
Der Band ist in der utb-Reihe „Studientexte Bildungswissenschaft“ erschienen und adressiert zukünftige und praktizierende Lehrkräfte sowie Studierende (weiterer) erziehungs- und sprachwissenschaftlicher Studienrichtungen (11). Die Autor*innen möchten – so das Anliegen des Buches – die Bildung eines selbstreflexiven Ansatzes unterstützen, der „Normalitäten oder Fraglosigkeiten“ (12) zum Ausgangspunkt nimmt. Problematisiert werden soll beispielsweise die Unterscheidungspraxis zwischen Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund; zwischen Kindern als Mädchen oder Jungen; die Bedeutung der Vermittlungssprache Deutsch in einer mehrsprachigen Schulklasse (13). Für die Analyse solcher Unterscheidungspraxen schlagen die Autor*innen anknüpfend an macht- und gesellschaftstheoretische Ansätze eine Perspektive vor, die Differenz als soziale Konstruktion versteht und die Folgen dieser Konstruktion für gesellschaftliche Platzierungen diskutiert. Mit Bezug auf den schulischen Kontext sei dies in (mindestens) zweifacher Hinsicht bedeutsam: Zum einen, da pädagogisch Handelnde immer mit „den Unterschiedlichkeiten ihrer Adressat*innen konfrontiert“ seien; zum anderen, da „pädagogisches Handeln und (…) pädagogische Institutionen bedeutsame Instanzen der Konstruktion bzw. Relevantsetzung dieser Unterschiedlichkeiten“ seien (13).
Zu den einzelnen Teilen des Bandes: Im Mittelpunkt des ersten Teils stehen „Heterogenitätsdiskurse, Sprachverhältnisse und die Schule“ (17). Die Autor*innen verweisen auf gesellschaftliche und fachwissenschaftliche Entwicklungen, die zu einer „Konjunktur“ (27) des Begriffs ‚Heterogenität‘ geführt haben und skizzieren idealtypische Verständnisse, die dahinter stehen (33-39). Aufschlussreich ist dabei nach Ansicht der Rezensentin eine Systematisierung verschiedener Begriffsverständnisse von ‚Heterogenität‘. Diese reichten, so die Autor*innen, von einem individualisierenden Blick auf „Lerndifferenzen zwischen Schüler*innen“ (35) über die Thematisierung des Zusammenhangs von individuellen Voraussetzungen und gesellschaftlichen Bedingungen bis hin zu einer Problematisierung dominanter Normalitätsvorstellungen. Diese Systematisierung bietet den Leser*innen die Möglichkeit, die Verwendung des Heterogenitätsbegriffs als ‚Container‘ für die Beschreibung von jeglichen Differenzverhältnissen kritisch zu diskutieren oder in Frage zu stellen. Für das Nachdenken über Pluralität und Vielfalt aus der dem Band zugrundeliegenden macht- und gesellschaftstheoretischen Perspektive schlagen die Autor*innen die Schlüsselbegriffe „Differenzordnung und Diskriminierungsverhältnisse“ vor (39). Das Begriffspaar wird anhand der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Sprache und gesellschaftlicher Differenzordnung konkretisiert (51-62). Aufschlussreich ist in diesem Teilkapitel – neben dem grundlegenden Blick auf die Bedeutung von ‚Sprache(n)‘ in migrationsgesellschaftlichen Kontexten (51-57) – die Explizierung kolonialer Denkmuster in Bezug auf ‚afrikanische Sprachen‘ und deren Hineinwirken bis in das gegenwärtige deutsche Bildungssystem (57-62). Im dann folgenden Kapitel liegt der Schwerpunkt auf einer Betrachtung der Institution Schule, welche in einem Spannungsfeld zwischen der Erfüllung gesellschaftlicher (Selektions-)Funktionen und der Verantwortung für einzelne Schüler*innen verortet wird. Heterogenität, so die Autor*innen abschließend, werde als Perspektive aufgefasst, die nach Möglichkeitsräumen für professionelles pädagogisches Handeln suche und gleichzeitig Widersprüche offen lege (63-89).
