EWR 4 (2005), Nr. 2 (März/April 2005)

Norbert Ricken/ Markus Rieger-Ladich
Michel Foucault: Pädagogische Lektüren
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004
(316 S.; ISBN 3-8100-4137-8; 39,90 )
Michel Foucault: Pädagogische Lektüren Während die Rezeption Foucaults in Pädagogik und Humanwissenschaften lange zwischen Vorbehalten und Aufgeschlossenheit schwankte, sehen die Herausgeber des vorliegenden Bandes eine allmählich produktivere Form der Auseinandersetzung sich durchsetzen. Der Verdacht des Antihumanismus werde abgelöst von einem "Umdenken innerhalb der Humanwissenschaften" (Axel Honneth). Die Beiträge der pädagogischen Foucault-Lektüren beabsichtigen, mit Foucault den Prozess der Selbstkritik in der Erziehungswissenschaft mit zu befördern und teilweise auch zu rekonstruieren und damit eine Engführung in der pädagogischen Reflexion zu überwinden, die auf das Entweder-Oder von Freiheit und Macht, Wahrheit und Ideologie setzt. Gegen diese Oppositionen zu denken, ist Programm der vorliegenden Texte. Welche Schwierigkeiten sich bei dem Versuch auftun, nicht in den angezeigten dichotomen Strukturen zu verharren, skizziert Nicole Balzer. Sie erkennt in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft zwei Foucault-Rezeptionslinien: eine an Bildungsgeschichte und eine neuere an Subjektkritik orientierte, wobei sich eine nennenswerte Bezugnahme auf Foucault überhaupt erst Ende der 80er Jahre entwickelt hat. Aufgegriffen wurde die Problematisierung der Pädagogik als Humanisierungsgeschichte und insbesondere die Kritik der Pädagogik als Instrument der Macht. Allerdings blieb in dieser Rezeptionslinie ein repressiver Machtbegriff dominant, der das oppositionelle Denken nicht überwinden konnte, sondern sich letztlich darin selbst bestätigte. Balzer moniert die fehlende machttheoretische Reflexion des Bildungsbegriffs. Damit trifft sie einen traditionell verbreiteten, undialektisch gefassten Begriff von Bildung. Dass es neben diesem und in dauerndem Konflikt mit dem idealisierten Bildungsverständnis liegend eine kritisch-dialektische Bildungstheorie gibt, die von der inneren Widersprüchlichkeit bürgerlicher Bildung handelt, bleibt in diesem wie auch in den folgenden Beiträgen ausgeblendet. Das ist deshalb schade, weil mit dieser Minderheitenposition in der Pädagogik eine interessante Verbindung zu Foucault erkennbar werden könnte.

Neben der bildungsgeschichtlichen und der subjektkritischen Rezeptionslinie macht Balzer eine dritte aus, die der "Illusion von Autonomie" nachgeht (Käte Meyer-Drawe) und dieser die paradoxe Verknüpfung von Freiheit und Repression gegenüberstellt. Auch hier fällt auf, dass die festgestellte Paradoxie nicht gesellschaftstheoretisch gefasst wird. Die Konkretisierung, an welcher gesellschaftlichen Struktur Autonomie sich bricht, unterbleibt. Versteht man Bildung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft verpflichtet, aus der sie als Konzept und Praxis hervorgeht, wird der Autonomieanspruch als einer entlarvt, der auf die Regeneration eben dieser Bürgerlichkeit zielt. Demgegenüber bekämpfen die meisten Beiträge in dem Band eine "traditionelle Orientierung von Kritik" (Jan Masschelein) und damit möglicherweise einen bereits untergegangenen Gegner, der nun mit Foucault noch einmal getötet wird. Mit Foucault soll gelingen, die "Verflechtungen und das Zugleich von Macht und Freiheit zu denken" (31).

Die folgenden Beiträge sind drei Abteilungen zugeordnet: methodologischen Herausforderungen, grundbegrifflichen Sondierungen und der Diskussion um Subjektivierung und Gouvernementalität. Alle drei Ansatzpunkte werden in den Zwischenräumen der Pole von Wahrheit und Ideologie, Freiheit und Macht sowie Hervorbringung und Unterwerfung angesiedelt. Durch Analyse, Kritik und Verschiebung der Ausschließlichkeiten dieser Bestimmungen versuchen die AutorInnen des Bandes, die Spielräume dazwischen auszuloten.

