EWR 5 (2006), Nr. 5 (September/Oktober 2006)

Diethelm Wahl
Lernumgebungen erfolgreich gestalten
Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln
(2., erw. Auflage)
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2006
(316 S.; ISBN 3-7815-1476-5; 19,00 EUR)
Lernumgebungen erfolgreich gestalten Mit dem in zweiter Auflage vorgelegte Buch setzt Diethelm Wahl konsequent die Beschäftigung mit einer Thematik fort, die ihn seit Jahrzehnten in seiner Arbeit als Forscher und Hochschullehrer beschäftigt: Wie kann Lernenden geholfen werden, sich neues Wissen so anzueignen, dass mit dessen Hilfe das eigene Handeln tatsächlich erfolgreicher wird?

Wahl beginnt sein Buch mit der eindrücklichen Beschreibung der frustrierenden Situation, in der sich Lernende und Lehrende häufig befinden: Menschen möchten lernen, wie sie mit (beruflichen) Situationen und Problemen besser umgehen können. Sie suchen deshalb Rat in professionellen Unterstützungssystemen, z.B. einer Lehrerfortbildung. Selbst wenn diese von den Lernenden als hilfreich eingeschätzt wird, ändert sich im Anschluss aber am Handeln in der beruflichen Alltagssituation nichts. Das neue Wissen bleibt träge, das Handeln wird, zumal in schwierigen Situationen, durch die eingeschliffenen Muster bestimmt. Wahl belegt diesen entmutigenden Befund mit zahlreichen Studien, darunter mehreren eigenen. Jedoch bleibt er, und das ist durchaus nicht selbstverständlich, nicht bei der Klage stehen, Handeln lasse sich nicht durch Wissen verändern, Theorie erreiche die Praxis nicht. Vielmehr stellt er ein praktisch erprobtes und (zumindest teilweise) auch evaluiertes Konzept vor, wie Menschen ihr Handeln nachhaltig in einer von ihnen gewünschten Weise verändern können.

Damit ist die Tragweite und zugleich die Begrenzung des Konzeptes angesprochen: Es zielt nicht auf Lehr-Lern-Situationen, in denen sich Lernende einfache Sachverhalte einprägen oder etwas völlig Neues erlernen sollen. Im Kern geht es vielmehr um Situationen, in denen Menschen „umlernen“ wollen, sollen und müssen, in denen bereits vorhandene Fähigkeiten zu verändern sind, eine Verhaltensmodifikation angestrebt wird. In der Einleitung verweist Wahl auf seine eigenen Tätigkeits- und Interessenfelder: Erwachsenenbildung, Hochschuldidaktik und Schule – und mit dieser Reihenfolge ist auch richtig angedeutet, wo sich die genannten Lehr-Lern-Situationen vorrangig finden.

Diese Begrenzung wird dem Leser leider erst auf den zweiten Blick deutlich. Die Aufmachung des Buches (insbesondere der Haupttitel, das Titelbild mit einer Lerngruppe jüngerer Schüler und der Klappentext) erwecken eher den Eindruck, es werde ein Konzept für jegliche Lernsituationen geboten. Auch der Autor selbst entgeht der Versuchung, dies leisten zu wollen, nicht immer, besonders in Kapitel 5, in dem – in bester Absicht – zahlreiche Methoden vorgestellt werden, die sich zweifellos auch in anderen Kontexten mit Gewinn einsetzen lassen. Jedoch gerät dabei etwas aus dem Blick, was die Stärke des vorgestellten Ansatzes ausmacht: Ein durchdachtes Lernarrangement zu bieten, um die überaus komplexen Lernprozesse anzuregen und zu unterstützen, die nötig sind, um komplexe und eingeschliffene Handlungen zu verändern. Dies erfordert, wie Wahl eindrücklich zeigt, einen langen Atem und nicht nur einzelne Methoden.

