
Die wesentliche Frage des Buches lautet, wie digitale Medien die pĂ€dagogische Beziehung beeinflussen. Es richtet sich insbesondere an pĂ€dagogische FachkrĂ€fte in Schulen und bietet wertvolle Einblicke in Auswirkungen digitaler Medien auf die Lehrkraft-SchĂŒler:innen-Interaktion im Lehr-Lern-Prozess. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen die Ergebnisse einer Beobachtungsstudie aus dem Forschungsprojekt PaedBez [1], die in Teilen mit den Befunden und dem methodischen Rahmen der Beobachtungsstudie INTAKT (ohne Fokus auf digital unterstĂŒtzte Lernprozesse) [2] verglichen werden, um Gemeinsamkeiten zu identifizieren. In der PaedBez-Studie (einschlieĂlich Unterrichtsprotokollen, die auf digital unterstĂŒtzten Lehr- und Lernprozessen in Schulkontexten basieren) lieferten die Beobachtenden persönliche Reflexionen und professionelle Kommentare, um ihr VerstĂ€ndnis der Interaktionen zu vertiefen. Neben der einfĂŒhrenden Theorie und empirischen Auseinandersetzung prĂ€sentiert das Buch auch praxisnahe Leitlinien fĂŒr die Gestaltung pĂ€dagogischer Beziehungen in digitalen Lernumgebungen.
Basierend auf Beobachtungen, die das Recht junger SchĂŒler:innen auf Anerkennung und Partizipation in der Schule in den Mittelpunkt stellen, wurden mittels einer qualitativ-quantitativen Inhaltsanalyse Bedingungen identifiziert, die erfolgreiche pĂ€dagogische Beziehungen fördern. Dabei wurden spezifische Szenen aus der komplexen schulischen RealitĂ€t analysiert, um zentrale Einflussfaktoren herauszuarbeiten. Die Autor:innen betonen, dass die Studie nicht den Anspruch erhebt, eine Wirkungsstudie zu sein. Sie zielt nicht darauf ab, kausale Beziehungen zwischen Variablen zu messen oder nachzuweisen. Vielmehr konzentriert sich die Studie auf das VerstĂ€ndnis und die Interpretation pĂ€dagogischer Beziehungen in digitalen Lernumgebungen, ohne den Nachweis zu fĂŒhren, dass digitale Medien direkt spezifische VerĂ€nderungen in der QualitĂ€t dieser Beziehungen bewirken. Die Ergebnisse beruhen auf einer umfassenden Analyse von Beobachtungen, die Interaktionen zwischen SchĂŒler:innen und LehrkrĂ€ften sowohl im schulischen Alltag als auch in medienpĂ€dagogischen Kontexten abbilden. In diesem Zusammenhang wird MedienpĂ€dagogik als interdisziplinĂ€res Forschungs- und Handlungsfeld verstanden, das sich unter anderem mit der Rolle von Medien in Bildungsprozessen auseinandersetzt und die Bedingungen untersucht, âunter denen digitale Medien zur Förderung von Lernprozessen eingesetzt werden könnenâ (10).
Der Band diskutiert zunĂ€chst die Herausforderungen und Perspektiven pĂ€dagogischer Beziehungen in der Schule und bettet diese Diskussion in den medienpĂ€dagogischen Diskurs ein (Kapitel 1). AnschlieĂend wird der Zusammenhang zwischen pĂ€dagogischen Beziehungen und Menschenrechten, insbesondere der allgemeinen ErklĂ€rung der Menschenrechte und der Kinderrechtskonvention, untersucht (Kapitel 2). Die Methodik der Beobachtungsstudie sowie die wichtigsten Ergebnisse zu pĂ€dagogischen Beziehungen in digital unterstĂŒtzten Bildungsprozessen werden vorgestellt, einschlieĂlich quantitativer Trends (Kapitel 3) und qualitativer Analysen (Kapitel 4). Die Methodik wird dabei ausfĂŒhrlich beschrieben und durch Abbildungen und Tabellen, die die in der Studie verwendeten Methoden und Instrumente veranschaulichen, gut unterstĂŒtzt. Methodische Details und Daten sind aus GrĂŒnden der Transparenz auch in den AnhĂ€ngen zu finden. Die quantitativen Ergebnisse werden anschlieĂend diskutiert, gefolgt von den qualitativen Ergebnissen, wobei die Diskussion in den Kontext der Menschenrechte eingebettet wird, was eine wertvolle Perspektive darstellt. Diese qualitativen Analysen untersuchen Lehrmethoden, digitale Materialien und verschiedene InteraktionsqualitĂ€ten â ob anerkennend, schĂ€digend oder ambivalent â und ermöglichen so ein tieferes VerstĂ€ndnis der Lehrkraft-SchĂŒler:innen-Dynamik. Die Ergebnisse zeigen, wie verschiedene digitale Medien genutzt werden und welche Reaktionen und Auswirkungen diese Nutzung hat. Die Studie schlieĂt mit praktischen Leitlinien zur Förderung positiver pĂ€dagogischer Beziehungen in digitalen Lernumgebungen (Kapitel 5) ab. Das Buch ĂŒberzeugt durch eine klare Struktur, in der die Kapitel aufeinander aufbauen und empirische Befunde sowie praxisorientierte Leitlinien sinnvoll miteinander verknĂŒpft sind.
