Mit dem Essener Burggymnasium widmet sich Andreas Gronewald in seiner an der Universität Duisburg-Essen angenommenen Dissertation dem ältesten altsprachlichen Gymnasium Essens. Da diese Schule aus der Zusammenlegung einer katholischen und einer evangelischen Stadtschule entstanden und dabei festgelegt worden war, dass die Leitung alternierend von einem katholischen und einem evangelischen Direktor übernommen werden sollte, richtet sich das Interesse des Autors nicht nur auf die politische Einflussnahme auf die Schulentwicklung, sondern auch auf konfessionelle Aspekte, die ihm „ein für die Entwicklung der Schule prägendes Moment“ (17) zu sein scheinen.
Bei der Beantwortung seiner Forschungsfragen stützt sich Gronewald auf ein breites Fundament von Quellenmaterial, das er in offensichtlich akribischer Recherchearbeit zusammengetragen hat. Die wissenschaftlich fundierte Auswertung von Archivakten, Schuljahresberichten, Festschriften, der Schulzeitung „Akropolis“, die von 1929 bis 1939 erschien, zeitgenössischer Zeitungsartikel sowie der vorliegenden Forschungsliteratur schlägt sich in einem Text nieder, der seinen Schwerpunkt auf die Zeit von 1924 bis 1945 legt: Während für die Frühgeschichte der Schule (Kapitel II) und die Zeit von 1824 bis 1924 (Kapitel III) ca. 50 Seiten verwendet werden, umfassen die Kapitel IV (Übergang von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus) und V (die Schule im Nationalsozialismus) zusammen 100 Seiten. In diesen vier Kapiteln, an die sich ein zusammenfassendes Kapitel anschließt, entsteht ein plastisches Porträt einer Schule, die jedoch – wie der Vergleich mit anderen, ähnlich gelagerten Schulgeschichten zeigt – keinen wie auch immer gearteten Sonderweg aufweist. Der Lehrplan war altsprachlich geprägt, die geistige Orientierung von Schüler- und Lehrerschaft christlich-konservativ, der Wilhelminismus prägte die politische Grundstimmung der Schule im späten 19. Jahrhundert (zu erkennen u.a. an der zustimmenden Haltung zum Ersten Weltkrieg), das politische Klima an der Schule lässt sich für die zweite Hälfte der Weimarer Zeit als völkisch-national beschreiben, der Übergang in den Nationalsozialismus erfolgte reibungslos, das Lehrerkollegium passte sich an die neuen politischen Verhältnisse an, zeigte aber auch die Art passiver Renitenz, wie sie im konservativen Bürgertum verbreitet war, der Krieg führte zu den üblichen Einschränkungen der Unterrichtsarbeit, Schüler wurden zu Luftwaffenhelfern, die „Erweiterte Kinderlandverschickung“ kam zum Tragen, nach dem Krieg kam es zum großen Aufräumen.
Das alles ist wenig aufregend und wird zudem durch das übertriebene Referieren der einschlägigen Forschungsliteratur (z.B. zur Schulpolitik im Kaiserreich oder der Geschichte des „Vereins für das Deutschtum im Ausland“ – VDA) nicht spannender. Dieser Eindruck wird jedoch nicht durch die Fakten an sich hervorgerufen, sondern durch die Herangehensweise des Autors. Gronewald belässt es nämlich bei der deskriptiven Darstellung der Fakten und geht der vergleichenden Betrachtung konsequent aus dem Weg, was dazu führt, dass auch die Besonderheiten der Geschichte des Burggymnasiums nur als Detail am Rande in Erinnerung bleiben. Beispielhaft hierfür ist die von Gronewald eigentlich als Interessenschwerpunkt angegebene konfessionelle Situation der Schule, die in der Tat zu besonderen Ereignissen führte, die wiederum weiterführende Fragen aufwerfen. War die 1868 erfolgte vorzeitige Pensionierung des katholischen Schulleiters und zweier weiterer katholischer Lehrer, die von dem protestantischen Großindustriellen Alfred Krupp finanziert wurde, der nicht wollte, dass sein Sohn an einer Schule mit zu hohem katholischen Einfluss unterrichtet wurde, ein Einzelfall? Oder wird, wie Gronewald behauptet, an diesem Fall deutlich, „wie ausgeprägt der Einfluss führender Industrieller auf die preußische Politik war“ und sich hier der einsetzende Kulturkampf gezeigt habe (47)?
Ebenfalls einen konfessionellen Hintergrund hatte der zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts beginnende Konflikt um den protestantischen Schulleiter Reinhold Biese, der, den staatlichen Anweisungen folgend, konsequent gegen die so genannten „Marianischen Kongregationen“ an seiner Schule vorging und damit katholische Schüler, Eltern und Geistliche gegen sich aufbrachte, was sogar zu Überfällen auf sein Haus führte. Auch hier bleibt die interessante Frage leider unbeantwortet, ob es sich um einen Einzelfall handelte oder ob sich vergleichbare Vorfälle an anderen Schulen nachweisen lassen.
Nicht nur in diesen Fällen wäre eine vergleichende Betrachtung anderer Schulen sinnvoll gewesen, sondern auch im Hinblick auf die Rolle, die der VDA in den späten 1920er Jahren an der Schule einnahm. Hätte Gronewald andere Schulgeschichten oder auch nur einen Aufsatz von Gert Geißler [1] wahrgenommen, wäre ihm klar geworden, dass der VDA in den Jahren der Weimarer Republik reichsweit an den meisten höheren Schulen sehr präsent war und diese Präsenz am Burggymnasium keineswegs eine Besonderheit darstellte. In diesem Zusammenhang wären auch die völkischen Tendenzen, die sich in dem an der Schule stark vertretenen katholischen „Bund Neudeutschland“ zeigten, sowie die Nutzung des schuleigenen Schullandheims einer vergleichenden Betrachtung wert gewesen.
Als Fazit lässt sich sagen, dass die Publikation von Andreas Gronewald leider ein paar Chancen bildungsgeschichtlicher Forschung vertan hat, dafür aber für Personen aus dem Umfeld der Schule sicherlich eine interessante Lektüre darstellt, zumal Fotos im Text und im Anhang, der außerdem Dokumente und statistische Daten wiedergibt, die Darstellung veranschaulichen.
[1] Gert Geißler: Die Schulgruppen des „Vereins für das Deutschtum im Ausland“. In: Jahrbuch für Historische Bildungsforschung, 8 (2002), S. 229-258.
EWR 13 (2014), Nr. 1 (Januar/Februar)
Das Essener Burggymnasium 1824-1945
Eine Höhere Schule im Spiegel wechselnder politischer Machtsysteme
Essen: Klartext-Verlag 2012
(234 S.; ISBN 978-3-8375-0819-2; 29,95 EUR)
RĂĽdiger Loeffelmeier (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
RĂĽdiger Loeffelmeier: Rezension von: Gronewald, Andreas: Das Essener Burggymnasium 1824-1945, Eine Höhere Schule im Spiegel wechselnder politischer Machtsysteme. Essen: Klartext-Verlag 2012. In: EWR 13 (2014), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2014), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383750819.html
RĂĽdiger Loeffelmeier: Rezension von: Gronewald, Andreas: Das Essener Burggymnasium 1824-1945, Eine Höhere Schule im Spiegel wechselnder politischer Machtsysteme. Essen: Klartext-Verlag 2012. In: EWR 13 (2014), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2014), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383750819.html