EWR 9 (2010), Nr. 5 (September/Oktober)

Andrea Liesner / Ingrid Lohmann (Hrsg.)
Bachelor Bolognese
Erfahrungen mit der neuen Studienstruktur
Opladen: Barbara Budrich 2009
(207 S.; ISBN 978-3-86649-281-3; 14,90 EUR)
Bachelor Bolognese „Bologna“ ist gegenwärtig zum Synonym für eine radikale und flächendeckende Reform des europäischen Hochschulraums avanciert. Doch was genau steckt hinter diesem Schlagwort, das nun schon seit mehr als 10 Jahren die bildungspolitische Diskussion dominiert? Die Ziele des sogenannten „Bologna-Prozesses“ scheinen allen geläufig und kaum jemand erhebt Einspruch gegen die Intention eines gemeinsamen europäischen Hochschulraums, der vergleichbare Studienstrukturen und Abschlüsse aufweist, damit die Mobilität und die arbeitsmarktbezogene Qualifizierung der Studierenden steigt. Doch weiß die breite Öffentlichkeit kaum etwas über die bisherigen Wirkungen, die das „Prinzip Bologna“ ausgelöst hat.

Ein Grund für die Herausgeberinnen Andrea Liesner und Ingrid Lohmann, genauer hinzusehen und diese Perspektive kritisch in den Blick zu nehmen. Anlass des Buches „Bachelor Bolognese“ war für die Autorinnen die Frage nach dem eigenen Involviertsein in die Dynamiken der Reform. Dies taten sie gemeinsam mit Studierenden und Kolleg/innen im Rahmen eines erziehungswissenschaftlichen Seminars „Bildung – Halbbildung – Unbildung. Studieren unter BA-MA Strukturen“ im Sommersemester 2008 an der Universität Hamburg. Der Band „Bachelor Bolognese“ vereint dabei die Erfahrungen von Hochschullehrer/innen, wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen und Studierenden unterschiedlichster Disziplinen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Gemeinsam diskutieren sie über Risiken und Nebenwirkungen der Reform, äußern sich zu der Problematik des Berufsbezugs und wagen einen abschließenden Ausblick auf die nächste Studienreform. So gelingt ihnen eine Diskurskritik über die Eigendynamik und Verwertungslogik einer Reform, die ihrerseits schon wieder reformiert wird.

In ihren Analysen der neuen Studienstrukturen sind sich die Autoren/innen dabei weitgehend einig: Das „Prinzip Bologna“ zeigt sich als widersprüchlich strukturiertes, das allein unter dem Vorzeichen der wirtschaftlichen Effizienz noch sinnvoll zu sein scheint. Verschulte Stunden- und verdichtete Prüfungspläne, mangelnde personelle und finanzielle Ressourcen und ein zunehmender Evaluationsdruck machen den im Humboldt’schen Sinne verstandenen gemeinsamen prozesshaften Vollzug von Wissenschaft schwer möglich.

In den Beiträgen der Lehrenden wird dabei vor allem die Inhaltsauffassung universitären Lehrens und Lernens in den Blick genommen, in dem die Aufspaltung der Einheit von Forschung und Lehre analysiert wird. Ursula Link-Heer zeigt in ihren Beitrag anhand der Exzellenzinitiative in der Forschung auf, dass die universitäre Lehre immer mehr an Bedeutung verliert. Diese Einschätzung teilen weitere Autoren/innen des Bandes, wenn sie zunehmende Dualismen in einer neuen Hierarchisierung der Hochschulstruktur analysieren. Die Universität wird dabei immer mehr zu einem marktwirtschaftlichen Unternehmen, in dessen Outcome eine Massenausbildung einer exklusiven Eliteausbilung gegenübersteht (vgl. den Beitrag von Konrad Paul Liessmann).

Der Bachelor als erster berufsqualifizierender Abschluss wird damit zunehmend zur Ausbildung degradiert, die den Anspruch auf Bildung verliert (vgl. Isidor Wallimann). Dies zeigt sich vor allem in der prominenten Forderung nach einem Berufsbezug oder nach vermehrter Praxisrelevanz der neuen modularisierten Studiengänge, die so Clemens Knobloch, auf die Prekarisierungsängste der Studierenden abzielt. Das Versprechen eines vermeintlichen Berufsbezugs wird damit zu einem „betriebswirtschaftlichen Erziehungsprogramm“, das in der Logik der „unternehmerischen Selbstoptimierungspflicht“ (103) mündet. Und dies obwohl empirische Befunde zur beruflichen Situation von Bachelor-Absolvent/innen weitestgehend fehlen und kaum aussagekräftige Prognosen zulassen (vgl. Franzjörg Baumgart). Dabei wird, so die Kritik vieler Autoren-/innen, mit souveränen Studienbiographien hantiert, die die bildungstheoretisch wie praktische Frage nach der Selektion weitgehend unterschlägt (vgl. die Beiträge von Christine Rabl, Wolfgang Neef und Stephan Münte-Goussar u.a.).

