EWR 21 (2022), Nr. 1 (Januar)

Werner Helsper
Professionalität und Professionalisierung pädagogischen Handelns: Eine Einführung
Opladen & Toronto: Verlag Barbara Budrich 2021
(396 S.; ISBN 978-3-8252-5460-5; 29,90 EUR)
Professionalität und Professionalisierung pädagogischen Handelns: Eine Einführung Professionalisierung ist im Bildungskontext seit einigen Jahren ein Themenkomplex zunehmender Beachtung und Relevanz. Unterschiedliche Ansätze und Diskurse gilt es vor dem Hintergrund gegenwärtiger bildungspolitischer und gesellschaftlicher Ansprüche und Herausforderungen zu reflektieren. Zu differenzieren sind dabei u. a. individuelle, gesellschaftliche und institutionelle Dimensionen, Wissenschafts- und Praxisbezüge sowie verschiedene Schwerpunktsetzungen auf Wissen, Können, Handeln, Person(en) oder Struktur(en). Werner Helspers Einführung in das gleichermaßen breite wie komplexe Themenfeld „Professionalität und Professionalisierung pädagogischen Handelns“ bietet hier zur Orientierung eine solide und übersichtlich strukturierte Grundlage, deren in weiten Teilen strukturtheoretische Fundierung aber auch entsprechende Implikationen und Fokussierungen mit sich bringt.

Die Publikation bildet den Auftakt der gleichnamigen dreibändigen Reihe und stellt die erste Kurseinheit des entsprechenden Moduls des Masterstudiengangs ‚Bildung und Medien‘ (eEducation) an der Fernuniversität Hagen dar. Folglich versteht sich die Einführung vor allem als Lehrbuch für Studierende und Lehrende im Feld der Erziehungswissenschaft, Sozialen Arbeit bzw. pädagogisch ausgerichteter Tätigkeit allgemein. Demgemäß ist die umfangreiche Aufarbeitung zum Thema in neun Kapiteln klar gegliedert und hält neben dem 36-seitigen Literaturverzeichnis am Ende auch ausgewählte Literaturempfehlungen in den einzelnen Kapitelabschnitten bereit. Die Sprache ist leicht verständlich, aber ebenso fachwissenschaftlich orientiert. Die Kapitel werden schlüssig ein- und übergeleitet, es finden sich immer wieder Zusammenfassungen des bisher Erörterten, die mit nachvollziehbaren Fragestellungen weiterführend kontextualisiert werden. Die Ausführungen werden vielfach an Beispielen veranschaulicht, flankiert mit wissenschaftlichen Quellen, Tabellen und Schaubildern. Die einzelnen Kapitel sind randseitig mit orientierungsgebenden Abschnittsüberschriften versehen, was einen guten Überblick über die behandelten Themen und Fragen bietet sowie auch ein Lesen in Auszügen erleichtert. Mit einem Fragezeichen markiert sind optionale Aufgaben zur Vertiefung eingefügt.

Nach einem Vorwort der Herausgeberin der Reihe, welches in den vorliegenden Band einführt und diesen, auch mit Blick auf die Folgebände, kontextualisiert, folgt die Einleitung des Autors (Kap. 1). Hier wird am alltagsweltlichen Verständnis von Profession, Professionalität bzw. spezifisch professionellem Handeln angesetzt, um davon die klassischen wissenschaftlichen Bestimmungen und Formenkreise strukturell zu unterscheiden und in ihrer historischen Entwicklung (Kap. 2) an anschaulichen Beispielen nachzuzeichnen. Im dritten Kapitel werden allgemein „Grundlegende Begriffsbestimmungen“ vorgenommen und dabei bereits auch zentrale Voraussetzungen, Ansprüche und Kennzeichen pädagogischer Professionalisierung definiert. Für viele Leser*innen von besonderem Interesse ist sicherlich das Kapitel 4, in welchem ein differenzierter Überblick über unterschiedliche „Professionstheoretische Ansätze“ geboten wird. Zehn unterschiedliche Ansätze werden vorgestellt, zueinander ins Verhältnis gesetzt und kritisch bewertet: „Der Merkmalsansatz“, „Der strukturfunktionalistische Ansatz“, „Die machttheoretische Perspektive“, „Der wissenssoziologische Ansatz“, „Der Persönlichkeitsansatz“, „Das Experten-Kompetenzmodell“, „Die systemtheoretische Perspektive“, „Der symbolisch-interaktionistische Ansatz“, „Die strukturtheoretische Professionstheorie“ und „Die berufsbiographische Professionsperspektive“. Obwohl die Publikation hier explizit keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, hätte bei den erwähnten ausgeklammerten Zugängen auch auf die phänomenologisch orientierte Perspektive hingewiesen werden können, die im Professionalisierungsdiskurs vielfach noch übersehen wird. Stimmiges Fazit der zusammenfassenden Betrachtung des Autors ist, „dass keiner der Ansätze alle Bereiche und Ebenen dessen, was Profession und Professionalität umfasst, gleichermaßen umfassend betrachtet.“ (121) Es folgen drei nützliche Vergleichstabellen, die unterschiedliche Schwerpunktsetzungen der professionstheoretischen Ansätze hinsichtlich gesellschaftlicher, struktureller und persönlicher Dimensionsbereiche systematisch ausdifferenzieren.

