Die erziehungswissenschaftliche Beschäftigung mit Familie und Eltern erfreut sich derzeit einiger Beliebtheit. Ohne detailliert auf die Gründe dafür einzugehen, lässt sich zumindest eine gewisse Zeitgleichheit mit der öffentlich-politischen PISA-Rezeption und anderer Ergebnisse der (inter-)nationalen Bildungsberichterstattung der vergangenen zwei Jahrzehnte konstatieren, welche wiederum auf die (Wieder-)Entdeckung der familiären Bildungsbedeutsamkeit für Heranwachsende verweisen. Insbesondere Eltern sollen – das ist zwar alles andere als neu, scheint aber gerade so – für die Bildungslaufbahnen der Kinder entscheidend sein. Zudem werden sie als zumindest Mitverantwortliche für die andauernde Reproduktion von (Bildungs-)Ungleichheit ausgemacht.
Angesichts einer solch alt bekannten Einsicht erstaunt es kaum, dass die Ansatzpunkte im Kampf gegen (Bildungs-)Ungleichheit und für mehr Chancengerechtigkeit noch immer bei der Familie gesucht werden. Der gegenwärtige Blick richtet sich gerne auf die Schnittstelle von Familie und Bildungsinstitutionen, also auf das Verhältnis von Eltern und Fachkräften bzw. Lehrpersonen. Dieses wird unterschiedlich bezeichnet, u.a. als Elternmitwirkung, Partizipation, Elternarbeit, Zusammenarbeit oder Partnerschaft. Das hier rezensierte Werk nimmt die letzten beiden Begriffe in Titel und Untertitel auf, freilich nicht ohne ihnen mit einer gewissen Skepsis zu begegnen. Diese richtet sich insbesondere auf das Postulat bzw. den Glauben daran, Eltern und pädagogisches Personal sollten und könnten sich auf „Augenhöhe“ begegnen.
Die Publikation widmet sich der Frage, wie die Schnittstelle zwischen Familie und Bildungsinstitution gestaltet wird und werden soll und welche Konsequenzen sich daraus für die Bildungschancen von Kindern ergeben. Ziel ist, die Diskussion in Deutschland, die die Autorinnen als programmatisch und wenig empirisch fundiert bemängeln, auf eine solide Grundlage zu stellen. Und man kann wahrhaft nicht behaupten, auf dieses Ziel hätten sie nicht konsequent hingearbeitet: Die Studie basiert auf einer großen Fülle an Untersuchungsmaterialien und -ergebnissen, welche sorgfältig zusammengetragen, analysiert und dokumentiert wurden.
Nach einem Einstiegsteil wird in Kapitel 2 das Ausgangsproblem aufgeworfen, nämlich die bildungsbezogene (Un-)Gleichheit/Gerechtigkeit, sowie der theoretische Rahmen der Untersuchung dargestellt. Die Autorinnen stützen sich einerseits bei der Konzeption von sozialer Ungleichheit auf die bewährten Bourdieu‘schen Grundlagen, andererseits bringen sie mit der generationalen Ungleichheit eine kindheitstheoretische Komponente ins Spiel. Das kurze Kapitel 3 widmet sich der Entstehung von Bildungsungleichheit sowie der damit zusammenhängenden „Entschlüsselung multikausaler Zusammenhänge“ (37).
In Kapitel 4 werden zuerst die rechtlichen Grundlagen in Deutschland hinsichtlich Zusammenarbeit/Partnerschaft von Familien und Bildungsinstitutionen beleuchtet, anschließend die Bildungs- und Erziehungspläne der 16 Bundesländer sowie einschlägige Publikationen in Praxis-Fachzeitschriften vorgestellt. Es zeigt sich, dass in den Rechtsdokumenten zwar das Verhältnis zwischen Eltern und Bildungsinstitutionen formal geregelt ist, dass aber bei den Fachbegriffen keine definitorische Klarheit herrscht. Auch bei den Bildungs- und Erziehungsplänen sind zahlreiche Widersprüche und Ambivalenzen zu verzeichnen; so wird beispielsweise Partizipation von Kindern allgemein postuliert, aber nicht konkretisiert – die Autorinnen sprechen von „Worthülsen“ (149). In den Fachpublikationen zeigt sich, dass Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Verweis auf ihre wissenschaftlich erwiesene Wirksamkeit sehr positiv dargestellt werden und mit entsprechenden Heilsversprechen einhergehen.
