EWR 15 (2016), Nr. 1 (Januar/Februar)

Katrin Kraus (Hrsg.)
Bildung von Lehrerinnen und Lehrern
Herausforderungen in Schule, Hochschule und Gesellschaft
Opladen / Berlin / Toronto: Budrich UniPress 2015
(145 S.; ISBN 978-3-86388-705-6; 22,90 EUR)
Bildung von Lehrerinnen und Lehrern Der von Katrin Kraus herausgegebene Sammelband fokussiert in seinem Titel auf Bildung von Lehrerinnen und Lehrern als „Grundlage dafĂŒr, dass sie die Herausforderungen der Schule in unserer Gesellschaft annehmen und in einem guten Sinne gestalten können“ (7). Der Fokus der Betrachtung liegt dabei auf der Schweiz, wie es der Klappentext des Buches auch explizit ausweist.

Der Sammelband beginnt mit dem systematisch gehaltenen Beitrag „Lehrerinnen- und Lehrerbildung und die Berufspraxis – Anmerkungen zu einem vielfach missverstandenen VerhĂ€ltnis“ von Hermann J. Forneck. Der Beitrag greift die Theorie-Praxis-Problematik unter dem Stichwort der „Evidenzbasierung“ pĂ€dagogischen Handelns auf (15) und legt eine konzise Analyse vor: Der Autor arbeitet heraus, inwiefern Evidenzbasierung „standardisierte Kontextbedingungen“ voraussetze (19) womit „Evidenzen auf einer Ebene generiert [wĂŒrden], die oberhalb der Ebene des konkreten pĂ€dagogischen Handelns liegt“ (19). Entsprechend, so die These des Beitrags, werde durch individualisierende Kontextualisierung im Praxisfeld weniger Evidenz als vielmehr Varianz erzeugt. In einem weiteren Schritt analysiert der Autor, inwiefern empirischer Bildungsforschung zudem ein „praktisches Erkenntnisinteresse“ innewohnt, weil sie „einen besseren Unterricht und damit eine Vorstellung gelingender Bildung bzw. gelingenden Lernens“ anstrebe (19). Lernen, so resĂŒmiert der Autor, sei entsprechend „kein empirischer Gegenstand, sondern einer des Sein-Sollens, dem die Praxis noch nicht genĂŒgt“ (21). In der „Triangulation von Theorie, Empirie und handlungsorientierter KonstruktivitĂ€t“ (20) sieht der Autor einen „methodologischen Paradigmenwechsel im Bereich erziehungswissenschaftlicher Forschung“ (21), der die wissens- und geltungstheoretisch ungeklĂ€rte Vermittlung von vermeintlicher Evidenzbasierung und Handlungsorientierung durch empirische Bildungsforschung aufzubrechen vermag.

Der Beitrag „Epistemische Kulturen und Kompetenzerwerb an PĂ€dagogischen Hochschulen“ von Jan Weisser versucht mit dem Begriff der „epistemischen Kulturen“, der „die Evolution kognitiver Leistungen ─ Verfahren und Methoden, geprĂŒftes Wissen, neue Ideen und AnsĂ€tze“ in den Blick nehmen soll (28), das Studienangebot PĂ€dagogischer Hochschulen auf Kompetenzerwerbsprozesse hin zu beschreiben. Inwiefern die vom Autor eingerĂ€umten Unklarheiten des Kompetenzbegriffs (35) fĂŒr die theoretisch gehaltene Analyse ein Problem darstellen, bleibt dabei offen. Stattdessen wird erlĂ€utert, wie aus Sicht des Autors „Kompetenzerwerb in Modullandschaften“ (38) PĂ€dagogischer Hochschulen unter den Rahmenbedingungen der Bologna-Reform vonstattengeht.