Auf Grundlage des strukturtheoretischen Ansatzes werden in Kapitel 5 zentrale Bestimmungen pädagogischer Professionalität und professionellen pädagogischen Handelns dargelegt. Unterschiedliche Dimensionen, Bereiche und Grenzen von Wissen und Können in Wissenschaft und Praxis werden differenziert und an Beispielen verdeutlicht. Werner Helsper reflektiert professionelles Handeln in Struktur und Wirkung hinsichtlich Ungewissheit und Nichtmessbarkeit, Kategorisierung und Fallarbeit sowie organisationaler Eingebundenheit, Autonomie und sozialer Interaktionsbeziehungen. Ebenso beschreibt der Autor dezidiert und ausführlich Widersprüche, problematische Verstrickungen und Paradoxien bzw. strukturelle Antinomien im spezifischen Sachgebiet. In Kapitel 6 wird die als Kern professionellen Handelns definierte stellvertretende Krisenlösung ausführlich in den Blick genommen und in Bezug auf verschiedene Lebensalter typisiert und systematisch expliziert. Hervorzuheben sind hier wiederum die konkreten, an Auszügen empirischen Materials aufbereiteten (Fall-)Beispiele aus der Praxis.

Kapitel 7 beschäftigt sich mit „Neue[n] Entwicklungen im Feld pädagogischer Professionalität“. Vor dem Hintergrund historischer, gesellschaftlicher und struktureller Entwicklungen widmet sich Werner Helsper unter anderem der „Entgrenzung des Pädagogischen“ (251) und führt hybride berufliche Felder in ihren Zuständigkeitsfragen und Handlungsparadoxien vor Augen. In Hinblick auf zukünftige Entwicklungen ist insbesondere auf die Diskussion um die „Notwendigkeit der intra-, inter- oder auch multiprofessionellen Kooperation“ (260) zu verweisen, deren bisherige Umsetzung bzw. bedingungslose Umsetzbarkeit der Autor auch dezidiert kritisch betrachtet. So werden einer „eindimensionalen Kooperationseuphorie“ (264) beispielsweise die Gefährdung von Kollegialität bei zwangsverordneter Kooperation und enttäuschende Ergebnisse bei pragmatisch orientierten Kooperationsformaten entgegengestellt sowie Machthierarchien und Asymmetrieverhältnisse beleuchtet. Kapitel 8 beschäftigt sich mit verschiedenen Risikofaktoren der Deprofessionalisierung (pädagogisch) professionellen Handelns. Gleichermaßen bedenklich wie aktuell werden handlungsleitende ökonomische Prinzipien, neue organisationsbedingte Kontroll- und Steuerungsprozesse, zunehmende Einführung von Standards und Normsetzungen, digitalisierte Kommunikationsersatzformen sowie die Verletzung von Grenzen und machtförmige (sexuelle) Übergriffe problematisiert. Das Schlusskapitel (Kap. 9) gibt einen Ausblick auf die Zukunft von Profession und (De-)Professionalisierung. Im Zuge der Demontage des „klar abgegrenzten, eigenständigen, autonomen Typus der ‚freien‘ Berufe“ (358) und der Ausweitung und Diversifizierung professioneller Tätig- und Zuständigkeiten werden abschließend Relevanz und wachsender Bedarf nach Professionalität und Professionalisierung (im pädagogischen Feld) nachdrücklich deutlich gemacht.

Der gleichermaßen prominente wie fachlich versierte Autor widmet sich seinem Themenfeld übergreifend kritisch und mehrperspektivisch. Insbesondere ab dem 5. Kapitel folgt das Buch jedoch explizit der strukturtheoretischen Perspektive samt den hier verwendeten Fachtermini, deren Unverzichtbarkeit im Schlusskapitel insbesondere maßgebend hervorgehoben wird. Dennoch gelingt Werner Helsper mit seinem knapp vierhundert Seiten starkem Band eine umfassende, komplexe Zusammenschau und einführende Aufarbeitung des Themas mit Alleinstellungscharakter, die sich auch neben anderen Publikationen, wie z. B. dem anders ausgerichteten und mehr forschungsbasierten „Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung“ [1] zusätzlich behaupten dürfte.

[1] Cramer, C., König, J., Rothland, M., Blömeke, S. (Hrsg.). Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Bad Heilbrunn/Stuttgart: Julius Klinkhardt/UTB 2020.
Agnes Bube (Hannover)
Zur Zitierweise der Rezension:
Agnes Bube: Rezension von: Helsper, Werner: Professionalität und Professionalisierung pädagogischen Handelns: Eine Einführung. Opladen & Toronto: Verlag Barbara Budrich 2021. In: EWR 21 (2022), Nr. 1 (Veröffentlicht am 19.01.2022), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978382525460.html