In der Studie zeigt sich, dass digitale Medien zunehmend in den Unterricht integriert werden. Dabei können LehrkrĂ€fte und SchĂŒler:innen diese in den Schulen nutzen, ohne ihre persönlichen Beziehungen zu vernachlĂ€ssigen, wenn sie deren Auswirkungen verstehen und verantwortungsbewusst damit umgehen. Eine unreflektierte Verwendung der digitalen Medien kann laut den Autor:innen hingegen zu einer Verringerung der pĂ€dagogischen Beziehungen fĂŒhren. Lernmanagement-Systeme (LMS) und Online-Kommunikationsplattformen, die die Interaktion zwischen LehrkrĂ€ften und SchĂŒler:innen erleichtern und die Zusammenarbeit im Klassenzimmer fördern können, können Beispiele fĂŒr den effektiven Einsatz digitaler Medien in der Schule sein. Wenn LehrkrĂ€fte in diesem Bereich gut ausgebildet und befĂ€higt sind, können sie digitale Medien als Werkzeuge nutzen, um individualisierte Lernumgebungen zu schaffen und die Kommunikation zu verbessern. Dies könnte durch praktische Schulungen gefördert werden.
WĂ€hrend das Buch einige ĂŒberzeugende Ergebnisse prĂ€sentiert, hĂ€tte es von einer vertieften Auseinandersetzung mit zugrundeliegenden Theorien und grundlegenden Konzepten zusĂ€tzlich profitiert. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Smartphones scheinen die pĂ€dagogische Beziehung eher negativ als positiv zu beeinflussen (75). Die Autor:innen stellen fest, dass die Lehrperson den SchĂŒler:innen Vertrauen entgegenbringt, indem sie ihnen die Nutzung von Smartphones zu Lernzwecken erlaubt. Dieser Akt des Vertrauens kann sich positiv auf die pĂ€dagogische Beziehung auswirken, indem er das Verantwortungsbewusstsein und die SelbststĂ€ndigkeit der SchĂŒler:innen fördert. In der Diskussion wird jedoch auch ein ambivalentes Element eingefĂŒhrt, das darauf hinweist, dass dieses Vertrauen zwar die Beziehung verbessern kann, aber auch die Gefahr besteht, dass SchĂŒler:innen das Smartphone fĂŒr andere Zwecke missbrauchen könnten. FĂŒr die Leser:innen wĂ€re hier eine fundierte Auseinandersetzung mit Theorien hilfreich, um zugrunde liegende Mechanismen besser zu verstehen. Relevante Referenzen zu dieser Diskussion wĂ€ren unter anderem Ansari et al. (2017) [3], Siebert (2019) [4] und Sahlström et al. (2019) [5].
Im letzten Kapitel des Buches sind die praktischen Richtlinien zur Förderung positiver pĂ€dagogischer Beziehungen in digitalen Lernumgebungen besonders interessant. Die Autor:innen plĂ€dieren fĂŒr den Einsatz digitaler Medien in der Schule. Allerdings mĂŒssen Lehrer:innen und SchĂŒler:innen lernen, diese verantwortungsvoll zu nutzen. Wenn sie dies tun, können Vertrauen, Offenheit und eine unterstĂŒtzende persönliche sowie digitale Lernumgebung kultiviert werden. Wie dies erreicht werden kann, wird in der Tabelle âHandlungsempfehlungen fĂŒr pĂ€dagogische FachkrĂ€fteâ (142-143) beschrieben. Diese Empfehlungen sind sehr praktisch und hilfreich fĂŒr das Thema. Es wĂ€re interessant zu sehen, wie effektiv und gĂŒltig sie nach der Umsetzung und ĂberprĂŒfung sind.
Zusammenfassend lÀsst sich festhalten, dass das Buch einen wertvollen Beitrag zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema leistet und neue Erkenntnisse liefert. Besonders hervorzuheben ist die prÀgnante Darstellung der praktischen Implikationen.
[1] PaedBez. (2024). PaedBez â PĂ€dagogische Beziehungen in digital unterstĂŒtzten Bildungsprozessen. BMBF-gefördertes Forschungsprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Christin Tellisch und Prof. Dr. Daniela SchlĂŒtz von 2020 bis 2024 [unveröffentlichter Datensatz] (Version 2023) [Beobachtungsprotokolle]. https://digi-ebf.de/PaedBez [01.04.2025].
[2] INTAKT. (2016). Projektnetz INTAKT â Soziale Interaktionen in pĂ€dagogischen Arbeitsfeldern. Projektleitung Prof. Dr. Annedore Prengel (Online-Fallarchiv SchulpĂ€dagogik) [Beobachtungsprotokolle]. Online-Fallarchiv UniversitĂ€t Kassel. https://fallarchiv.uni-kassel.de/projektdaten-INTAKT/INTAKTinformationen/ [01.04.2025].
[3] Anshari, M., Almunawar, M. N., Shahrill, M., Wicaksono, D. K., & Huda, M. (2017). Smartphones usage in the classrooms: Learning aid or interference? Education and Information technologies, 22, 3063-3079.
[4] Siebert, M. D. (2019). The Silent classroom: The Impact of smartphones and a social studies teacher's response. The Social Studies, 110(3), 122-130.
[5] Sahlström, F., Tanner, M., & Olin-Scheller, C. (2019). Smartphones in classrooms: Reading, writing and talking in rapidly changing educational spaces. Learning, Culture and Social Interaction, 22, 311-331.