EWR 8 (2009), Nr. 2 (März/April)

Agnes Holling / Eberhard Ockel / Robert Siedenbiedel (Hrsg.)
Identität als Lebensthema
Festschrift für Arnold Schäfer zum 80. Geburtstag
Vechta-Langförden: Geest-Verlag 2007
(510 S.; ISBN 978-3-86685-102-3; 20,00 EUR)
Identität als Lebensthema Es darf als bekannt voraus gesetzt werden, dass man es bei einer Festschrift mit einer besonderen Textgattung zu tun hat: Es steht die Würdigung des Lebenswerkes eines prominenten Kollegen im Vordergrund und die HerausgeberInnen müssen als AutorInnen eine Vielzahl von Menschen einladen, die den Lebensweg des Jubilars begleitet oder an irgendeiner wichtigen Stelle gekreuzt haben. Die Folge kann sein, dass eine restlos heterogene Textsammlung produziert wird, die kein anderes Publikum anzusprechen vermag als den engeren Schülerkreis des Emeritus oder jene verdienstvolle Personengruppe, die auf der Tabula Gratulatoria vermerkt ist. Es kann dann eine Publikation sein, die für einen breiteren Kreis von LeserInnen kaum von Belang ist.

Auch diese Festschrift weist alle typischen Kennzeichen einer solchen auf: Erst nach einigen Grußworten und einer Laudatio von Robert Siedenbiedel – Realschullehrer, Doktorand und ehemals wissenschaftlicher Assistent von Arnold Schäfer – beginnt die „eigentliche“ Fachlektüre. Robert Siedenbiedel ist es auch, der das Publikationsverzeichnis am Ende des Bandes zusammengestellt hat und der „Schäfers Theorien“ im Inneren des Bandes darauf hin prüft, ob sie „luftige Spekulationen“ oder „Navigationshilfen für den Schulalltag“ (181) darstellen. Genretypisch sind auch eine sehr persönliche Hommage durch einen ehemaligen Schüler und die inhaltliche Heterogenität der Beiträge. Ungewöhnlich ist es, in einem Sammelband immer wieder auf Illustrationen zu stoßen, genauer: Auf Zeichnungen, die Helga John-Winde bzw. Paul Lankes vom Jubilar angefertigt haben.

Dennoch haben die HerausgeberInnen mit dem Leitmotiv der „Identität als Lebensthema“ die große Zahl von AutorInnen auch zu disziplinieren vermocht. Das Thema lag nahe, denn „es zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben und die Lehre und Forschung des nun über 80-jährigen“ (10). Viele Beiträge nehmen denn auch auf das kompakte Hauptwerk von Arnold Schäfer, seine „Kritische Kommunikation und gefährdete Identität. Zur anthropologisch-soziologischen Grundlegung einer kritischen Erziehungstheorie“ (1978), Bezug. Einen weiteren „disziplinierenden“ Eingriff haben die HerausgeberInnen in der Fülle der Beiträge vorgenommen, indem sie diese in fünf Teile – unterschiedlichen Umfangs – geordnet haben. Man wird wohl vermuten dürfen, dass die unterschiedlichen Teile auch unterschiedliche Zielgruppen ansprechen.

Am umfangreichsten ist Teil I, der Beiträge zu „Erziehung und Bildung“ enthält. In diesem Bereich kann man zu Themen wie Kindheitsforschung (Agnes Holling), Biographieforschung (Thomas Jung) oder Humanisierung der Schule (Rudolf W. Keck) fündig werden. Lohnend ist die Lektüre von Lutz Kochs Beitrag, der der Pädagogenzunft in Erinnerung ruft, dass es sich beim Begriff der pädagogischen Freiheit um einen Rechtsbegriff handelt und sie auf dem Wege einer geschichtlichen Erinnerung einlädt, sich mit dem Freiheitsbegriff zu beschäftigen und „ihm Aspekte abzuringen, die vom rechtlichen Gesichtspunkt aus vielleicht nicht vollständig erfassbar sind“ (117). Lohnend ist auch die Lektüre des Beitrags von Jörg Ruhloff, der seine schon in der Festschrift für Lutz Koch dokumentierte Beschäftigung mit dem „Prüfen“ [1] hier durch die Rekonstruktion von Grundzügen des Bedeutungswandels von Prüfungen von der Tauglichkeitskritik zur Instrumentierung von Kontrolle und Überwachung (vgl. 160) ergänzt und vertieft. Dabei erinnert er u.a. an den fast amüsanten Kontrast zwischen einer weitgehend von Prüfungszwang freien Schul- und Studienlaufbahn von J.F. Herbart und die mit seinem Namen – wenn schon nicht mit seiner Person – verbundene „flächendeckende Durchsetzung des öffentlichen Disziplinar- und Kontrollschulwesens“ (156). Lesenswert ist jedenfalls auch die pointierte Abrechnung von Klaus-Dieter Scheer mit dem pädagogischen Postulat der Ganzheitlichkeit. Der vorgelegte „Fragmentarische Versuch über den Holismus“ verdiente weiter ausgebaut zu werden. Wer die üppige Diskussion zum Thema „Bildungsstandards“ schon zu unübersichtlich findet, ist mit der Übersicht von Annette Stroß über den bisherigen Diskussionsverlauf gut bedient. Sie nimmt das Thema aus der Position Allgemeiner Erziehungswissenschaft sehr pointiert in den Blick und verortet es im Spannungsfeld zwischen Pragmatik und Skepsis. Der Beitrag „Bildung heute“ von Lothar Wigger beschließt den ersten Teil: Man kann daran amüsiert – oder betroffen – verfolgen, wie seit der denkwürdigen Berliner Rede von Bundespräsident Roman Herzog im Jahr 1997 auch Bundespräsident Johannes Rau (2004) und Bundespräsident Horst Köhler in seiner Weihnachtsansprache 2006 ihr Verständnis von Bildung öffentlich zum Ausdruck brachten und teils heftige Resonanz auslösten.

