EWR 9 (2010), Nr. 4 (Juli/August)

Gabriele Lieber / Ina Friederike Jahn / Antje Danner (Hrsg.)
Durch Bilder Bilden
Empirische Studien zur didaktischen Verwendung von Bildern im Vor- und Grundschulalter
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2009
(178 S.; ISBN 978-3-8340-0633-2; 18,00 EUR)
Durch Bilder Bilden Aktuelle Diskussionen um (früh-)kindliche Bildung und Kompetenzentwicklung im vorschulischen und schulischen Bereich betonen den hohen Stellenwert des Spracherwerbs und der Sprachkompetenz als Voraussetzung für die Aneignung von Wissen und Bildung. Sprache – so die Herausgeberinnen im Vorwort – ist „Ressource“ für alle Lernprozesse: In einer von Globalisierung und Heterogenität geprägten Gesellschaft ist es immer notwendiger, Bilder und Texte zu lesen. Schule ist nach wie vor weitgehend auf die Vermittlung literaler Kompetenzen fokussiert, berücksichtigt aber nicht die zunehmende visuelle Beeinflussung durch die neuen Medien.

Vor diesen Hintergrund sollen mit dem vorliegenden Buch Informationen über die Wirkung von Bildern – insbesondere die Wirkung von Bilderbüchern – vermittelt werden. Die Autorinnen und Autoren sind Studierende des Lehramts an Grundschulen, die im Rahmen ihres Studiums Forschungsprojekte zum Thema aus verschiedensten Blickwinkeln durchgeführt haben. Das Anliegen besteht darin, den bewussten Einsatz von und den Umgang mit Bilderbüchern zu fördern und somit auch einen Beitrag zur (bild-) literalen Bildung in der Schule zu leisten. Dem wird das Buch gerecht. Die Studierenden waren „vor Ort“ und es ist ihnen gelungen, ihre Projekte, ihre Arbeit mit Kindern, Lehrern und Eltern überzeugend darzustellen.

Die einzelnen Kapitel umfassen sowohl wissenschaftliche Aussagen zum Spracherwerb, psychologisches, pädagogisches, didaktisch-methodisches Hintergrundwissen als auch eine differenzierte Darstellung konkreter Unterrichtsprojekte, eine große Auswahl an Bilderbüchern mit Inhaltszusammenfassungen und immer wieder auch Literaturhinweise für den unterrichtsorganisatorischen Einsatz.

Die Gliederung des Bandes folgt fĂĽnf Schwerpunkten:
  • Zur Bedeutung des Bildes fĂĽr die kindliche Entwicklung
  • Bildungspotenziale von BilderbĂĽchern
  • BilderbĂĽcher im Klassenzimmer – Beiträge zur Unterrichtsforschung
  • Förderung benachteiligter Kinder durch BilderbĂĽcher
  • BilderbĂĽcher und ihr Beitrag zu einer elementaren Medienerziehung.


Jedem Schwerpunkt sind drei bis vier Aufsätze zugeordnet, die einem ähnlichen Muster folgen: Einleitend wird die Fragestellung der Untersuchung dargestellt, anschließend auf vorliegende Untersuchungen und Rahmenbedingungen eingegangen und schließlich werden das Forschungsdesign und die Ergebnisse vorgestellt. Am Ende findet der Leser zuverlässig eine kurze Zusammenfassung des Inhalts, ein Resümee oder einen Ausblick. Ein ausführliches Literaturverzeichnis bietet die Möglichkeit zur intensiveren Beschäftigung mit dem Thema.

