
Auch Hanna Hoa Anh Mais Studie versteht Professionalität nicht losgelöst von der Positioniertheit von Pädagog*innen in gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Im Fokus ihrer Studie stehen Professionelle in außerschulischen pädagogischen Arbeitsfeldern, deren Erfahrungen Mai über episodische Interviews rekonstruiert. Mai interessiert sich für das Zusammenwirken von Rassismus und Professionalität, das für Pädagog*innen of Color zu einem markanten Erfahrungszusammenhang wird. Über das situierte Wissen der Professionellen können Erkenntnisse über gesellschaftliche Machtverhältnisse gewonnen werden.
In Kapitel 1 formuliert Mai das Forschungsinteresse und skizziert den Aufbau der Arbeit. Kapitel 2 referiert den bildungspolitischen Diskurs und Forschungsstand; ebenso wird das Erkenntnisinteresse der Arbeit dargelegt. In Kapitel 3 zeichnet die Autorin in Abgrenzung zu sozialpsychologischen Rassismustheorien die historische Verwobenheit von Rassismus und Moderne, intellektualistisch legitimierten Rassetheorien und Kolonialismus sowie kapitalistischer Arbeitsteilung und ökonomischer Kapitalanreicherung auf der Grundlage von tiefgründigem Detailwissen nach. Kapitel 4 bietet eine bislang selten erfolgte theoretische Perspektivierung der Verbindung von Professionstheorien und migrationsgesellschaftlichen Macht- und Differenzverhältnissen. Die erkenntnistheoretischen Konsequenzen dieser gesellschaftlichen Machtverhältnisse werden in Kapitel 5 aufgegriffen. Hier werden feministische Standpunkttheorien und die Perspektive der Cultural Studies zu einer lesenswerten theoretischen und methodischen Rahmung verknüpft. „Marginalität als Erkenntnis“ (115). aus der Schwarzen feministischen Theorie wird zum Programm der Studie, wobei Erfahrung nicht (nur) der Ausgangspunkt des Wissens ist, sondern das, was es zu erklären gilt Kapitel 6 begründet die Entscheidung für zehn leitfadengestützte narrative Interviews über das Interesse am situierten Wissen der Pädagog*innen of Color zu rassistischen Differenzordnungen in pädagogischen Arbeitsfeldern. Kapitel 7 enthält die empirischen Analysen der Interviews. Sie werden passagenweise entlang von sechs Themen systematisiert, extensiv interpretiert und an die theoretischen Grundlagen zurückgebunden. In Kapitel 8 wendet die Autorin auf fünf Seiten die Ergebnisse in eine Aussicht auf die Transformation „in Richtung einer gerechteren Gesellschaft“ (261), in der die Positioniertheit pädagogischer Professionalität anerkannt wird.
Mai gelingt es eindrücklich, die Doppelstrukturen herauszuarbeiten, die sich für Pädagog*innen of Color im Zusammenwirken von Rassismus und Professionalität ergeben: Sind die Interviewten einerseits Teil einer Einrichtung, werden sie darin gleichzeitig als nichtzugehörig adressiert. Werden sie einerseits in bestimmten Kompetenzen anerkannt, wird andererseits genau dieses Wissen ein objektivierendes Wissen über sie. Eine pädagogische Professionelle wird für die differenzsensible Darstellung der Einrichtung beim Pressetermin zusammen mit anderen Personen of Color auf das Foto gebeten, gleichzeitig bleibt sie für inhaltliche Fragen zur Einrichtung in den Gesprächen außen vor. Diese Mechanismen erinnern an Sara Ahmeds Studie über das ‚Feiern von Diversity‘ in weißen Institutionen in Großbritannien [5]. Zu- und abgesprochene Kompetenzen werden als ein funktionalistisches Wechselspiel zwischen der Verwertung für die Institution und der strukturellen Aberkennung von situiertem Wissen erfahren. Dabei kommen auch Konkurrenzen unter Pädagog*innen of Color um Stellen zum Tragen, wenn sich Vorgesetzte zwischen zwei Kandidatinnen eher für die weniger kritische, weniger ‚störende‘ Person of Color entscheiden.
