EWR 11 (2012), Nr. 5 (September/Oktober)

Margarete Jooß-Weinbach
Erzieherinnen in der Krippe
Modi, Motive und Konstitutionen professionellen Handelns
Weinheim, Basel: Beltz Juventa 2012
(222 S.; ISBN 987-3-7799-2551-4; 29,95 EUR)
Erzieherinnen in der Krippe Untersuchungen zu professionellem Handeln in pädagogischen Kontexten sind in den Erziehungswissenschaften en vogue geworden. Sich in der Professionalisierungsforschung verortend, geht Margarete Jooß-Weinbach der Frage nach, „wie Erzieherinnen in der Krippe vor dem Hintergrund bestimmter Bedingungen das Arbeitsbündnis mit den jungen Kindern gestalten, wie sie handeln und wie es dazu kommt, dass sie auf eine bestimmte Art und Weise handeln“ (17).

Die Innovativität der Arbeit von Jooß-Weinbach liegt in der Betrachtung des Feldes Krippe mit professionstheoretischem Fokus, wodurch Impulse in drei Richtungen angestoßen werden. Als wissenschaftliche Arbeit entwickelt sie erstens Theorien über und Forschung im Feld Krippe weiter. Als Arbeit über pädagogische Praktiken, zeigt sie zweitens auf, in welcher Verwobenheit erzieherisches Handeln stattfindet und in welchen Spannungsverhältnissen dieses steht. Schließlich hat die Arbeit als Forschung über Professionalität in der Krippe insofern politische Relevanz, als die Ausbildung und die Arbeitsbedingungen von Erzieherinnen ein umkämpftes aber wenig erziehungswissenschaftlich fundiertes Terrain sind und die Studie im Hinblick auf die politischen Debatten durchaus interessante Ergebnisse liefert.

Bei dem 2012 erschienenen Buch handelt es sich um die Veröffentlichung von Jooß-Weinbachs Dissertation, die in der Logik von Qualifikationsarbeiten in einen theoretischen Teil, einen Methodenteil, eine empirische Rekonstruktion von vier Fällen und in eine Ergebnisdiskussion gegliedert ist. Die Autorin fokussiert im theoretischen Teil die Ausgestaltung der pädagogischen Beziehung von Krippenerzieherinnen [1] und Kindern und fasst diese, in Anschluss an Oevermann, als ein „Arbeitsbündnis“ (25ff). Dieser Begriff bietet der Autorin die Möglichkeit der differenzierten Betrachtung des Verhältnisses zwischen Mädchen, Jungen und den Erzieherinnen, obwohl der Begriff im Sinne einer Pädagogisierung der frühen Kindheit durchaus kritisch zu sehen ist [2]. Als weiteren kontrastierenden theoretischen Bezugspunkt wählt Jooß-Weinbach die interaktionistische Professionstheorie und rekurriert dabei auf die deutschsprachige Rezeptionslinie nach Schütze (33ff). Besonders hervorhebenswert ist dabei der Versuch der Autorin, Professionalisierungstheorien auf das spezifische Feld der Krippe zu übertragen. Dadurch werden interessante Leerstellen der Professionalisierungstheorien aufgezeigt und so der Weg für weitere Forschung bereitet (etwa die Übertragung der Oevermannschen Theorie auf Gruppensituationen mit jungen Kindern).

Als methodischen Zugang wählt die Autorin eine Triangulation von vier qualitativen Erhebungsmethoden: „teilnehmende Beobachtung, Videographie, Experteninterviews und fokussierte Interviews“ (50), die alle mit Hilfe der dokumentarischen Methode nach Bohnsack ausgewertet werden (53ff). Das Experteninterview und das fokussierte Interview dienen beide dem Gespräch mit den Erzieherinnen, wobei für das fokussierte Interview Sequenzen aus der Videographie als Gesprächsanreiz verwendet werden (59f). Die aus den teilnehmenden Beobachtungen generierten Daten, werden nicht einer systematischen Analyse unterzogen, sondern dienen lediglich der „ersten Strukturierung des Feldes“ und der „Kontextualisierung der Videoaufnahmen“ (68). In der Auswahl der Stichprobe wird auf das theoretische Sampling nach Glaser und Strauss (51) zurückgegriffen und für die Darstellung der empirischen Rekonstruktion werden zwei Fälle ausführlich und zwei nur zusammenfassend beschrieben. Die Methodenwahl wird sorgfältig begründet, wobei eine stärkere methodologische und methodische Reflexion für eine Weiterentwicklung der Forschungsinstrumente für das spezifische Feld Krippe lohnenswert gewesen wäre (Stichwort Methodenadäquanz für Forschung in Krippen).