Der zweite Teil bildet nach Ansicht der Rezensentin ein Alleinstellungsmerkmal dieses Bandes, denn er stellt mit ‚Sprache(n)‘ zwar eine Differenzkategorie rahmend in den Vordergrund, widmet aber auch den Kategorien Behinderung [1], Gender, Klasse, Migrationshintergrund und Religion jeweils ein Kapitel. Aufschlussreich ist hierbei zum einen die jeweilige historische Einordnung der Begriffe, zum anderen die Diskussion der Kategorien unter machtkritischer und dekonstruktivistischer Perspektive. Es werden auf diese Weise einerseits Überschneidungspunkte deutlich, wenn es um die Herstellung von gesellschaftlicher Differenz geht. Gleichzeitig treten unterschiedliche Bezugswissenschaften und Verwendungsweisen der Begriffe hervor. Für eine weitere Erhellung des Blicks auf das Verhältnis der Differenzlinien untereinander wäre ein zusammenfassendes Kapitel in diesem Abschnitt allerdings hilfreich gewesen. Auch kann über die Auswahl der fünf besprochenen Differenzlinien diskutiert werden. Für den Kontext Schule und Bildung wäre beispielsweise die Thematisierung von Adultismus ebenfalls interessant gewesen.
Teil drei enthält zwei Zugänge zu schulischer Bildung, die unter Bezugnahme auf die Kategorie ‚Sprache(n)‘ Möglichkeiten für eine „machtreflexiv(e)“ und „differenzfreundlich(e)“ (199) Schule ausloten. Während zunächst migrationsgesellschaftliche Mehrsprachigkeit im Mittelpunkt steht, werden danach Ansätze und Konzepte für die Vermittlung der Zielsprache Deutsch besprochen. Diese beiden Aspekte werden auch in ihrem Verhältnis zueinander diskutiert, indem auf die Bedeutung eines „diskriminierungskritische(n) professionelle(n) Handeln(s) in der monolingual deutschsprachigen Schule“ (245) hingewiesen wird. An diesen Gedanken knüpft das abschließende Kapitel an, welches aus den Erkenntnissen des gesamten Bandes heraus ein Verständnis für die „differenzfreundliche und diskriminierungskritische Schule“ (248) herausarbeitet, welches von Ansätzen, die die Chancengleichheit und soziale Anerkennung in den Mittelpunkt stellen, abgegrenzt wird.
Den anfangs explizierten Anspruch nach einer machtkritischen Perspektivierung von Heterogenitätsdiskursen löst der Band damit nach Ansicht der Rezensentin ein: Er enthält einen überaus reichhaltigen Überblick über Diskurse und Handlungsansätze jüngerer Zeit. Durch die Thematisierung mehrerer Differenzlinien regt der Band insbesondere dazu an, transdisziplinär über Dominanzverhältnisse im Bildungssystem nachzudenken; dies könnte beispielsweise in der Diskussion um die ‚inklusive Schule‘ weiterführende Überlegungen ermöglichen.
Darüber hinaus ist der Band aber auch als positionierte Einführung zu verstehen, die auf Widersprüchlichkeiten und Spannungsverhältnisse im Umgang mit Differenz und im Versuch ihrer Dekonstruktion hinweist. Beispielhaft deutlich wird dies in der Auseinandersetzung mit dem Anerkennungsbegriff am Ende des Buches (256-259). Die Autor*innen weisen in diesem Zusammenhang auf die Gefahr hin, durch die Anerkennung von Differenz diese gleichzeitig affirmativ zu reproduzieren. So könnte die Anerkennung der Differenzlinie ‚Behinderung‘ die machtvolle Unterscheidungspraxis zwischen ‚Behinderung‘ und ‚Nicht-Behinderung‘ erneut bestätigen (258). Wie anfangs beansprucht, fordert das Buch auf diese Weise dazu heraus, „Normalitäten oder Fraglosigkeiten“ (12), zu hinterfragen. Es lädt gleichzeitig ein, weiter an der intersektional gedachten ‚differenzfreundlichen‘ und ‚diskriminierungskritischen‘ Schule zu arbeiten.
Als ‚Studientext‘ ist er nach Ansicht der Rezensentin eine hervorragende Grundlage für die Entwicklung einer eigenen, professionell-reflexiven Haltung (angehender) Lehrkräfte. Für die reflexive Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung ist vermutlich eine Begleitung durch kommunikative Vermittlungsformate wie Seminare, Weiterbildungen oder hochschulische Lehrveranstaltungen nötig.
[1] Unter dem Begriff „Behinderung“ verstehen die Autor*innen nicht ein „medizinisch-körperliches Problem einzelner Menschen“, sondern im Sinne der konstruktivistischen Perspektive des Bandes eine „zeit- und kontextspezifische Konstruktion“ (96).