
Im ersten Teil des Buchs (1903-1934) werden die prĂ€genden EinflĂŒsse aus Borinskis Jugend dargelegt. Geboren in Berlin in einer politisch interessierten Familie mit jĂŒdischen, vor der Ehe christlich konvertierten Eltern beeinflussten der frĂŒhe Tod des Vaters und die damit einhergehenden finanziellen Schwierigkeiten seine Berufsentscheidung fĂŒr die Rechtswissenschaft. Erste AnschlĂŒsse zur politischen Erwachsenenbildung fand Borinski bereits wĂ€hrend seiner Studienzeit an den UniversitĂ€ten in Leipzig, Jena und Halle, unter anderem in Seminaren von Hermann Heller. Auch wird in seiner Dissertation ĂŒber Joseph Görres eine gewisse Idealisierung des Gemeinschaftslebens deutlich, die dabei auch erste Hinweise darauf gibt, dass der Fokus auf dem Gemeinschaftsleben in seiner spĂ€teren TĂ€tigkeit eine wesentliche Rolle spielen wird. Nach seiner politikwissenschaftlichen Promotion im Jahr 1927 arbeitete Borinski als Lehrer zunĂ€chst an einem Leipziger Bildungswohnheim fĂŒr junge Arbeiter und anschlieĂend an der Heimvolkshochschule Sachsenburg. 1931 kehrte er an die UniversitĂ€t Leipzig zurĂŒck, um das von Theodor Litt gegrĂŒndete âSeminar fĂŒr Freies Volksbildungswesenâ zu leiten. Von Einfluss waren fĂŒr Borinski neben diesen Erfahrungen auch die MitbegrĂŒndung und Betreuung des Leuchtenbergkreises 1924, âeines politischen Kreises, der sich nichts Geringeres zum Ziel setzte als die Erhaltung und die soziale Weiterentwicklung der Weimarer Demokratieâ (26). Borinskis politisches Denken entwickelte sich in dieser Zeit von einem zunĂ€chst von Friedrich Naumann geprĂ€gten nationalistischen Liberalismus zu einem sozialdemokratischen VerstĂ€ndnis, das ihn 1928 zum Eintritt in die SPD bewegte. So festigten sich viele seiner lebenslangen Ăberzeugungen und Bindungen zu Bildung und Politik schon wĂ€hrend der Weimarer Zeit.
In Folge der MachtĂŒbernahme der Nationalsozialisten wurde Borinski die weitere BerufsausĂŒbung verwehrt. Zusammen mit dem Juristen Wolfgang Friedmann beteiligte er sich an der Organisation eines von den QuĂ€kern getragenen internationalen Wohnprojekts, wodurch ihm im April 1934 die Ausreise nach England ermöglicht wurde. Friedmann hatte ihn gezielt fĂŒr das Projekt gewonnen, da Borinski mit seinen Erfahrungen als âMann der residentiellen PĂ€dagogikâ (84) einen Beitrag zum Gelingen des Zusammenlebens in der Wohngemeinschaft leisten konnte.
Der zweite Teil der Veröffentlichung (1934-1947) konzentriert sich auf sein Leben im Exil, zunĂ€chst als geduldeter FlĂŒchtling ohne Arbeitserlaubnis. In dieser Zeit begann er inoffiziell an der London School of Economics and Political Science zu studieren und plante eine weitere Promotion unter der Betreuung von Karl Mannheim. Nach Kriegsbeginn wurde er jedoch als âEnemy Alienâ in Australien interniert. Trotz der widrigen UmstĂ€nde lieĂ er sich in seiner Entwicklung als PĂ€dagoge nicht beirren: Selbst in dieser Notsituation fasste er den Entschluss, sich als Leiter der Lagerschule zu engagieren. Ende 1941 durfte er als anerkannter Asylsuchender mit Arbeitserlaubnis nach London zurĂŒckkehren. In dieser Zeit fand er sich mit Gleichgesinnten zusammen, die wie er von der Notwendigkeit demokratischer Bildungsarbeit im Nachkriegsdeutschland ĂŒberzeugt waren. So beteiligte er sich an der britischen NGO German Educational Reconstruction, in deren Rahmen er seine WeiĂe Liste erstellte und Empfehlungen fĂŒr die zukĂŒnftige demokratische Bildung in Deutschland entwickelte. Kurz nach Kriegsende bekam Borinski durch seine LehrtĂ€tigkeit mit deutschen Kriegsgefangenen im Umerziehungslager âWilton Parkâ die Möglichkeit, demokratische AufklĂ€rungsarbeit selbst mitzugestalten. Bemerkenswert ist, dass Borinski seine Forschungs-, Lehr, und SchreibtĂ€tigkeit im Exil ohne Unterbrechung fortsetzte. Hier liegt ein besonderer Erkenntnisgewinn der Veröffentlichung von Friedenthal-Haase fĂŒr die Leserschaft: die Auseinandersetzung mit bislang unveröffentlichten Texten, z.B. seiner unauffindbaren, als weitere Dissertation geplante GegenĂŒberstellung der politischen Positionen von Carl Schmitt und Hermann Heller. Der Autorin ist es auch zu verdanken, dass ein Werk von ihm aus seiner Exilzeit, The German Volkshochschule, durch ein posthumes Erscheinen eine breite Ăffentlichkeit erfahren hat.