„Zum VerhĂ€ltnis von Lehrpersonenbildung und Hochschuldidaktik“ schreibt Markus Weil und fordert, „dass einer Lehrpersonenbildung, die auf Hochschulbildung angesiedelt ist, eine entsprechende Hochschuldidaktik zur Seite zu stellen ist“ (53). Sie könne dabei „an Lehrpersonenbildung anknĂŒpfen und muss sich ĂŒber singulĂ€re methodische Überlegungen hinaus zu ihr ins VerhĂ€ltnis setzen“ (54). Sicherlich lohnt es sich, diesem Gedanken Weils weiter nachzugehen. Dazu erscheint es allerdings unabdingbar, zunĂ€chst noch genauere theoretische und empirische KlĂ€rungsarbeit zu leisten.

Begriffliche KlĂ€rung oder empirische Analysen stehen auch nicht im Zentrum des Beitrages „Inklusion als Impuls fĂŒr Organisationsentwicklung an Hochschulen. Das Beispiel des Studiengangs Organisationsentwicklung und Inklusion der Hochschule Neubrandenburg“ von Steffi Kraehmer, wenngleich der Inklusionsbegriff als „gesellschaftsorientiertes und menschenrechtsbasiertes Paradigma“ eingefĂŒhrt wird (57). Der Beitrag verfolgt vielmehr das Ziel, „Inklusion als Thematik aufzugreifen und als Impuls fĂŒr Organisationsentwicklung im Hochschulbereich zu nutzen“ (58). Dieser programmatischen Ausrichtung des Textes sind vermutlich Aussagen wie „Viele Akteurinnen und Akteure gewinnen dem Inklusionsansatz [...] etwas Positives ab“ (59) oder Appellen wie „Inklusion fordert eine aktive Gesellschaft, die in den Unterschieden der Menschen eine Bereicherung sieht“ (59) geschuldet, die eher affirmativ-normativen als theoretischen bzw. empirischen Charakter tragen. Inklusion erfordere, so die Autorin, „Change Management“ (65), auf das hin die Gestaltungselemente des von ihr vorgestellten Studiengangs ausgerichtet sind, wie abschließend dargelegt wird.

„Die Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern: vom Staatsmonopol zum handelbaren Gut?“ von Lucien Criblez liefert eine historische Perspektive auf die Lehrerbildung in der Schweiz vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Ein Schwerpunkt liegt zum einen in der Betrachtung der 1960er und 1970er Jahre, wo die Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern als Staatsaufgabe begriffen wurde und zum anderen in der seit den 1990er Jahren vollzogenen Wende hin zu Marktorientierung und Dezentralisierung. „Markt oder Staat – oder: Ist die Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer ein ‚handelbares‘ Gut?“ (84), so spitzt Criblez die Frage zu und zeichnet unter dieser Überschrift aktuelle Entwicklungen im Rahmen von GATS, dem „General Agreement on Trade in Services“ nach (84f.). Sein ResĂŒmee lautet: „Ist (Weiter-)Bildung ein international handelbares Gut, ist weder ein kantonal geschĂŒtzter Markt fĂŒr Weiterbildungsangebote noch ein staatliches Monopolangebot aufrechtzuerhalten“ (85)? Ein weiterer Reformschub stĂŒnde bevor, so der Autor. Interessant wĂ€re freilich auch die inhaltliche Bearbeitung der von ihm aufgeworfenen Frage, z. B. unter RĂŒckgriff auf bildungstheoretische Kategorien.

Bildungstheoretische Reminiszenzen scheinen hingegen im Beitrag „Lesesozialisation verstehen und das Lesen verstĂ€ndig unterstĂŒtzen. Aufgaben fĂŒr Lehrerinnen und Lehrer“ von Andrea Bertsch-Kaufmann auf. „Das eigene im Anderen des Textes wiederkennend sind Lesende erst einmal bei sich“ heißt es zur LiteralitĂ€t als Norm (94), womit auf „Persönlichkeitsbildung im humboldtschen Sinn“ (95) angespielt wird. Der Beitrag geht auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen ein, die gegenĂŒber der bĂŒrgerlichen Lesekultur zu New Literacies fĂŒhrten (101) und resĂŒmiert, jugendliche Lesepraktiken seien „anders und besser als ihr Ruf“ (104). Der Beitrag widerspricht somit „einer kulturpessimistischen EinschĂ€tzung jugendlichen Leseverhaltens“, der „oft mit Bezug auf PISA vorgenommen wird“ (104).