In den beiden detaillierten empirischen Fallrekonstruktion wird die Kombination aus induktiver und deduktiver Vorgehensweise deutlich, da einige Kategorien, die in den theoretischen Vorüberlegungen gründen, in beiden Fällen beschrieben werden (etwa die „Elemente des Orientierungsrahmens“ oder die „Paradoxien des Handlungsfeldes“). Es werden jedoch auch Kategorien entwickelt, die nur für einen der beiden Fälle relevant sind („Handeln im Team“ oder „eigenes Rollenverständnis“) (70ff). Jooß-Weinbachs Darstellung ist in diesem Abschnitt eng mit den Daten verknüpft und wird durch Passagen aus den Interviews gestützt. Am deutlichsten wird in den Einzelfallbeschreibungen, dass professionelles Handeln in gewissen institutionellen Strukturen stattfindet, die dieses maßgeblich beeinflussen – professionelles Handeln kann also nicht ohne die Strukturen gedacht werden, in die es eingebettet ist. Zudem wird deutlich, dass die Erzieherinnen in Krippen gefordert sind, die Paradoxien des Handlungsfeldes auszugleichen, dies aber immer ein Balanceakt zwischen Ansprüchen und institutionellen Gegebenheiten ist.

Im Ergebnisteil werden drei „generalisierte Herausforderungen für das Handlungsfeld Krippe“ herausgearbeitet, indem theoretische Bezüge hergestellt und um eine empirische Rekonstruktion erweitert werden: „Vertrauen und Misstrauen“, „Pädagogische Ordnungsstrukturen und Fallspezifität der Kinder“ und „Sinnverstehen, Wissen und stellvertretende Deutung“ (152ff). In allen drei beschriebenen Herausforderungen wird deutlich, dass die Erzieherinnen in einem Feld arbeiten, für das Spannungen konstitutiv sind, in dem die Erzieherinnen aber als Individuen bestehen müssen und deshalb die Spannungen auf einer individuellen Ebene bearbeitet werden müssen – dies stärkt die Verortung in den Professionalisierungstheorien. Besonders eindrücklich gelingt Jooß-Weinbach dies in der Analyse „pädagogischer Ordnungsstrukturen“ wie etwa dem Tagesablauf. Dieser hat eine normativ-regulative Funktion, die aber von den Erzieherinnen verschieden ausgelegt wird und deshalb als einengende Vorgabe oder aber als unterstützende Struktur gedeutet werden kann.

Professionelles Handeln wird von Jooß-Weinbach als das Handeln von im Feld tätigen Personen gefasst – grundsätzlich ist also jedes Handeln von Erzieherinnen als professionell zu sehen. In der Darstellung der empirischen Rekonstruktion wird der Begriff „professionelles Handeln“, mit Rückgriff auf die Paradoxien professionellen Handelns nach Schütze, jedoch tendenziell normativ gebraucht. Die Logik einer Rekonstruktion von Handlungen und einer normativen Bewertung derselben, steht in einem Spannungsverhältnis, das die Autorin nicht auflöst – vielleicht aber auch nicht auflösen kann, da sich dieses aus den Bezugstheorien ergibt. Verstärkt wird diese Spannung auch in der Darstellung der Rekonstruktion, die anhand von zwei Personen vorgenommen wird, von denen eine mit den Paradoxien besser umgeht als die andere. Dadurch wird eine wertende Beurteilung in professionell-handelnd und nicht-professionell-handelnd nahe gelegt. Es stellt sich daher die Frage, ob durch ein stärkeres Abrücken von der Rekonstruktionslogik einzelner Fälle und einer deutlicheren Abstraktion, die „Modi, Motive und Konstitutionen professionellen Handelns“ (Untertitel) mehr in den Vordergrund gerückt und so bearbeitbar gemacht werden könnten.

Jooß-Weinbachs wissenschaftliche Expertise im Bereich Professionalität von Krippenerzieherinnen ist klar ausgewiesen. Deswegen wäre es gerade für das Feld Krippe, das in der erziehungswissenschaftlichen Forschung noch nicht etabliert ist, besonders wichtig, aus den Ergebnissen der vorliegenden Studie auch Thesen abzuleiten, um die Professionalisierung der Erzieherinnen vorantreiben zu können – dann könnte die eingangs beschriebene politische Relevanz der Studie zum Tragen kommen.

[1] Jooß-Weinbach verwendet in der vorliegenden Arbeit ausschließlich die weibliche Form, da an der Studie nur Erzieherinnen teilgenommen haben. Zur besseren Lesbarkeit wird dies in der Rezension übernommen, auch wenn darauf hingewiesen sei, dass eine Sichtbarmachung von Männern in Krippen auch auf einer sprachlichen Ebene durchaus wünschenswert wäre.

[2] Krippenkindern zuzuschreiben, ein Arbeitsbündnis eingehen zu können, gliedert das Handeln in Krippen (zumindest begrifflich) in neoliberale Diskurse ein, die unter den Schlagworten „Pädagogisierung“ und „Ökonomisierung“ in wissenschaftlichen Debatten kritisiert werden.
Julia Seyss-Inquart (Graz)
Zur Zitierweise der Rezension:
Julia Seyss-Inquart: Rezension von: Jooß-Weinbach, Margarete: Erzieherinnen in der Krippe, Modi, Motive und Konstitutionen professionellen Handelns. Weinheim, Basel: Beltz Juventa . In: EWR 11 (2012), Nr. 5 (Veröffentlicht am 12.10.2012), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/987377992551.html