EWR 14 (2015), Nr. 5 (September/Oktober)

Alisha M. B. Heinemann
Teilnahme an Weiterbildung in der Migrationsgesellschaft
Perspektiven deutscher Frauen mit „Migrationshintergrund“
Bielefeld: transcript 2014
(328 S.; ISBN 978-3-8376-2718-3; 34,99 EUR)
Teilnahme an Weiterbildung in der Migrationsgesellschaft Während sich einige erziehungswissenschaftliche Teildisziplinen, wie die Schulpädagogik, schon seit den 1970er Jahren intensiver mit Migration beschäftigen, wird in der Erwachsenenbildung erst in jüngster Zeit zunehmend zu einschlägigen Themen geforscht. Unter anderem haben repräsentative Studien – etwa der Adult Education Survey oder das Sozioökonomische Panel – gezeigt, dass Menschen mit Migrationsbiografien in der Weiterbildung unterrepräsentiert sind (39ff). Diese Befunde sowie aktuelle Integrationsdiskurse oder rechtliche Maßnahmen (Zuwanderungsgesetz) erwecken Interesse an möglichen Ursachen und Zusammenhängen. Nicht zuletzt werden einschlägige Wissensgrundlagen für die Entwicklung innovativer Bildungsangebote nachgefragt.

Die an der Universität Hamburg vorgelegte Dissertationsschrift von Alisha Heinemann greift theoretische Erkenntnisse aus der interkulturellen Pädagogik / Migrationspädagogik auf, überträgt diese auf das Feld der Weiterbildung und konkretisiert ausgewählte Erkenntnisse anhand qualitativer empirischer Daten. Die dem Buch zugrundeliegende Studie beleuchtet Motive, Erfahrungen sowie Strategien von Frauen mit Migrationsgeschichte im Zugang zu Weiterbildung. Die theoretischen Bezüge orientieren sich an macht- und herrschaftskritischen Ansätzen, insbesondere werden Perspektiven aus den Postcolonial Studies eingeführt. Das Handeln der Interviewpartnerinnen wird unter Rückgriff auf Bourdieus Konzepte zu Habitus, Kapitalsorten und symbolischer Herrschaft analysiert. Da die Autorin den gesellschaftlichen Diskurs über Migration und Zugehörigkeit als wesentlichen Einflussfaktor auf das Selbstverständnis und die Handlungsfähigkeit der Akteurinnen betrachtet, wird der Umgang mit Begrifflichkeiten sorgfältig reflektiert – auch in Bezug auf die eigene Darstellung von Inhalten im Rahmen der akademischen Wissensproduktion. Ein zentrales Beispiel stellt in diesem Zusammenhang die Zuschreibung eines so genannten Migrationshintergrundes dar, die als Akt symbolischer Ausgrenzung wirksam werden kann. Mit diesem Terminus wird außerdem eine Gruppe konstruiert, die in sich alles andere als homogen ist.

Alisha Heinemann hat für ihre Arbeit elf Interviews mit Frauen im Alter zwischen 25 und 50 Jahren durchgeführt, die zum Teil bereits in Deutschland aufgewachsen sind oder aber im Erwachsenenalter migriert sind. Da sie ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, werden sie, unabhängig von ihrem Rechtsstatus, als „deutsche“ Frauen („mit Migrationshintergrund“) bezeichnet. Damit möchte die Autorin bewusst gängige Benennungspraxen, die Zugehörigkeit in Frage stellen, kontrastieren. Anhand des empirischen Materials werden subjektive Perspektiven der Frauen auf Weiterbildung analysiert, insbesondere ihre Gründe für eine Teilnahme / Nicht-Teilnahme an Bildungsangeboten.

Wenngleich sich die Lebenslagen der Befragten in vielerlei Hinsicht unterscheiden, lassen sich dennoch einige zentrale Phänomene quer durch die Erzählungen identifizieren. Die subjektiven Begründungslogiken der Befragten in Bezug auf Weiterbildungsteilnahme werden in vier Dimensionen gefasst. Die Schlüsseldimension „Zugehörigkeit“ (145ff) resultiert sowohl aus subjektiven Einschätzungen der Einzelnen als auch aus Fremdzuschreibungen. Neben Anerkennungserfahrungen trägt nicht zuletzt das Erleben von Zugehörigkeit zur so bezeichneten Mehrheitsgesellschaft wesentlich dazu bei, dass Weiterbildung als eine Option zur Erweiterung der eigenen Handlungsfähigkeit wahrgenommen werden kann. Fragt man weiter danach, was das Entstehens eines Zugehörigkeitsempfindens behindert, so verweisen die empirischen Ergebnisse auf Diskriminierungserfahrungen, auf mangelnde soziale Einbettung und Unterstützung im Alltag, sowie auf strukturelle bzw. symbolische Exklusion aus der Gesellschaft – insbesondere wenn derartige Erfahrungen häufiger gemacht werden. Symbolischer Ausschluss erfolgt beispielsweise durch die permanente Unterscheidung in ein „Wir“ und ein „Nicht-Wir“ („Othering“) in öffentlichen Diskursen.

