EWR 15 (2016), Nr. 5 (September/Oktober)

Ulrike Stadler-Altmann (Hrsg.)
Lernumgebungen
Erziehungswissenschaftliche Perspektiven auf Schulgebäude und Klassenzimmer
Opladen: Barbara Budrich 2016
(154 S.; ISBN 978-3-8474-0709-6; 22,90 EUR)
Lernumgebungen Der vorliegende Band geht auf wissenschaftliche Symposien aus den Jahren 2014 und 2015 zurück, die (auch) als Lehrerfortbildungen konzipiert waren und unter dem Titel „school of the future“ am Zentrum für Lehrerbildung der Universität Koblenz-Landau stattgefunden haben. Im Buch selbst gibt es nur einen sehr knappen Hinweis darauf, der aber wichtig ist – um zu verstehen, warum hier Texte von Autorinnen und Autoren aus Island, Nordengland, Deutschland, den USA und Portugal versammelt sind, die aus unterschiedlichen Professionen und Disziplinen stammen und das Thema Lernumgebungen so aufbereitet ist, dass sich mehr oder weniger direkte Bezüge zum Berufsalltag von Lehrerinnen und Lehrern herstellen lassen. Die Beiträge sind von forschenden Schulleiterinnen, Erziehungswissenschaftler_innen, Architekten und einer Architekturpsychologin verfasst. Jeder der sechs deutschsprachigen und vier englischen Texte beginnt mit einer englischen und einer deutschen Kurzfassung.

Ulrike Stadler-Altmann geht einleitend auf Schulgebäude und Klassenzimmer als Forschungsgegenstand ein und ist an späterer Stelle mit einem weiteren informativen Beitrag über empirische Untersuchungen zum Zusammenhang von Pädagogik und Schulraum vertreten. Darin stellt sie u.a. Studien vor, die die pädagogischen Überzeugungen von Lehrkräften im Zusammenhang mit ihrer Bewegungsaktivität im Klassenraum erforscht haben. Die zur Illustration aufgenommene Abbildung (59) aus einer Studie, die sich mit den Effekten der Einrichtung von Klassenräumen auf das Bewegungsverhalten von Lehrkräften befasste, zeigt, dass bereits die Vorstrukturiertheit des Raumes viel damit zu tun hat, ob sich eine Lehrkraft viel darin bewegt und quasi ein Bewegungsmuster schülerorientierten Unterrichts erzeugt oder – bei lehrerzentriertem Unterricht – einen Fixpunkt hat.

Die Zusammenhänge zwischen Schulgebäuden, Klassenzimmern, Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften sieht Stadler-Altmann in der Erziehungswissenschaft freilich noch immer als unzureichend erforscht an. Sie merkt an, dass es schon eher Designer und Architekten sind, die sich „ausgehend von der Frage, wie Design gelernt werden kann“ (10) mit eben diesen Zusammenhängen befassen. Insofern ist es folgerichtig, dass in dem Band später auch Architekten zu Wort kommen. Sie lösen ein, was Christian Rittelmeyer in seinem Überblicksbeitrag bei Schulplanern erst in Ansätzen verwirklicht sieht – nämlich die Ergebnisse der internationalen Schulbauforschung zur Kenntnis zu nehmen, die belegen würden, dass positiv erlebte Schulbauten auch positiv mit Wohlbefinden, Gesundheit und Leistungsfähigkeit korrelieren.

Rittelmeyer ist in Deutschland seit den 1990er Jahren bekannt für seine empirischen Untersuchungen zur Wahrnehmung von Schulgebäuden und die in programmatischer Hinsicht schon immer klaren Worte, mit denen er hier z.B. die „andauernde Misere der Schulbauplanung“ (18) anprangert. Sein Text beginnt mit Ausführungen zum sogenannten „semantischen Differential“, das bei Schülerbefragungen eingesetzt wurde und Aussagen darüber zulässt, welche rhetorischen oder sozialen Botschaften ein Bau aussendet (ob eine – im Forschungskontext nicht reale, sondern bildlich dargestellte – Schulbaufassade z.B. erdrückend oder befreiend, düster oder heiter, anregend oder langweilig empfunden wird). Aus solchen Aussagen sind die von ihm systematisch entwickelten und hier erneut abgedruckten drei Kriterien schülergerechter Schulbauten entstanden, nach denen Schulgebäude dann als sympathisch empfunden werden, wenn sie anregungs- und abwechslungsreich sind, freilassende Formen und Farben haben und Wärme und Weichheit statt Kälte und Härte ausstrahlen. Rittelmeyer diskutiert auch, woran es liegt, dass Schulbauplaner auf der einen und Nutzerinnen und Nutzer auf der anderen Seite häufig so verschiedenartige und unvereinbare Qualitätskriterien für ein und dasselbe entwickeln und macht dafür das Fehlen einer gemeinsamen Sprache verantwortlich.