In der Gesamtheit ihrer Beiträge stellen die Autoren-/innen dabei ein öffentliches Spannungsfeld fest, das die Tatsache einer notwendigen Reform und die Frage nach einer sinnvollen Umsetzung ausblendet und sich in einer Gegenüberstellung von Bekenntnissen pro Bologna auf der einen Seite gegenüber einer Kritik über das Ende der Universität im Humboldt’schen Sinne auf der anderen Seite fassen lässt (vgl. Liesner / Lohmann,17 ). „Bachelor Bolognese“ bleibt bei dieser Gegenüberstellung nicht stehen; die Autoren-/innen fragen vielmehr nach konstruktiven Gestaltungsmöglichkeiten im Wissen um die Verstrickungen der Beteiligten. Denn mit dieser Einsicht, selbst in den Dimensionen der Reform involviert zu sein, verändert sich der Bezug zum Gegenstand.

So sollten wir bei der Frage, wie wir uns die zukünftige Universität wünschen, besonders einer Stimme eine entscheidende Bedeutung zumessen: Es sind vor allem die Beiträge aus studentischer Perspektive, die den Blick auf den Betroffenen, auf den Zeugen, aber auch auf den „Miterzeuger“ richten. Juliane Jendits tut dies mit einer selbstbeschreibenden Metapher von „Fischen im Netz eines Europa des Wissens“. In ihrer Analyse der Regierungslogik und der Verwertungspraktik(en) der Reform fragt sie nach den Optionen der Studierenden. Ihre Perspektive richtet sich dabei auf einem Zwischenraum, einen Raum für eine studentische Haltung zwischen einem „Sich-Fügen“ und „Sich-Entziehen“: „Das kann heißen: unser anfängliches Vertrauen in die erworbenen Kompetenzen durch Mißtrauen zu ersetzen (Deleuze / Guattari 1991, 11); das Gelernte nicht bloß eifrig auf unseren Leistungsausweisen einzutragen, nicht immer nur mit dem erworbenen Wissen zu denken; sondern auch dagegen“ (174).

Einen ähnlichen Zugang wählen Katrin Becker, Fabian Fritz, Nissar Gardi und Sinah Mielich, die aus der Perspektive der studentischen Interessensvertreter ihre Eindrücke von der Einführung eines Bachelor-Studiengangs „Bildungs-und Erziehungswissenschaft“ an der Universität Hamburg reflektieren. Obwohl die Studierenden die Umstellung auf einen Bachelor Studiengang ablehnen, wählen sie dennoch den Weg der (Mit-)Gestaltung, um die gegebenen Bedingungen einer kritischen Analyse zu unterziehen. In ihrem Beitrag wird der Ansatz deutlich, Erfahrungen und Ängste von betroffenen Studierenden in gemeinsamen Lernumgebungen sagbar werden zu lassen: „In erster Linie stelle ich mir die Universität als einen Freiraum vor – einem Ort, an dem ich mich frei entfalten kann, an dem ich meine Lebens- und Wertvorstellungen weiterentwickeln und ständig hinterfragen kann. Dazu gehört für mich, dass ich genügend Zeit habe für „Ausflüge“ in Veranstaltungen und Gebiete außerhalb meiner Studien- und Prüfungsordnung, statt durch ein Scheuklappenstudium zu hetzen. Zum anderen bedeutet Studieren für mich, Zusammenhänge zu erkennen und stets neue Fragen zu stellen, statt lediglich Leistungspunkten hinterher zu jagen und in Modulen zu denken“ (181).

Diese Auseinandersetzung von Studierenden müssen wir dabei als entscheidenden Ansatzpunkt begreifen, die Universität als das erfahrbar werden zu lassen, was sie sein sollte: Ein Ort des kritischen Einspruches, nicht nur den strukturellen Bedingungen, sondern auch sich selbst gegenüber, ohne allzu schnell in neue Zielbestimmungen zu münden.

Bachelor Bolognese bietet für diese notwendige Auseinandersetzung entscheidende Anknüpfungspunkte. In seiner Gesamtheit ist es ein erschütterndes wie aufforderndes Buch, das „Prinzip Bologna“ nicht einfach nur geschehen, sondern kritisch in den Blick zu nehmen. Neben der bildungspolitischen Diskussion werden dabei auch Fragen von bildungstheoretischer Relevanz aufgeworfen, die die Reformmaßnahmen auf ihren gesellschaftlichen Gehalt befragen. In der Analyse der unterschiedlichen Statusgruppen auf die Vermarktungslogik der Reform, treten dabei Strategien der Selbststeuerung zu Tage, die auch vor ihren Trägern, den Subjekten, nicht Halt machen. Mit dem Ansatz das eigene Involviertsein in den Verwertungsprozess der Bildung zu thematisieren, bewahren sich die Autoren-/innen ein subversives Moment, das sich der Funktionalisierung zumindest partiell entzieht, denn jede Verwertungslogik braucht einen Ermöglichungsraum.
Bärbel Kühner (Darmstadt)
Zur Zitierweise der Rezension:
Bärbel KĂĽhner: Rezension von: Liesner, Andrea / Lohmann, Ingrid (Hg.): Bachelor Bolognese, Erfahrungen mit der neuen Studienstruktur. Opladen: Barbara Budrich 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 5 (Veröffentlicht am 13.10.2010), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978386649281.html