EWR 9 (2010), Nr. 5 (September/Oktober)

Doppelannotation zu PrĂĽfungen und Zeugnissen

Peter Herdegen
Schulische PrĂĽfungen
Entstehung – Entwicklung – Funktion
PrĂĽfungen am bayerischen Gymnasium vom 18. bis zum 20. Jahrhundert
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2009
(221 S.; ISBN 978-3-7815-1627-4; 32,00 EUR)
Masashi Urabe
Funktion und Geschichte des deutschen Schulzeugnisses
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2009
(158 S.; ISBN 978-3-7815-1585-7; 29,80 EUR)
Schulische Prüfungen Funktion und Geschichte des deutschen Schulzeugnisses Zwei nahezu parallel in der Klinkhardt-Reihe ‚forschung’ erschienene Bücher beschäftigen sich mit dem Thema Prüfungen und Zeugnissen, und das auf sehr unterschiedliche Art und Weise.

Peter Herdegen will zum Verständnis der Entstehung und Entwicklung von Prüfungssystemen beitragen und referiert dazu zunächst die schul- und prüfungskritischen Positionen verschiedener deutscher (z.B. Ingenkamp, von Hentig, Lenhardt, Prange, Picht) wie internationaler (z.B. Dreeben, Bourdieu und Passeron, Foucault) Autoren, die u.a. die Objektivität der Leistungsmessung anzweifeln, deren Selektionsmechanismen kritisieren oder die mit den Prüfungen verbundenen Mechanismen diskutieren. Unter Konzentration auf das Gymnasium in Bayern, das schon lange existiere und sich kontinuierlich entwickelt habe, geht er dann der Frage nach, welche Rolle Prüfungen und Zeugnisse „im Kampf um sozialen Auf- und Abstieg“ (26) gespielt haben und wie stark sie tatsächlich sozialdisziplinierend wirkten. Leider steht dabei – wie im Klappentext angedeutet – das Erzählen der Geschichte im Vordergrund. So wird der Leser zunächst im zügigen Zugriff über die von den Jesuiten geprägten Vorformen des staatlichen Prüfungswesens und die Entwicklungen vom Neuhumanismus bis ins 20. Jahrhundert informiert, woran sich die Darstellung der in diesem Zeitraum festzustellenden Diskussionen in Bezug auf die Prüfungen anschließt. Die abschließende, mit zehn Seiten recht kurze Zusammenfassung verzichtet dann jedoch auf die zu erwartende Diskussion der anfänglich dargestellten Positionen zugunsten der Aufstellung eigener Thesen, die nur mäßig überraschen. Neue Diskussionen sind dadurch zwar nicht zu erwarten, aber immerhin bietet der Band Informationen, die man so noch nicht auf einen Blick gefunden hat.

Der Japaner Masashi Urabe beschäftigt sich in seiner Untersuchung, mit der er an der Universität Hiroshima in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg promoviert wurde, aus systemtheoretischer Sicht mit den Funktionen deutscher Schulzeugnisse. Unter Berufung auf den Begriff der ‚Funktion’, wie ihn Niklas Luhmann in seiner Systemtheorie versteht, geht er der Frage nach, warum und unter welchen Umständen die Zeugnisse im deutschen Schul- und Gesellschaftssystem – ganz anders als etwa in Japan – eine so zentrale Rolle übernommen haben. Dazu wendet er sich nach einer Skizzierung des Forschungsstandes und seines theoretischen Zugangs verschiedenen, in ihrer zeitlichen Festlegung (1559-1788, 1788-1858, 1858-1938, 1938-1990, Gegenwart) nicht immer überzeugenden Phasen der deutschen Schulgeschichte zu und nimmt jeweils eine funktionale Analyse des Zeugnisses in diesen Phasen vor. Die Ergebnisse, die er abschließend zusammenfasst, sind für Angehörige des hiesigen Kulturkreises nicht neu, dürften aber in Japan Beachtung finden. So ist das Buch für uns vor allem vor dem Hintergrund interessant, dass der Blick auf ein allzu vertrautes Dokument aus der Außenperspektive erfolgt. Dies und die abschließend vom Autor gestellten Fragen zu einzelnen Funktionen des Zeugnisses sind in der Tat anregend.
RĂĽdiger Loeffelmeier (Berlin)
Zur Zitierweise der Annotation:
RĂĽdiger Loeffelmeier: Annotation zu: Herdegen, Peter: Schulische PrĂĽfungen, Entstehung – Entwicklung – Funktion PrĂĽfungen am bayerischen Gymnasium vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 5 (Veröffentlicht am 13.10.2010), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/annotation/978378151627.html