Der erste Schwerpunkt bietet einen theoretischen Überblick über die Potenziale von Bildern für den Spracherwerb: „Lesen lernen beginnt mit dem Lesen von Bildern“(4).
Annabelle Felber und Manuela Weber stellen zunächst theoretisch-wissenschaftlichen Grundlagen der Entwicklung des Spracherwerbs dar und verweisen auf empirische Studien, die zeigen, dass diese Entwicklung nicht ausreichend unterstützt wird: 10 bis 15 Prozent jedes Altersjahrgangs weisen problematische Auffälligkeiten im Bereich des Spracherwerbs auf (4).
Spracherwerb findet durch die Interaktion, die räumliche Nähe, zwischen Personen statt. Aufgrund ihrer vielfältigen Bildungspozentiale nehmen Bilderbücher eine zentrale Stellung in der Wortschatzarbeit ein. Die gemeinsame Bildbetrachtung und der Einsatz von Bilderbüchern im Unterricht schaffen eine entspannte Atmosphäre, die das bereitwillige Lernen von Sprache ermöglicht und „nebenbei“ geschehen lässt. Gerade auch für Kinder mit Migrationshintergrund bieten sie sich an, weil Verstehen und Kommunikation auch mit lückenhaftem Sprachverständnis ermöglicht wird. Es ist nicht nötig, einzelne Begriffe in die Erstsprache zu übersetzen oder umständlich zu umschreiben. Bilder und Bildmotive erleichtern dem Kind die „Übersetzung“.

Von Lusi Savas werden kindliche Bildwelten und Bildpräferenzen thematisiert und dabei die Auswahl von Kindermedien durch Pädagogen, Eltern, Verlage und Autoren in Frage gestellt. Eine kleine Studie zu den Bilderbuchpräferenzen von Vorschulkindern, durchgeführt und dargestellt von Gabriele Lieber und Birgit Flügel, belegt, dass es große Diskrepanzen zwischen Kinder- und Erwachseneninteressen gibt: Eltern und Pädagogen wählen Bilderbücher häufig nach Kriterien aus, die für sie als Kind wichtig waren. Kinder haben jedoch durchaus eigene Vorstellungen und Zugänge zu Themen und Illustrationen. Sie sind auch bereit, sich Situationen, die von Erwachsenen als schwierig empfunden werden, offen zu nähern. Am Beispiel zweier Bilderbücher, deren Bildästhetik von Eltern und Erzieherinnen am stärksten abgelehnt, die von den Kindern nach anfänglicher Ablehnung aber zu Aufsteigerbilderbüchern gewählt wurden, wird verdeutlicht: „Bilder werden von Kindern dann präferiert, wenn diese für sie bedeutsam sind und formale und inhaltliche Anknüpfungspunkte an ihre konkrete Alltags- und Lebenswelt bieten“ (50).

Der zweite Schwerpunkt stellt die Frage, ob Bilderbücher zur Identitätsbildung beitragen und das emotionale Lernen fördern können. Hervorzuheben sind hier der Aufsatz von Antje Danner über “Angst in der Dunkelheit – Wie Kinder sich ein Bild ihrer Ängste machen“ und der Aufsatz „Emotionales Lernen – Können Bilderbücher die emotionale Ausdrucksfähigkeit von Kindern bereichern?“ von Sabine Müller. Die Beiträge dieses Teils legen den Schluss nahe, dass Bilderbücher eine maßgebliche Rolle spielen können beim Erlangen von Empathiefähigkeit und gute Möglichkeiten im Unterricht bieten, soziales Lernen zu fördern.

Im dritten Kapitel, „Bilderbücher im Klassenzimmer – Beiträge zur Unterrichtsforschung“, wird auf die vielfältigen Möglichkeiten der Aufbereitung von Kinderliteratur im Unterricht hingewiesen. Dazu gehören praktische Gestaltungsaufgaben oder auch der Einsatz von Hörspiel- oder Hörbuchversionen. Katharina Knierim thematisiert die Auseinandersetzung mit Phantasiegefährten im Bilderbuch und zeigt an Beispielen, dass Bilderbücher eine hervorragende Möglichkeit bieten, um Einblicke in kindliche Phantasie- und Gefühlswelten zu erhalten. Ina Friederike Jahn setzt sich in ihrer Studie mit dem Thema „Klassiker im Bilderbuch – Chancen und Grenzen von Bildern und Texten“ auseinander. Zunächst diskutiert sie Für und Wider des Einsatzes von Klassikern im Bilderbuch und beschreibt anschließend Unterrichtsprojekte zu drei Bilderbüchern mit Adaptionen zu Goethetexten. Sie stellt heraus, dass die anfänglichen Bedenken, die Kinder würden keinen Bezug zu dieser Literatur entwickeln, sich als falsch erwiesen und die Kinder durch die Bild-Textverbindung sehr schnell Zugang zu den Inhalten fanden.