Die Programmatik der Emanzipation innerhalb der "kritischen Erziehungswissenschaft" problematisiert Christiane Thompson und stellt heraus, dass mit dem Versuch, Emanzipation als positives Ziel von Erziehung und Bildung anzusetzen, mit der Negativität gebrochen wird, die Mollenhauer und Blankertz stark gemacht hatten. Mit der Orientierung an Habermas wird die "Erreichbarkeit von Emanzipation vorgezeichnet" (43) und aus der Kritik eine Fortschrittsoption gewonnen. Herrschaftsverhältnisse geraten so aus dem Blick. Dass sich unter oder neben dieser dominanten Linie kritischer Erziehungswissenschaft eine herausgebildet hat, die die Dialektik nicht zwischen Pädagogik und Gesellschaft ansetzt, sondern die innere Widersprüchlichkeit der Pädagogik als bürgerliche reflektiert, bleibt auch hier leider unbeachtet, in Foucaultscher Tradition wäre aber ein solcher Blick auf eine Minderheitenlinie gerade angesagt. Mit Foucault untersucht Thompson die "Wahrheitswünsche eines Diskurses […], der den Kritik-Begriff für sich zu reklamieren wünscht" (50) und darüber vergisst, dass Emanzipation "gleichermaßen Enthebung einer Begrenzung und Einverleibung in Machtstrukturen" bedeutet (51). Konsequenterweise hat somit eine sich kritisch nennende Erziehungswissenschaft den Machtbezügen nachzugehen, in die Bildung, Mündigkeit und Emanzipation selbst verstrickt sind. Genau diese Perspektive lässt sich nach meinem Verständnis aus einer Anknüpfung an die ältere kritische Theorie, insbesondere an Adornos negativ-dialektisches Denken einnehmen. Wie sich ein solcher Ansatz mit Foucaults Kritik verbinden ließe, wäre erst noch auszuarbeiten. Darum geht es den Beiträgen des Bandes aber nicht. Sie setzen auf Foucaults Andeutungen von "Gegengeschichten", jenseits von Emanzipation und Herrschaft. "Die Geschichte, die Foucault der befreienden Selbstbehauptung gegenüberstellt, ist die der Entsubjektivierung und des Anderswerdens" (53). Bleibt die Frage, ob diese Ansprüche sich wiederum an ein starkes "Selbst" richten, das seine Abhängigkeit von anderen, seine Sozialität ausblendet.

Dem besonderen methodologischen Ansatz Foucaults, dem diskursanalytischen Zugriff auf die Regeln der Wissensproduktion widmen sich Jenny Lüders und Christoph Koller. Die für Foucault-Einsteiger immer wieder schwierige Unterscheidung von Archäologie und Genealogie wird darin deutlich. "Während die archäologische Regel das In-Beziehung-Setzen von Aussagen beschreibt, erfasst die genealogische Regel systematisch das Prinzip der kämpferisch-strategischen Bemächtigung von Diskursen" (67). Beide Zugänge, die als Diskursanalyse zusammengefasst werden, sind für die bildungspolitische, erziehungswissenschaftliche und pädagogisch-praktische Auseinandersetzungen relevant. Sie ermöglichen, nach den Regeln zu fragen, die pädagogischen Problematisierungen zugrunde liegen. Wie kommt eine "Problemgruppe" zustande und aus welchen Positionen heraus werden Unterscheidungen getroffen? Werden solche Fragen diskursanalytisch bearbeitet, so muss man sich darüber im klaren sein, dass "das diskursanalytische Verfahren selbst Teil der Kämpfe um die Bemächtigung des Diskurses" sind (72).

Wenn als letzte Möglichkeit widerständiger Praxis Foucault bei der Entsubjektivierung landet, dann muss gefragt werden, wie das Verweigern von Subjektivität überhaupt möglich ist. Jan Masschelein versteht die edukative Praxis als eine "negative Aktivität" (96), ein Hinausführen, das einen untergehen lässt, etwas verlieren, die eigene Subjektivität riskieren. In diesem Sinne entfaltet er den Begriff der Erfahrung als pädagogischen Begriff, der keine Lehre meint, sondern eine Haltung der Exposition. Erfahrung ist darin etwas, das uns passiert und das die Grenzen der kohärenten Subjektivität überschreitet. Inwiefern darin Entgrenzung wiederum zu einer Subjektivierungsform wird, bleibt zunächst offen. Für Masschelein ermöglichen Grenzerfahrungen als Einsatzpunkt edukativer Praktiken eine Hinführung zur Welt, mit der immunisierte Beziehungen zerstört werden. Diskursanalytisch ließe sich nun der Diskurs der Entimmunisierung und des Aussetzens selbst auf seine Ermächtigungsphantasien hin untersuchen.