Im dritten Teil (1947-1970) zeichnet Friedenthal-Haase die beruflichen Stationen Borinskis nach seiner RĂŒckkehr in sein Heimatland nach â eine RĂŒckkehr, die angesichts des tragischen Verlusts seiner Mutter in einem Konzentrationslager von einer im Nachhinein kaum nachvollziehbaren Treue zu Deutschland zeugt. Seine ĂŒber die Jahre im Exil hinweg ersehnte Heimkehr konnte er erst 1947 mit Hilfe des damaligen niedersĂ€chsischen Kultusministers Adolf Grimme verwirklichen, der ihm die Stelle als Leiter der Heimvolkshochschule Jagdschloss Göhrde sicherte. In Göhrde setzte Borinski seine in London begonnene politische Bildungsarbeit fort und arbeitete konzeptionell an Ideen fĂŒr die zukĂŒnftige Professionalisierung und Akademisierung der Erwachsenenbildung, teils in Zusammenarbeit mit den PĂ€dagogen Hermann Nohl und Erich Weniger an der UniversitĂ€t Göttingen. Parallel dazu schrieb er sein als Habilitation geplantes Werk âDer Weg zum MitbĂŒrgerâ, das sein Konzept fĂŒr politische Bildung darlegt und noch heute relevante Anregungen fĂŒr eine auf âIntegrationsfĂ€higkeitâ zielende demokratische Bildungsarbeit enthĂ€lt. Dieser Station folgte eine Phase als Leitung der Volkshochschule Bremen von 1954 bis 1956, in Anerkennung seines jahrelangen Engagements in der Lehre wurde er im Anschluss auf den Lehrstuhl fĂŒr PĂ€dagogik an der Freien UniversitĂ€t Berlin berufen. In den 1950er und 1960er Jahren engagierte er sich zudem bildungspolitisch als Gutachter im Rahmen des âDeutschen Ausschusses fĂŒr das Erziehungs- und Bildungswesenâ.
Der vierte Teil des Buches (1970-1988) strahlt durch die Darstellung der persönlichen Verbindung von Friedenthal-Haase zu Borinski eine besondere WÀrme aus. In dieser Zeit lernte sie ihn persönlich kennen, durfte ihn auf Konferenzen begleiten und wurde eine enge Vertraute von ihm und seiner Frau Maja Kahn. In den letzten Kapiteln beschreibt Friedenthal-Haase sein nachhaltiges Wirken und den starken Einfluss, den er auf die Menschen hatte, mit denen er zusammenarbeitete. Auch das sorgfÀltig ausgewÀhlte Bildmaterial zeugt von einem tiefen Eindruck, den er bei der Autorin und anderen hinterlassen hat.
Borinski vermochte es intuitiv, vermeintliche GegensĂ€tze in Einklang zu bringen und BrĂŒcken zwischen unterschiedlichen Welten zu schlagen: Er war Christ mit jĂŒdischen Wurzeln sowie ein jugendbewegter Sozialdemokrat mit tiefer â aber keineswegs rassistisch konnotierter â Nationalgesinnung, der sein politisches Denken mit pĂ€dagogischem Handeln zu verbinden wusste. Friedenthal-Haase gelingt es mit ihrem einladenden Schreibstil und ihren fundierten Kenntnissen des Quellenmaterials Borinskis inspirierende Biografie fĂŒr ein breites Publikum zugĂ€nglich zu machen. Insbesondere in einer Zeit, in der sowohl antidemokratische als auch antisemitische Einstellungen besorgniserregend zunehmen, ist die LektĂŒre ĂŒber die Entwicklung Borinskis humanistischer Prinzipien und deren Einbettung in seine Lebenserfahrung leider erschreckend aktuell und dient als mutiges Vorbild, gesellschaftlichen Spannungen und Spaltungstendenzen zu begegnen. Friedenthal-Haase sorgt mit ihrer anerkennenden Arbeit dafĂŒr, dass Borinskis Andenken weiterlebt und sein Wirken und seine Persönlichkeit einen wĂŒrdigen Platz in der disziplinĂ€ren Historiographie der Erwachsenenbildung einnehmen.