Für Lehrerinnen und Lehrer dürften die Projekte zum vierten Schwerpunkt, in dem das Förderpotenzial von Bildern und Bilderbüchern für sozial benachteiligte und zugleich lernschwache Kinder und Kinder mit Migrationshintergrund im Mittelpunkt steht, besonders aufschlussreich sein. Katharina Born und Stefan Glitsch berichten hier über die Arbeit mit zwei Jungen und einem Mädchen. Ihre Zielsetzung war es, die Kinder für eine sinnlich-ästhetische und intensive Auseinandersetzung mit Bilderbüchern zu sensibilisieren und sie zu motivieren, ihren Wortschatz und ihre Ausdrucksfähigkeit zu erweitern. Die Einzelfallstudien zeigen, welch reichhaltiges didaktisches Potenzial Bilderbücher haben und dass es gelingen kann, Motivation und Neugier, sich mit Sprache und Bildern auseinanderzusetzen, zu wecken. In der Darstellung zur Durchführung des Projekts wird allerdings deutlich, dass es vor allem die intensive Einzelbetreuung der Kinder ist, die zu sichtbaren Ergebnissen führt, was auf eine im Schulalltag kaum herstellbare Situation verweist.

Der letzte Schwerpunkt zeigt weitere Perspektiven auf, u.a. die Gestaltung von Bilderbüchern am Computer oder den Einsatz eines neuen Kindermediums, der Bilderbuch-DVD. Auch hier wird an Unterrichtsbeispielen en detail gezeigt, wie Kinder nicht nur neue Medien kennenlernen, sondern verschiedene Medien miteinander verknüpfen und kreativ nutzen können.

Lesenswert ist das Buch nicht allein wegen der praxisnahen Studien, sondern auch wegen der differenziert begründeten Auswahl der in den Projekten eingesetzten Bilderbücher. Jedes der Bücher ist inhaltlich kurz zusammengefasst; den Büchern entnommene Illustrationen verdeutlichen die Auswahlkriterien und machen Lust, diese Bücher kennen zu lernen. Die in den Unterrichtsprojekten entstandenen Zeichnungen der Kinder und Fotos agierender Kinder in unterschiedlichen Zusammenhängen illustrieren darüber hinaus die Arbeit der Studierenden in der Schule. Durch alle Beiträge zieht sich dabei der Hinweis auf die besondere Bedeutung, die der Interaktion zwischen Kind und Bezugsperson für den sprachhandelnden Umgang mit Bilderbüchern zukommt. „Je größer das Vertrauen ist, desto mehr Sprachanlässe werden entstehen“(10) – eine Aussage, die die Gestaltung von „Leseförderung“ beeinflussen sollte.

Das Buch ist allen zu empfehlen, die in der Grundschule tätig sind oder sein werden und Freude am Lesen wecken möchten: Lehramtstudierenden, die sich erstmals mit der Leseförderung befassen, kann das Buch als Grundlage und Anregung für die Arbeit mit Kindern empfohlen werden – Lehrerinnen und Lehrern bietet das Buch neben wissenschaftlichem, psychologischem und pädagogischem Hintergrundwissen eine Vielzahl wichtiger Befunde, die nachdenklich machen, aufmerken lassen und zu einem bewussteren Einsatz von Bilderbüchern beitragen können – und nicht zuletzt ist das Buch für die Lehrerbildung interessant, weil es Ergebnisse forschenden Lernens präsentiert und damit deutlich macht, auf welche Weise Theorie und Praxis in Ausbildungskontexten miteinander korrespondieren können.
Gabriela Zaremba (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gabriela Zaremba: Rezension von: Lieber, Gabriele / Jahn, Ina Friederike / Danner, Antje (Hg.): Durch Bilder bilden, Empirische Studien zur didaktischen Verwendung von Bildern im Vor- und Grundschulalter. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 4 (Veröffentlicht am 10.08.2010), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383400633.html