Eine anthropologische Problematisierung von Macht unternimmt Norbert Ricken als Rückfrage an Foucault. Macht versteht er als einen Aspekt in einer "strukturale(n) Matrix menschlicher Selbstverhältnisse" (121) sowie als einen "beobachtungstheoretische(n) Begriff" (127), der immer auf Interpretation und Reflexivität bezogen ist. Macht bezeichnet somit ein Moment allen sozialen Handelns. Ricken sieht in der Konjunktur Foucaultscher Machttheoreme den Ausdruck einer "Unzufriedenheit mit tradierten Machtbegriffen" (128), die die Wechselwirkung von Über- und Unterordnung und die Intersubjektivität der Macht vernachlässigen. Anknüpfend an Judith Butlers subjekttheoretische Überlegungen ist Subjektivität zugleich Selbstbezug wie Selbstentzug. Gerade weil das Eigene nur am Fremden gewonnen werden kann, wird es nie ganz besessen und ist nie ganz verfügbar. Entunterwerfung, die Foucault als das mögliche Widerständige im Subjekt andeutet, wird in dieser Perspektive durch Entzogenheit und Fremdheit realisiert. Ricken redefiniert auf dieser Grundlage den Kritikbegriff: Kritisch sein heißt, "Momente der Entzogenheit und Gebrochenheit zur Geltung bringen"(140). Wird damit unterschwellig doch eine positive Setzung, eine Art dekonstruktiv aufgeklärte Subjektivierung vorgenommen, solange nicht in den Mittelpunkt rückt, wessen sich das entsubjektivierte Subjekt entzieht?

Eine weitere Diskussion des Machtbegriffs nimmt Alfred Schäfer vor, der die pädagogischen Legitimationen der Macht durch Foucault in Frage gestellt sieht, und zwar vor allem dadurch, dass der Status des Wissens instabil wird. Das Subjekt verwandelt Wissen in Macht und verfehlt dabei die Welt und sich selbst. Geht man von dieser "Einheit von Wissen und Verkennung" aus (150), werden pädagogische Legitimationen und Zielsetzungen fragwürdig. Die Suche nach einem machtfreien Wissen ist selbst ein repressives Modell und zielt auf eine Welt- und Selbsttransparenz, die einem Geständniszwang folgt. Entgegen intentionalisierenden Modellen in der Pädagogik, die Wirkungen ansteuern, sieht Schäfer einen alternativen Ansatzpunkt in der Auseinandersetzung mit Unterwerfung und Entunterwerfung. Ganz am Rande wird in dem Beitrag erwähnt, dass es neben Machtbeziehungen nach wie vor auch Herrschaftsverhältnisse gibt. Dies bleibt aber wie auch in den meisten anderen Beiträgen außerhalb der Problematisierungsperspektive. Vielleicht wäre aber das der Ausgangspunkt, in diskursanalytischer Ausrichtung weiter zu fragen, aus welchem Kontext der Privilegierung und Entprivilegierung gesprochen wird, also wessen Genealogie und wessen Subjektkritik im Zentrum steht. Dann ließe sich auch fragen, warum sich der Diskurs nach und mit Foucault so stark auf die Freiheit bezieht, nicht aber auf das Problem der Gleichheit.

Zumindest ist das Verschwinden der Gleichheit eine unausgesprochene Dimension in Maarten Simons` Anmerkungen zur Biopolitik, in der er eine neoliberale Regierungsform sieht, die das Ökonomische und das Soziale identisch werden lässt. Simons stellt die unterschiedlichen Konzepte von Biopolitik bei Giorgio Agamben und bei Michael Hardt und Antonio Negri vor und sieht in beiden die analytische Kraft des Begriffs nicht entfaltet. Simons geht es darum, den Begriff der Gouvernementalität in biopolitischer Hinsicht zu entfalten, drückt dieser doch eine ökonomische Sorge um das Leben aus, zum Zweck der Optimierung des organischen Kapitals. Interessant ist Simons` Hinweis auf die Rolle von Ausbildung, die zu einem biopolitischen Selektionsmechanismus werde – als "Scharnier zwischen Freiheit und Sicherheit" (176). Hier nun wäre ein Ort, die Frage nach der Gleichheit zu stellen, wenn Leben zum "Korrelat einer investierenden Haltung" wird (181) und das biopolitische Tribunal seine "Schreckensherrschaft" über das kapitalisierte Leben entfaltet. Unter der Hand rutscht hier der Herrschaftsbegriff wieder in die Diskussion, denn darum geht es tatsächlich: Wer nicht investiert, verschwindet, man kann ihn "sterben lassen". Während bis hierhin immer wieder Ausblicke auf die Möglichkeiten der Entsubjektivierung gegeben worden sind, endet Simons mit einer Warnung vor einer "gefährlichen Form der Machtausübung" (183).

