergleichsstudien wie PISA und IGLU zeigen darüber hinaus, dass sich das deutsche Schulsystem offensichtlich besonders schwer damit tut, Kinder mit anderer Erstsprache zu guten Lernergebnissen zu führen (80).

Aus der vorliegenden Stichprobenuntersuchung ergeben sich gewisse Hinweise auf einen Fortbildungsbedarf der Lehrkräfte. So schreibt Denner: „Diese müssen ihr Wissen und ihre Sprachbewusstheit für den Zweitspracherwerb erweitern, um die sprachlichen Leistungen und den Lernzuwachs der Zuwandererkinder sehen und systematisch fördern können“ (121). Diesen Indizien gelte es in weiteren repräsentativen Untersuchungen nachzugehen.

Von allen hier behandelten Faktoren erscheint der mit „Selbst- bzw. Fremdkonzept“ überschriebene mit Blick auf die Schüler und Schülerinnen – insofern als die nationale Zugehörigkeit angesprochen wird – zunächst problematisch. Er lässt befürchten, dass von allen Einfluss nehmenden Differenzmerkmalen das Merkmal Nationalität am stärksten privilegiert wird und dieser somit andere Identifikationen verhindert. Zwar ist jede individuelle Identität geprägt durch „Differenzmerkmale“ wie Geschlecht, Alter, soziale Herkunft und eben nationale Zugehörigkeit; aber dennoch ist Erstere nicht auf nur eines dieser „Differenzmerkmale“ reduzierbar. Wenn folglich Kinder auf ihr Türkisch-sein angesprochen werden, so impliziert dies automatisch eine Wir/Sie Trennung in deutsche und türkische Kinder. Interviewfragen wie die auf Seite 145, gerichtet an einen türkischen Jungen: „Fühlst du dich wie die deutschen Schüler und Schülerinnen?“, ist nur zu beantworten, indem auf Stereotype und Topoi zurückgegriffen wird. Indem zudem das Merkmal Geschlecht in dieser Frage dem der Nationalität untergeordnet wird, wird ihm eine hohe Bedeutung beigemessen, die aber keineswegs in der Sache selbst liegt, sondern ihr zugeschrieben wird. Trotz dieser Bedenken ist einsichtig, dass auf diese Fragen nicht verzichtet werden kann.

Besonders erhellend sind in diesem Kapitel vor allem die Antworten der Lehrkräfte: „In den Bildern, die die Lehrkräfte von den Eltern und von der Persönlichkeit eines Grundschulkindes zeichnen, wird transparent, ob die Interaktionen zwischen Kind und Lehrperson von Hoffung und Zuversicht oder eher von Skepsis getragen sind, was deren schulische Entwicklungsmöglichkeiten betrifft“ (172). Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass der Frage, wie Eltern sich gegenüber den Lehrern und Lehrerinnen einbringen können, eine zentrale Bedeutung zukommt. Im nächsten, dem sechsten Kapitel, geht es daher folgerichtig um den Faktor Kooperation bei der Frage der Bildungsteilhabe. In der Diskussion wird festgehalten, dass Lehrer und Lehrerinnen sich wünschen, Schule und Elternhaus würden an einem Strang ziehen. Die relativ geringen Elternrechte des deutschen Schulsystems werden von den Lehrkräften in der Regel nicht in Frage gestellt. Von einer Kooperation erhofft sich die Schule, die Bildungserfolge der Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund verbessern zu können. Insgesamt hält Lieselotte Denner zu diesem Punkt fest: „Aufgrund der Datenlage kann ein Zusammenhang zwischen Form und Qualität der Zusammenarbeit und dem schulischen Erfolg von Kindern mit Migrationshintergrund vermutet werden“ (210). Die Kooperationsabsichten seien deshalb im Interesse der Kinder auf jeden Fall zu unterstützen, aber auch zu begleiten und zu evaluieren.

Bei den im siebten Kapitel referierten Befunden zum Faktor Schulerfolg von Zuwandererkindern geht es zunächst darum, die verschiedenen Sichtweisen zu klären. Was verstehen die Befragten jeweils unter Schulerfolg oder unter Schulmisserfolg? Im Unterschied zu den Erwachsenen wurden die Kinder nicht direkt, sondern indirekt befragt. Es zeigte sich, dass auch bei den leistungsschwachen Kindern eine hohe Lernmotivation zu verzeichnen ist und dass die Unterstützung seitens des Elternhauses gegeben war. Die Darstellung und Diskussion des Faktors Übergänge bestätigt, dass das Bild, das Lehrkräfte vom Unterstützungsverhalten der Eltern haben, eine zentrale Rolle spielt. Dies entkräftet gleichzeitig die Befunde von Studien, die eine Übereinstimmung zwischen Elternwunsch und Schulentscheidung beobachten.

Das folgende Kapitel nimmt die Form des Forschendes Lernens auf und diskutiert unter anderem dessen Relevanz im Kontext der Professionalität von Lehrpersonen.

In Fazit und Ausblick der Studie wird nochmals dezidiert auf die Rolle des Elternhauses eingegangen. Liselotte Denner unterstreicht, dass die Familien bildungserfolgreicher Zuwandererkinder konkret benennbare Schritte unternehmen, um den Schulerfolg ihres Kindes zu begünstigen. Zu den Charakteristika dieser Eltern zähle auch, dass sie den Kontakt zu ihrem deutschen Umfeld suchen und somit Identitätskonflikte verhindern helfen.
Karin Amos (TĂĽbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Karin Amos: Rezension von: Denner, Liselotte: Bildungsteilhabe von Zuwandererkindern, Eine empirische Studie zum Ăśbergang zwischen Primar- und Sekundarstufe (Reihe: Karlsruher pädgigsche Studien, Bd. 8). Karlsruhe: Book on Demand 2007. In: EWR 6 (2007), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383346783.html