Nach einer knappen Einleitung stellt Diethelm Wahl im Kapitel 2 dezidiert und eingängig die Problemsituation dar, auf die sein Konzept reagiert. Er führt einschlägige psychologische Studien an und verweist auf den theoretischen Bezugsrahmen, das „Forschungsprogramm Subjektive Theorien“, an dem der Autor seit langem mitwirkt. Aus dessen Befunden leitet Wahl ab, dass es um die Veränderung subjektiver Theorien geringer Reichweite geht, die zwar nicht bewusstseinspflichtig, wohl aber bewusstseinsfähig sind und sich aufgrund ihrer engen Verknüpfung mit dem Handeln des Subjekts und aufgrund ihrer Manifestation in „Handlungs-Prototypen“ schwieriger als subjektive Theorien mittlerer oder großer Reichweite verändern lassen.

Im Kapitel 3 stellt Wahl sein Konzept vor, das er als „innovative Lernumgebung“ beschreibt. „Innovativ“ ist das Konzept im Hinblick auf die gegenwärtige Praxis in Fortbildung und Hochschullehre, jedoch ist es nicht völlig neu, sondern greift vielfältige Vorarbeiten des Autors und anderer Forscher auf. Mit der Entscheidung für den zunehmend populären Begriff der „Lernumgebung“ soll verdeutlicht werden, dass Lehrkräfte Lernen nicht direkt bewirken, sondern nur günstige Bedingungen dafür schaffen können. Die Grundidee des Konzepts fasst Wahl in der anschaulichen Bezeichnung „Sandwich-Prinzip“: Zwischen die „Schichten“ i.S.v. Phasen, in denen wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt werden, sind methodisch geschickt arrangierte Phasen zu schieben, in denen eine subjektive Auseinandersetzung mit diesen möglich ist. Dabei ist genau genommen die äußere „Schicht“ des Sandwiches eben diese subjektive Auseinandersetzung. In einem ersten Schritt müssen die handlungssteuernden Strukturen (Kognitionen, Emotionen) überhaupt erst bearbeitbar gemacht werden. Sodann können diese durch das Entwickeln neuer Problemlösungen verändert werden. Der dritte Schritt ist der schwierigste: Diese Problemlösungen müssen im alltäglichen Handeln realisiert werden, ein verändertes Handeln muss etabliert werden. Innerhalb dieser drei großen Schritte, die ein über Monate oder Jahre gehendes Lernprogramm beschreiben, gibt es einzelne Lernschritte, die wiederum nach dem „Sandwich-Prinzip“ im Sinne der Schichtung von Wissensvermittlung und subjektiver Auseinandersetzung aufgebaut sind.

In den Kapiteln 4 bis 6 werden die drei genannten Lernschritte jeweils genau beschrieben, begrĂĽndet und zahlreiche erprobte Methodenarrangements und Einzelmethoden vorgestellt. Immer wieder sind Beispiele aus der Lehr- und Forschungspraxis des Autors und seiner Mitarbeiter eingeschoben, die das empfohlene Vorgehen veranschaulichen und Anregungen fĂĽr den Praktiker geben. Zu einzelnen Methoden werden auch Studien bzw. Metaanalysen zu deren Wirksamkeit referiert. Besondere Aufmerksamkeit gilt neuralgischen Punkten (sog. Gelenkstellen) in der Umsetzung.

Exemplarisch sei auf einige Methoden eingegangen, die für das vorgestellte Konzept zentral sind und vom Autor mit- bzw. weiterentwickelt wurden. Eine Zusammenstellung und Erläuterung von insgesamt 50 Methoden findet sich im Anhang des Buches. Zum ersten Lernschritt schlägt Wahl u.a. die sehr aufwendige Methode der Weingartner Appraisal Legetechnik vor, die als Weiterentwicklung der Forschungsmethode Struktur-Lege-Technik für die Bewusstmachung eigener Handlungsweisen sowie handlungssteuernder Gedanken und Emotionen angesehen werden kann und eine Entscheidung für Veränderungsziele vorbereiten soll.