Die Konjunktur des Selbstsorgegedankens, der einigen Interpreten offensichtlich als die "richtige" Ausübung der Macht gilt, nimmt Roland Reichenbach zum Anlass für Rückfragen an die Rezeption der "Sorge um sich". Wer mit den von Foucault untersuchten antiken Praktiken der Selbsttransformation aus dem Leben ein Werk machen will, hat nun doch das "richtige Leben" entdeckt und verbreitet die Botschaft: Selbstbeherrschung ist möglich. Reichenbach stellt der "antiken Ethik der Schönen, Reichen und Mächtigen" eine gegenwärtigere "fatigue de soi" (Alain Ehrenberg) gegenüber. Die Pädagogik solle sich eher damit befassen, wie "normale Selbste" ihr Leben bejahen können (190). Reichenbachs Kritik der Selbstsorgekonjunktur zielt auf jenes "Selbstbemeisterungsselbst", das sich äquivalent zum unternehmerischen Selbst verhält und unter Erfolgszwang agiert (197).

Im ersten Beitrag der Abteilung zu Subjektivierung und Gouvernementalität unternimmt Markus Rieger-Ladich eine Rekonstruktion von Foucaults Denkbewegungen, Praktiken der Subjektivierung zu beschreiben. Stand zunächst die Analyse der Disziplinierungen durch die Mechanismen des Überwachens, Normalisierens und Prüfens im Mittelpunkt, so stößt Foucault in der Folge auf ein inneres Paradox der Disziplinargesellschaft. Da die Individuen darin ihre eigene Unterwerfung betreiben, ergeben sich genau daraus Handlungsspielräume, ein "widerständiger Rest" (209).Ob jene "Streuung der Macht" aber etwas Widerständiges entfalten kann oder nur eine Facette der produktiven Disziplinarmaschine ist, bleibt für mich zumindest ungeklärt, trotz oder vielleicht gerade wegen aller theoretischen Anstrengungen, Foucault zu einem Theoretiker des widerständigen Subjekts werden zu lassen. Rieger-Ladich zeigt dann, wie Foucault aus dem Geflecht historischer Machtpraktiken den Begriff der Regierung entfaltet. Es handelt sich hier um Praktiken, die auf Disziplinierung und Unterwerfung verzichten und "statt dessen mit einem Adressaten rechnen, der sich von der Idee der Regierung seiner selbst leiten lässt" (212). Wie soll für diesen überzeugten Regierten noch Widerstand denkbar sein? Rieger-Ladich rekurriert auf den Begriff der Erfahrung als "Gegenbegriff zur Subjektivierung" (214). Er zeigt, wie Foucaults irritierende Rekonstruktionen der Subjektivierungspraktiken, aus denen immer wieder versucht wurde, Botschaften abzuleiten, dazu dienen, "die aktuellen Formen der Subjektbildung als historisches – und damit: kontingentes – Phänomen zu erweisen" (217). Foucault stößt also nicht auf freiere Praktiken, an denen es sich zu orientieren gälte, sondern überschreitet das gegenwärtig Geltende. Die historische Rekonstruktion ergibt eine Verfremdung des bestehenden Subjektbegriffs. Dass es neben Foucault auch andere Ansätze gegeben hat und gibt, das ahistorische und Universalität beanspruchende Subjekt zu demontieren, würde sich ganz gut machen innerhalb eines Zugangs, der auf historisch-kulturelle Bedingtheiten aufmerksam macht. Die Verwandtschaften und Unterschiede zu feministischen und subalternen Studien würden den Blick auch für die Kontingenz der Foucaultschen Perspektive schärfen.