In Teil II sind Beiträge zum Rahmenthema „Sprache und Literatur“ versammelt. Sie dürften eher für Germanisten und teilweise für Deutschlehrer von Interesse sein. Gleichwohl hält sich auch in ihnen die Frage nach Identität in den meisten Beiträgen durch. So bei Gudrun Schulz, die an Goethes Sesenheimer Liedern die Suche nach der dichterischen Identität erörtert; bei Wilfried Wittstruck, der sich am Beispiel des Romans von Margriet de Moor „Erst grau, dann weiß, dann blau“ (1991) mit „autobiographischem literarischem Erzählen und Identität“ beschäftigt. Die Charakterisierung „autobiographisches literarisches Erzählen“ trifft zu, insofern der Roman die Lebensgeschichte von Magda Rezková erzählt, der Zusammenhang mit Identität insofern – nach Odo Marquard – die Autobiographie als ausgezeichnete Weise der Identitätspräsentation durch Geschichten gelten kann (vgl. 348). Nicht minder anregend lesen sich aber auch Beiträge, die sich dem Rahmenthema nicht fügen, so z.B. jener von Cem Sengül über den Schriftsteller und Verleger „Friedrich Nicolai und die Kinder der Aufklärung“, der offensichtlich eine Vorstudie zu einer größeren Arbeit darstellt [2].

Teil III enthält Abhandlungen, die das Rahmenthema aus der Perspektive von Philosophie oder Theologie in den Blick nehmen: Friedrich Jansen erörtert die Frage nach Identität nicht unter dem Aspekt der Essenz, sondern im Horizont der Existenz. Nicht die Frage „Was bin ich?“ steht im Zentrum, sondern die Frage „Wozu bin ich da? Was macht den Sinn meiner Existenz aus?“ (vgl. 359). Karl Josef Lesch nimmt am Beispiel des Pilgerns das Motiv des Weges als Symbol der (religiösen) Identitätsfindung auf. Wolfgang H. Pleger orientiert seine Überlegungen zur Identität der Person am anthropologisch bedeutsamen Grundthema des Selbstverhältnisses. Ralph Sauer fragt, ob Jesus Christus heute eine Identifikationsfigur für junge Menschen darstellen kann. Auch in diesem Teil fallen einige Beiträge aus dem Rahmenthema heraus, so z.B. die Frage von Klaus Rohmann nach der Begründbarkeit der un-bedingten Geltung der Menschenwürde. Die Aktualität und Brisanz dieser Frage wird allerdings auch durch Neuerscheinungen unterstrichen, die aus Anlass des 60.Jahrestages der Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 2008 herausgegeben wurden. [3] Klaus Rohmann versucht die Antwort auf sehr spannende Weise mit Emmanuel Lévinas.

In Teil IV (Milieu – Region- Gesellschaft) schließlich taucht die Frage nach Identität z.B. bei Helmut Gross vor dem Hintergrund von Pluralisierung und Diversifikation auf, der seinen Beitrag als einen psychosozialen versteht – in Unterscheidung zu anthropologischer und pädagogischer Herangehensweise. Ingo Mose wählt den Ausdruck „regionale Identität“ für seine grundsätzlichen Überlegungen zur Entwicklung neuer Formen der räumlichen Steuerung.

Teil V enthält, wie einleitend schon erwähnt, eine „Hommage an den akademischen Lehrer“.

Der Band bietet dem Bildungswissenschaftler – wie oben ausgeführt – einige interessante Abhandlungen zu gegenwärtig brisanten Themen. Auch wer disziplinübergreifend nach Beiträgen zum Problem der Identität sucht, kann rasch einen recht interessanten Eindruck gewinnen. [4]


[1] Vgl. Jörg Ruhloff: Prüfen. In: Brigitta Fuchs, Christian Schönherr (Hrsg.): Urteilskraft und Pädagogik. Würzburg 2007, S. 9-18
[2] Vgl. Forum Nicolai – Beiträge zur Erforschung von Leben und Wirken Friedrich Nicolais und angrenzenden Themen des 18. Jahrhunderts: http://www.friedrich-nicolai.de/ [20.2.2009]
[3] Vgl. z.B. Wilfried Härle, Bernhard Vogel (Hrsg.): Begründung von Menschenwürde und Menschenrechten. Freiburg 2008
[4] Einen vollständigen inhaltlichen Überblick einschließlich einer genaueren Charakterisierung des Berufsbezugs der Autorinnen und Autoren findet man unter:
http://www.geest-verlag.de/news/germanistik-macht-auf-identitaet-als-lebensthema-aufmerksam [20.2.2009]
Ines M. Breinbauer (Wien)
Zur Zitierweise der Rezension:
Ines M. Breinbauer: Rezension von: Holling, Agnes / Ockel, Eberhard / Siedenbiedel, Robert (Hg.): Identität als Lebensthema, Festschrift für Arnold Schäfer zum 80. Geburtstag. Vechta-Langförden: Geest-Verlag 2007. In: EWR 8 (2009), Nr. 2 (Veröffentlicht am 27.03.2009), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978386685102.html