Für den zweiten Lernschritt (Verändern handlungssteuernder Strukturen) setzt Wahl auf hohe Transparenz des Vorgehens, wozu für ihn die Technik des von Ausubel stammenden „Advance Organizer“ besonders empfehlenswert ist, also die frühzeitige Orientierung der Lernenden über das anzueignende Ganze, die Vermittlung einer „Expertenstruktur“. Gerade dieses Verfahren zeigt deutlich, dass Wahl für eine – auch in zeitlicher Hinsicht – deutlich strukturierte Lernumgebung plädiert, der bei aller Achtung vor den individuellen Lernprozessen doch eine recht klare Vorstellung zugrunde liegt, wie ein zweckmäßiger Zugang zum Problemfeld, ein günstiger Lerngang aussieht. Das gilt auch für die ebenfalls präferierten kooperativen Lernformen, die Wahl unter der Bezeichnung „wechselseitiges Lehren und Lernen“ zusammenfasst, wobei er insbesondere an das gut erforschte Gruppenpuzzle denkt. Interessant sind die vielfältigen Vorschläge, wie der Lernschritt abgeschlossen werden kann, um Ergebnisse zu sichern und Handlungsziele festzulegen. Die Erfahrung aus der Erwachsenenbildung hat gezeigt, dass hierin ein Schlüssel für die Nachhaltigkeit des Lernens liegt.

Für den dritten Lernschritt, das Ingangsetzen neuer Handlungsweisen in Alltagssituationen, schlägt Wahl eine Abfolge von Teilschritten vor: Entwicklung konkreter Vorstellungen veränderten Handelns (z.B. durch Beobachten von Experten), Planen neuer Handlungen, Simulieren dieser Handlungen (z.B. in Rollenspielen), vorgeplantes Agieren in Realsituationen und die Unterstützung des neuen Handelns durch innere Dialoge. Als entscheidend hat sich erwiesen, dass dem Lernenden Tandempartner und Gruppen zur Seite stehen, die eine kommunikative Bewältigung auftretender Probleme ermöglichen, ein soziales Netzwerk bilden. Bei der Arbeit in den Gruppen, die im Gefolge des Weingartner „Kontaktstudiums Erwachsenenbildung“ entstanden sind, erwies sich eine kontinuierliche Arbeit über längere Zeit und eine möglichst heterogene Zusammensetzung dieser Gruppen als besonders hilfreich.

Die Verortung des vorgestellten Konzeptes ist nicht einfach. Den theoretischen Hintergrund, auf den immer wieder konsistent zurückgegriffen wird, bilden die Vorstellungen des „Forschungsprogramms Subjektive Theorien“ zu Wissenserwerb und menschlichem Handeln einschließlich des epistemologischen Subjektmodells. In der in der Lernpsychologie verbreiteten Dichotomie von Instruktion und Konstruktion liegt das „Sandwich-Prinzip“, wie der Autor selbst feststellt, in einem noch genauer zu bestimmenden Mittelfeld. Versucht man eine Verortung aus der Perspektive der didaktischen Forschung, die im vorliegenden Buch leider ein blinder Fleck ist, so fällt auf, dass im Zentrum des Konzeptes methodische Überlegungen stehen, die auf ein komplexes, langfristiges und lernpsychologisch begründetes Methoden- und Medienarrangement hinauslaufen. Die Ziele liegen, wie bereits erörtert, im reflektierten Umbau subjektiver Handlungsrepertoires und im Aufbau neuer Kompetenzen. Worauf sich diese Kompetenzen beziehen und mit welchen Inhalten sich Lernende und Lehrende dafür auseinandersetzen müssen, wird – über die Beispiele hinaus – nicht weiter beleuchtet. Behauptet wird letztlich die allgemeine Anwendbarkeit des Konzeptes für verschiedenste Adressaten, Kontexte und Kompetenzbereiche bzw. Domänen. Gedankliche Berührungspunkte gibt es am ehesten zu den subjektorientierten Didaktiken.

Der besondere Wert des vorgelegten Bandes besteht darin, dass es dem Autor gelingt, ein psychologisch und handlungstheoretisch anspruchsvoll begründetes und praktisch erprobtes Konzept so vorzustellen, dass es über den Kreis der Fachleute hinaus unter interessierten Erwachsenenbildnern und andere Lehrkräften bekannt wird und ihnen vielfältige Anregungen für ihre Arbeit geben kann.
Ingrid Kunze (OsnabrĂĽck)
Zur Zitierweise der Rezension:
Ingrid Kunze: Rezension von: Wahl, Diethelm: Lernumgebungen erfolgreich gestalten, Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln (2., erw. Auflage). Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2006. In: EWR 5 (2006), Nr. 5 (Veröffentlicht am 29.09.2006), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/78151476.html