Mit seinem Beitrag „Schulinternes QualitĂ€tsmanagement fördert den Unterricht am besten, wenn es sich selbst begrenzt“ zeigt Wolfgang Beywl, was schulisches QualitĂ€tsmanagement zentral von QualitĂ€tsmanagement in ökonomischen Kontexten unterscheidet und stĂŒtzt sich dabei auf den Gedanken, dass sich „Unterricht [...] in stĂ€ndiger Koproduktion von Lehrenden und Lernenden“ vollziehe (113). QualitĂ€tssicherung könne daher nicht wie „in standardisierter Produktion“ verfahren (114). Koproduktionsprozesse seien schließlich „unvermeidbar in hohem Masse personen- und situationsabhĂ€ngig“ (115). Planung geschehe entsprechend, so der Autor, „immer in der Gewissheit um das Risiko des Scheiterns“ (115). „Gelungene Selbstbegrenzung des schulinternen QualitĂ€tsmanagements“ sei daher „in allen seinen Ebenen auf das Notwendige beschrĂ€nkt“ (125), womit der Autor die Standardisierungsproblematik des ersten Beitrags im Rahmen des UnterrichtsqualitĂ€tsdiskurses konkretisiert.

Der Band schließt mit dem Beitrag „Die Gesellschaftlichkeit der Erziehung. AnsĂ€tze, Rezeption und ResonanzrĂ€ume der erziehungstheoretischen Positionen von Anna Siemsen“ von Katrin Kraus. Mit Anna Siemsen fĂŒhrt die Autorin zentrale GedankengĂ€nge der in der Erziehungswissenschaft wenig rezipierten „Theoretikerin des Sozialismus und Professorin der Erziehungswissenschaft“ (132) vor. So zeichnet die Autorin Siemsens gesellschaftstheoretische Sicht auf Erziehung in die „ResonanzrĂ€ume“ Frauenbewegung (134ff), ReformpĂ€dagogik (137f) und BerufspĂ€dagogik ein und zeigt u. a., wie Siemsens GedankengĂ€nge anti-rationalistischen Impulsen der ReformpĂ€dagogik und der Berufsbildungstheorien wehren. Durch eine Auseinandersetzung mit ihrem Werk könne, so das Fazit, das „VerhĂ€ltnis von Individuum, Gesellschaft und Erziehung“ (141) verstĂ€rkt in den Blick gerĂŒckt werden. Die KlĂ€rung dieser VerhĂ€ltnisbestimmung ist freilich von jeher Kernbestand nachaufklĂ€rerischen pĂ€dagogisch-systematischen Denkens, was im Beitrag allerdings nicht weiter thematisch wird.

Die Reflexion dieser von Kraus angesprochenen VerhĂ€ltnisbestimmung dĂŒrfte in der Tat ein zentraler Beitrag zur „Bildung von Lehrerinnen und Lehrern“ sein, um die „Herausforderungen in Schule, Hochschule und Gesellschaft“, wie es im Titel des Sammelbandes heißt, adĂ€quat in den Blick nehmen zu können. Der Band lĂ€sst entsprechend systematische BeitrĂ€ge zur Themenstellung erwarten, was er allerdings in dieser Form nicht an allen Stellen einzulösen vermag, vor allem dort nicht, wo einzelne BeitrĂ€ge sowohl theoretische als auch empirische KlĂ€rungen vermissen lassen. Wo sie vorgenommen werden, bieten sie, wie der erste Beitrag anschaulich demonstriert, anregende Impulse fĂŒr die in den Blick genommenen Herausforderungen.
Martin Harant (TĂŒbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Martin Harant: Rezension von: Kraus, Katrin (Hg.): Bildung von Lehrerinnen und Lehrern, Herausforderungen in Schule, Hochschule und Gesellschaft. Opladen / Berlin / Toronto: Budrich UniPress 2015. In: EWR 15 (2016), Nr. 1 (Veröffentlicht am 04.02.2016), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978386388705.html