Der isländische Beitrag von Anna Kristin Sigurðardóttir und Torfi Hjartarson handelt von Beobachtungen und Analysen zu Klassenraum- und Unterrichtssettings in 20 Schulen unterschiedlicher Bauzeit. Ein Befund unter vielen – sehr viel differenzierteren – ist, dass selbst in außergewöhnlich offenen Raumarrangements der neuen open space Schulen die direkte Instruktion und das Unterrichtsgespräch als Unterrichtsmethoden bevorzugt werden und der Trend zu offenen Räumen nicht automatisch mit dem Verlassen gewohnter Bahnen des Lehrens einhergeht. Auch in Island ist das Sitzen der Schülerinnen und Schüler an Gruppentischen kein belastbares Zeichen für offene Unterrichtssettings – ganz ähnlich wie Studien zu deutschen Klassenraumsettings es nahelegen.

Der Beitrag aus Nordengland von Pamela Woolner und Lucy Tiplady berichtet über das Konzept einer Schule, das sich als eine erfolgreiche Strategie im Umgang mit verschiedenen Herausforderungen (z.B. der hohen Zahl von Kindern mit Englisch als Additional Language) erwiesen hat. Mit „growit – cookit – filmit – askit“ wird ein erfahrungsbasierter Ansatz vorgestellt, der auf den Raum insofern Einfluss hat, als z.B. alle verfügbaren Flächen des Schulareals zur Gartenarbeit genutzt wurden, ein Klassenraum in einen Kochraum umgewandelt oder ein „Wunderbaum“ errichtet wurde, an denen Kinder Botschaften ihrer Erfolge oder auch Misserfolge anbringen können.

Bettina Maria Gördels Beitrag über Educational Governance-Strategien im öffentlichen Schulbau in Deutschland kommt in dem Band eine Brückenfunktion zwischen den eher pädagogischen Texten und denen der Architekten zu. Die Autorin geht u. a. auf staatliche Schulbaurichtlinien ein und bemerkt, dass in keinem der deutschen Bundesländer eine Pflicht bestehe, dem Schulbauentwurf auch ein schulpädagogisches Konzept zugrunde zu legen – anders als z. B. in Südtirol. Schließlich bringt sie Peter Hübner als einen der „Stararchitekten im Schulbau“ (93) ins Spiel, den sie governance-kritisch interpretiert.

Peter Hübner verfolgt wie auch sein US-amerikanischer Kollege Henry Sanoff einen konsequent partizipatorischen Ansatz. Beide sind hier mit einem eigenen Beitrag vertreten. Henry Sanoff berichtet, wie Lehrkräfte in die Planung einer Elementarschule einbezogen und auf der Basis von Beobachtung und Analyse verschiedener Lern- und Lehrstrategien Klassenzimmer in L-Form entworfen wurden. Diese Form scheint der Flexibilisierung von Lernformen sehr entgegenzukommen und ist eine evidenzbasierte Alternative im Schulbau – die z. B. jener historischen „Alles-ist-möglich-Ideologie“ (115) vieler westdeutscher Schulbauten der 1960er bis 1980er Jahre gegenübersteht, mit denen Peter Hübner scharf ins Gericht geht. Für ihn ist die Überzeugung, dass Lernräume flexibel für alle Nutzungen gleich gut geeignet seien, ein Trugschluss. In seinem Beitrag führt er für einige seiner Schulbauten aus, wie eine Schule als Lebensort aussehen kann, wenn Landschaft und pädagogisches Konzept einbezogen werden.

Ein Text aus Portugal schließt die Reihe der Architektenbeiträge ab. Gonçalo Canto Moniz und Carolina Ferreira berichten darin über ein studentisches Projekt, in dem Zukunft-Szenarios für die Schule als Stadt und – auch umgekehrt – die Stadt als Schule entwickelt und konstruiert wurden.

Im letzten Beitrag stellt die Architekturpsychologin Rotraud Walden Lärmuntersuchungen vor und geht auf die Effekte von Lärm auf mentale Leistungen und lärmbedingte Gesundheitsstörungen von Lehrkräften ein.

Alles in allem liegt ein schmales, aber themenreiches Buch vor. Der mitunter etwas normative Gestus, mit dem (auch auf dem Klappentext) von Wegen für eine optimale Schul- und Klassenzimmergestaltung gesprochen wird, wird nicht allen gefallen, und die Zusammenstellung englischer und deutscher Texte (wie man es eher aus erziehungswissenschaftlichen Zeitschriften kennt) könnte für die Rezeption ein ähnlich schwer kalkulierbares Risiko darstellen. Aber das Buch kann sich in der Reihe von Büchern, die sich zuletzt auffallend konjunkturell mit dem Raum (von Schule) beschäftigt haben, durchaus behaupten.
Heidemarie Kemnitz (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Heidemarie Kemnitz: Rezension von: Stadler-Altmann, Ulrike (Hg.): Lernumgebungen, Erziehungswissenschaftliche Perspektiven auf Schulgebäude und Klassenzimmer. Opladen: Barbara Budrich 2016. In: EWR 15 (2016), Nr. 5 (Veröffentlicht am 29.09.2016), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978384740709.html