Drei weitere Dimensionen verstärken bzw. schwächen die Relevanz der Zugehörigkeitsthematik ab. Rechtliche Barrieren im Zugang zum Arbeitsmarkt bzw. bezüglich der Aufenthaltssicherheit beeinflussen das von der Autorin so bezeichnete „staatsbürgerliche Handlungskapital“ (178ff). In der Dimension des „kulturellen Kapitals“ (194ff) rücken die Anerkennung von Bildungsabschlüssen, die Schriftsprachkompetenzen im Deutschen, individuelle Lernvoraussetzungen sowie Informationen über den Weiterbildungsmarkt als relevante Faktoren ins Blickfeld. Nicht nur eine konkrete Nutzenerwartung begünstigt etwa die Teilnahme an einem Deutschkurs, sondern es muss auch bereits eine ausreichende Sprachbasis vorhanden sein. Es zeigte sich des Weiteren, dass die Unterstützung durch Institutionen und Netzwerke bei der Orientierung im Feld der Weiterbildung eine wichtige Rolle spielt. In der vierten Dimension werden Begründungsfiguren zusammengefasst, die nicht unmittelbar migrationsspezifisch sind (wie z.B. finanzielle Ressourcen, Gender-Aspekte etc.), durchaus aber in Wechselwirkung mit den anderen genannten Dimensionen stehen.

Nach der Darstellung der Forschungsergebnisse skizziert die Autorin abschließend noch einige Ansatzpunkte, die sich für Weiterbildungsinstitutionen aus den Erkenntnissen der Studie ergeben. Um Chancengleichheit in Bezug auf Bildungspartizipation zu schaffen, werden u.a. einschlägige Öffentlichkeitsarbeit, aufsuchende Konzeptionen, Kooperationen mit Selbstorganisationen von MigrantInnen, die Schaffung von Schutzräumen oder das Überdenken von Zeitstrukturen genannt. In Anlehnung an Gender Mainstreaming Konzepte weist A. Heinemann auf die Konzeption eines „Cultural Mainstreaming“ (290f) hin und meint damit eine institutionelle Strategie zur Sicherung gleichberechtigter Teilhabe (ohne dies aber im Detail zu erläutern). Am Ende stehen schließlich noch einige Überlegungen in Bezug auf pädagogische Professionalität in der Migrationsgesellschaft. Die Autorin betont, dass pädagogische Fachkräfte (rassismus-)kritische reflexive Haltungen in Bezug auf Migrationsgesellschaft entwickeln sollten. Sie sieht einschlägige Kompetenzen jedoch nicht als Spezialqualifikation für die Arbeit mit bestimmten Zielgruppen an, sondern als generelle Anforderung professioneller Weiterbildungstätigkeit in einer Migrationsgesellschaft.

Die interessante, gut lesbare und empirisch aufschlussreiche Publikation kann nicht nur LeserInnen aus dem Theorie- und Praxisfeld der Weiterbildung empfohlen werden. Viele der Erkenntnisse berühren grundsätzliche Fragen (etwa über Zugehörigkeitsordnungen und Diskriminierung), die ebenso in der Sozialpädagogik, im Schulwesen und darüber hinaus von allgemeinpädagogischer Relevanz sind. Es gelingt der Autorin, das Zusammenwirken von Einflussfaktoren auf unterschiedlichen Ebenen (politisch-rechtliche Bedingungen, institutionelle Einflüsse, subjektive Faktoren) anschaulich zu verknüpfen und darzustellen. Die Studie zeichnet sich darüber hinaus durch ihre Aufmerksamkeit für historische und globale Bezüge aus, die im Konkreten unter Rückgriff auf postkoloniale Theorien einfließen. Sämtliche Ausführungen sind in einen kritisch-reflexiven Umgang der Autorin mit Daten und Theorien eingebettet – auch die eigene Verantwortung und Verstrickung als Wissenschaftlerin wird dabei nicht ausgespart.
Annette Sprung (Graz)
Zur Zitierweise der Rezension:
Annette Sprung: Rezension von: Heinemann, Alisha M. B.: Teilnahme an Weiterbildung in der Migrationsgesellschaft, Perspektiven deutscher Frauen mit „Migrationshintergrund“. Bielefeld: transcript 2014. In: EWR 14 (2015), Nr. 5 (Veröffentlicht am 23.09.2015), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383762718.html