Die Professionellen befinden sich in Doppelstrukturen und Spannungsfeldern, ein Umstand, der die Orte der Berufsausübung und der Weiterbildung für sie zu „unwirtlichen Orten“ (153) macht. Mai arbeitet acht Umgangsweisen der Pädagog*innen mit rassismusrelevanten Erfahrungen heraus. Darunter der transformative Umgang mit Wut, Schmerz und Trauma, aus dem biografisch-professionelles Wissen wird; der analytische Umgang mit Rassismus, der ihn erkennt, benennt, entlarvt und in einen gesellschaftlichen Kontext stellt, und Minderheitenwissen subversiv normalisiert (205). Erklärendes Wissen über Rassismus wird von den Pädagog*innen zu professionellem Wissen im Umgang mit Rassismuserfahrungen ihrer Adressat*innen. Die Befragten entscheiden sich zu „gehen“ (232) als Akt des Selbstschutzes und als sich entziehen können aus verletzenden Kontexten. Ein anderer proaktiver Umgang ist, dass sie Bedürfnisse artikulieren und Bedingungen an ihre Arbeit stellen.
Den Erzählenden steht kein Professionsverständnis zur Verfügung, das Rassismuserfahrungen integriert. Hanna Hoa Anh Mais Studie trägt zu einer empirisch fundierten Erarbeitung eines solchen Professionsverständnisses bei. Einzig die Reproduktion des Z-Wortes irritiert in dem sonst mit rassistischen Reifikationen sehr reflexiv umgehenden Text. In einer übergeordneten Analyse in Kapitel 7 zieht Mai zwei theoretische Schneisen durch das Material. Mit der „irritierenden Präsenz von Pädagog*innen of Color“ ist gemeint, dass PoCs den professionellen Raum irritieren, der mit Verweisungen, Sichtbarmachungen und natio-ethno-kulturellen sowie religiösen und linguizistischen Veränderungen reagiert und die Professionalität der PoC abwertet. „Positionierte Professionalität“ umfasst die Auseinandersetzungen der PoC mit den Irritationserfahrungen. Diese konzipiert Hanna Mai als „Bedingung ihrer Professionalität und Professionalisierung“ (253).
In den Interviews fällt das Wissen der Befragten über theoretische Konzepte stark auf, sowie ihre Fähigkeit über ihr Erfahrungswissens teils in analytischen Formeln zu reflektieren. In ergänzender Perspektive zu den hier Befragten und mit Blick auf vorbereitende professionstheoretische Ausbildungsinhalte wäre daher interessant, Feldteilnehmende mit noch wenig erfolgter inhaltlicher Auseinandersetzung mit Rassimus(erfahrungen) und eher prä-reflexivem Wissen zu befragen.
[1] Akbaba, Y., Bello, B., Fereidooni, K. Pädagogische Professionalität und Migrationsdiskurse. Wiesbaden: Springer VS.
[2] Akbaba, Y. (2017) Lehrer*innen und der Migrationshintergrund. Widerstand im Dispositiv. Weinheim: Beltz Juventa.
[3] Doğmuş, A. (2021) Professionalisierung in Migrationsverhältnisse(n). Eine rassismuskritische Perspektive auf das Referendariat angehender Lehrer*innen. Wiesbaden: VS Verlag.
[4] Schwendowius, D. (2015) Bildung und Zugehörigkeit in der Migrationsgesellschaft. Biographien von Studierenden des Lehramts und der Pädagogik. Bielefeld: transcript.
[5] Ahmed, S. (2013) Whiteness and the General Will: Diversity Work as Willful Work. PhiloSOPHIA: A Journal of Continental Feminism 2 (1), 1-20.