Das gerade erschienene zweibĂ€ndige, von Heinrich Greving herausgegebene âKompendium der HeilpĂ€dagogikâ unterscheidet sich von den gegenwĂ€rtigen EinfĂŒhrungen und Ăberblicken des Faches (eine Sammelrezension folgt) in zweierlei Hinsicht: Einerseits verzichtet es in wohltuender Weise auf die nach wie vor ĂŒbliche prominente Aufgliederung des Faches in behindertenspezifische Fachrichtungen und andererseits deutet das Preisniveau darauf hin, dass es nicht in erster Linie von Studierenden gekauft, sondern als Nachschlagewerk in den Bibliotheken vorgehalten werden soll (beide BĂ€nde sind als Hardcover erschienen mit durchgehend zweifarbiger Gestaltung).
Das Werk ist in insgesamt 80 Stichworte in alphabetischer Reihenfolge gegliedert, die ebenfalls teilweise aus dem ĂŒblichen Rahmen fallen (z.B. âDaseinsgestaltungâ â bearbeitet von Emil E. Kobi, âEuropĂ€ische HeilpĂ€dagogikâ â bearbeitet von Alois BĂŒrli, âFachbereichstag HeilpĂ€dagogikâ â bearbeitet von Norbert Störmer oder âZeichenâ, bearbeitet von Christian MĂŒrner). Ein Blick auf den Titel, die Herkunft des Herausgebers und die einschlĂ€gig ausgewiesene Autorenschaft verweist dabei auf eine deutliche Orientierung dieses Kompendiums auf den auĂerschulischen Bereich, und hier auf das vorwiegend an bundesdeutschen Fachhochschulen angesiedelte Fach âHeilpĂ€dagogikâ. Dabei sind die Aufnahme von aktuellen Forschungsgebieten (Disability Studies, Professionalisierung) und die Bezugnahme auf die verĂ€nderte Sozialgesetzgebung (Persönliches Budget, Assistenz) besonders zu begrĂŒĂen.
Wie im knappen Vorwort betont wird, wird HeilpĂ€dagogik hier als Handlungswissenschaft gefasst. Die Aufbereitung der Stichworte erfolgt nach jeweils gleichem Schema (Etymologie, Geschichte des Stichworts, Aktuelle Relevanz und theoretische AnsĂ€tze, Problem- und Erfahrungsfelder, Ausblick, kommentierte Literaturliste). Diese Einteilung erweist sich als weitgehend tragfĂ€hig, allerdings ist die Relevanz eines etymologischen Zugriffs in diesem Bereich nicht unumstritten, so zitiert denn auch Dieter Gröschke im Stichwort âBehinderungâ an dieser Stelle Heidegger:
âJede Etymologie wird zu einer sinnlosen Spielerei mit Wörtern, wenn der Sprachgeist der Sprache, d.h. das Wesen des Seins und der Wahrheit, nicht erfahren ist, woraus die Sprache spricht.â Bd. 1, 97).
Hinsichtlich der Gliederung könnte man allerdings kritisch einwenden, dass die unterschiedlichen Ebenen der behandelten Thematiken wie behinderungsspezifische Fachrichtungen (Blinden-/Sehbehinderten-, Hör-, und LernbehindertenpĂ€dagogik), Theorierichtungen (Kritisch-Materialistische und Empirische BehindertenpĂ€dagogik, Geisteswissenschaftliche HeilpĂ€dagogik, Konstruktivismus), Syndrome (Schwerstbehinderung, Verhaltensstörungen, Trisomie 21, Autismus), methodische Fragestellungen (Basale Kommunikation, Ăsthetische Erziehung, GesprĂ€chsfĂŒhrung, heilpĂ€dagogische Ăbungsbehandlung etc.), Konzepte (Empowerment, Normalisierungsprinzip etc.), entwicklungsbezogene Thematiken (Spielen, Sprache etc.), institutionelles Handeln (Wohnen, FrĂŒhförderung etc.), berufsbezogene Fragestellungen (Professionstheorie, StĂ€ndige Konferenz der AusbildungsstĂ€tten etc.) sowie allgemein erkenntnistheoretische Ăberlegungen (Neurophysiologische Grundlagen, Wahrnehmung, Zeichen etc.) und weitere Themenkomplexe in einer rein alphabetischen Stichwortanordnung die Systematik des Faches nicht wiedergeben können. Dieses hĂ€tte aber so einem Grundlagenwerk gut getan, auch weil dann offensichtliche LĂŒcken (so fehlen z.B. Geistige Behinderung, Körper- und Sprachbehinderung als Syndrome, wie auch Systemische ZugĂ€nge im Bereich von Theorie und Methodik, und schlieĂlich zentral auch das Stichwort âIntegration/Inklusionâ) geschlossen wĂ€ren. SelbstverstĂ€ndlich sind solche Kompendien immer unvollstĂ€ndig, aber eine erkennbare Systematik des Faches hĂ€tte hier auf beabsichtigte und unbeabsichtigte LĂŒcken aufmerksam machen können.
Auch ist es bedauerlich, dass keine weitere Verschlagwortung stattgefunden hat, durch die Querverbindungen zu den unterschiedlichen Stichworten herstellbar gewesen wĂ€ren. DafĂŒr erscheint ein identisches Literaturverzeichnis sowohl in Band 1 als auch in Band 2.
Von diesen Problemen abgesehen, die fast immer mit der Herausgeberschaft eines solchen Unterfangens verbunden sind, werden jedoch die jeweiligen Stichwortartikel dem Anspruch gerecht, einen Ăberblick ĂŒber die historische und gegenwĂ€rtige Bedeutung des gestellten Themas vorzulegen und dabei auf einschlĂ€gige, weiterfĂŒhrende Literatur hinzuweisen. Insofern leistet dieses Nachschlagewerk einen wichtigen Beitrag im Sinne eines aktuellen einfĂŒhrenden Ăberblicks in spezifische heilpĂ€dagogische Themenfelder und erfĂŒllt auch hinsichtlich der Lesbarkeit der Texte diesen Anspruch. Die bislang vorwiegend aus sonderschulischer Perspektive verfassten EinfĂŒhrungs- und Ăberblickswerke erfahren durch das âKompendium der HeilpĂ€dagogikâ eine wichtige ErgĂ€nzung.
EWR 6 (2007), Nr. 4 (Juli/August 2007)
Kompendium der HeilpÀdagogik
Band 1 (A - H)
Troisdorf: Bildungsverlag Eins 2007
(468 S.; ISBN 978-3-427-04874-9; 30,90 EUR)
Kompendium der HeilpÀdagogik
Band 2 (I - Z)
Troisdorf: Bildungsverlag Eins 2007
(400 S.; ISBN 978-3-427-04877-0; 30,90 EUR)
Vera Moser (GieĂen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Vera Moser: Rezension von: Greving, Heinrich (Hg.): Kompendium der HeilpĂ€dagogik, Band 1. Troisdorf: Bildungsverlag Eins 2007. In: EWR 6 (2007), Nr. 4 (Veröffentlicht am 26.07.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978342704874.html
Vera Moser: Rezension von: Greving, Heinrich (Hg.): Kompendium der HeilpĂ€dagogik, Band 1. Troisdorf: Bildungsverlag Eins 2007. In: EWR 6 (2007), Nr. 4 (Veröffentlicht am 26.07.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978342704874.html