Einen anderen Blick auf Foucaults Umgang mit den antiken Selbstpraktiken wirft Rita Casale. Im Unterschied zu seinen vorangegangenen Machtanalysen erkenne Foucault mit der Ethik der Selbstregulierung und Moderation eine "positive Funktion der Moral" an (231) und lande letztlich bei einer "Idealisierung ästhetischer Selbstinszenierungen bei den Antiken" (ebd.), die eine Alternative zur cartesianischen und kantischen Subjektivitätstheorie abgeben. Casale plädiert dagegen mit Foucault und gegen ihn zugleich für eine "Genealogie des modernen Geschmacks", aus der erkennbar wird, wie Geschmack zum Kriterium für Ausschließung wie für Integration wird und die als "ästhetische Immanenz" gefasst werden kann (232).

Die Beiträge in der dritten Abteilung sind ausgesprochen heterogen, folgt doch auf diese philosophiegeschichtliche Foucault-Lektüre eine Auseinandersetzung mit den gouvernementalen Strategien aktueller Bildungspolitik. Ludwig Pongratz beschreibt die "globale strategische Situation" der Rankings, Testings und Controllings, die er den Foucaultschen Disziplinarprozeduren zuordnet, allerdings kommen sie ohne negative Konnotationen aus, sondern sind sublim, produktiv und eben reformierend. Ob hier aber eine "abgründige Widersprüchlichkeit" zum Ausdruck kommt (245), bleibt für mich zumindest fragwürdig, funktioniert doch der globalisierte Reformprozess gerade durch die Verdrängung der Widersprüche und schlimmer noch durch deren Auflösung in Richtung einer einzigen identifizierenden Logik der Aktivierung. Im Begriff der Gouvernementalität sieht Pongratz Foucaults neuen Ansatzpunkt zu einer Genealogie der Macht. Anhand der Schulgeschichte im zwanzigsten Jahrhundert zeigt er den Übergang von der Fremd- zur Selbstregulierung, durch die der "Widerspruch von Freiheit und Herrschaft" in "neue Formen der Vergesellschaftung" einwandert (253). Ist der Widerspruch in dieser Situation noch erfahrbar oder bereits vom "Willen zur Qualität" überwältigt?

Andrea Liesner verschärft die hier ausgeführte Kritik an den Praktiken der Kontrollgesellschaft noch, wenn sie in den Aktivierungsdiskurs der "Entrepreneurship Education" einführt. Das Problem der Abschaffung des Widerspruchs tritt hier noch deutlicher hervor. Unternehmensgründer sind Arbeitsplatzbeschaffer, nicht Ausbeuter, Arbeitnehmer sind "Arbeitsplatzwegnehmer" (289), es gibt nur noch "Noch-nicht-Entrepreneure" (290). Das Realitätsprinzip Weltmarkt regiert auch die Erziehungsreform und lässt die "unternehmerisch tätigen Kinder" aus den unterprivilegierten Regionen der Welt als globale Vorbilder auftreten. Liesners Material ist dermaßen selbstentlarvend, dass sich jeder weitere Kommentar erübrigt. Den pädagogischen Apologeten des Entrepreneurship ist jeglicher Widerspruchsgedanke abhanden gekommen. Liesner spricht daher auch von einer "Paralyse von Kritik" (295).

Die Beiträge bieten zum einen Lesarten Foucaults an, indem sie rekonstruieren, welche Denkwege zu welchen Begriffen geführt haben. Andere gehen darüber hinaus auf aktuelle Entwicklungen ein und versuchen, diese mit dem Foucaultschen Instrumentarium zu erklären. Beide Zugänge bieten vielfältige Einblicke in disparate Texte und zeigen die Aktualität, aber auch die Grenzen der Ansätze Foucaults für die Pädagogik. Dass einige AutorInnen immer wieder versichern, nicht normativ zu argumentieren und die Pädagogik von ihrer unerträglichen Normativität heilen wollen, scheint manchmal etwas angestrengt, so als starre eine Schlange auf das Kaninchen, das ohnehin gefressen werden wird. Die Brisanz von Foucaults Subjekt- und Machtanalysen ergibt sich vielmehr durch die erstaunliche Treffsicherheit, mit der er unsere Bereitschaft zur Unterwerfung als Ausdruck kapitalisierter Subjektivität erkannt hat. Der Band endet mit einer Auswahlbibliografie und einer Linksammlung zur Foucault-Rezeption, die Gabriella Schmitz zusammengestellt hat.
Astrid Messerschmidt (Darmstadt)
Zur Zitierweise der Rezension:
Astrid Messerschmidt: Rezension von: Ricken, Norbert / Rieger-Ladich, Markus: Michel Foucault: Pädagogische Lektüren, VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 2 (Veröffentlicht am 06.04.2005), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/81004137.html