Mit dem ausführlichen Kapitel 5 beabsichtigen die Autorinnen, zur Beseitigung der aufgeworfenen Unklarheiten ebenso beizutragen wie den Forschungsstand zu ungleichheitsbezogenen Effekten von Zusammenarbeit/Partnerschaft breit zu ergründen. Dazu haben sie 124 internationale wissenschaftliche Publikationen plus 10 Metaanalysen und Literaturreviews zusammengetragen und ausgewertet. Die Haupterkenntnis ist: Viele Studien untersuchen die Auswirkungen von Zusammenarbeit/Partnerschaft auf Kinder und ihre Bildungschancen gar nicht; und bei denjenigen, die es tun, sind die Ergebnisse nicht konsistent. Beispielsweise macht es einen Unterschied, welche Aspekte von Zusammenarbeit/Partnerschaft einbezogen werden (z.B. Kommunikation bei Elterngesprächen, Erwartungen von Fachkräften, elterliche Bildungsaspirationen). Das empirische Fundament für die Aussage, dass sich ein verbessertes Verhältnis von Eltern und Schule/Kita positiv auf den Bildungsverlauf der Kinder auswirkt, stellt sich folglich als ausgesprochen dünn heraus.
Kapitel 6 widmet sich der Stellung von Kindern. Diese spielen – so der Befund – weder in den Rechtsdokumenten, Bildungsplänen und Fachpublikationen noch in den meisten wissenschaftlichen Studien eine bedeutende Rolle. Demgegenüber zeigen vereinzelte wissenschaftliche Befunde, dass Kinder empirisch gesehen sehr wohl eine aktive Rolle bei der Zusammenarbeit von Eltern und Bildungsinstitutionen spielen. Entsprechend plädieren die Autorinnen dafür, sie auf verschiedenen Ebenen stärker einzubeziehen. In den Kapiteln 7 und 8 werden schließlich Problem- und Handlungsfelder bestimmt sowie Forschungslücken und Perspektiven aufgezeigt.
Das Buch weist einige Besonderheiten der Gestaltung auf; beispielsweise enthält es grau hinterlegte Methoden- und Exkursseiten sowie zahlreiche eigens angefertigte Cartoons, die das Geschriebene pointiert illustrieren. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass neben dem 243-seitigen Hauptexemplar eine separate 36-seitige Zusammenfassung für Eilige hinzugefügt wurde. Inhaltlich handelt es sich um einen wichtigen und qualitativ hochstehenden wissenschaftlichen Beitrag, der nach der empirischen Grundlage des vermeintlichen Heilsversprechens der Partnerschaft/Zusammenarbeit fragt bzw. diese – wie die Ergebnisse zeigen: zurecht – infrage stellt. Die Highlights des Buches, das sich zugleich an Politik, (Fach-)Öffentlichkeit und Wissenschaft richtet, sind in den beiden Teilkapiteln zu sehen, welche die Begriffe parental involvement und partnership kritisch beleuchten und zahlreiche blinde Flecken der Forschung aufzeigen.
Kritisch anzumerken sind aus meiner Sicht – vielleicht abgesehen von der etwas gar ausgiebigen Selbstzitationspraxis – zwei Punkte. Die Analysen bleiben erstens stellenweise oberflächlich, was möglicherweise auch methodisch bedingt ist (Inhaltsanalyse). Die Darstellung von Studienbefunden bricht teilweise an interessanten Stellen ab, beispielsweise bei einer italienischen Untersuchung, die Ergebnisse aus dem Kita-Bereich mit solchen aus der Schule kontrastiert (95). Vertiefte Einblicke wären hier lohnenswert gewesen. Der zweite Punkt betrifft den Ertrag der Studie im Verhältnis zum geleisteten Einsatz. Das Ziel, mit umfangreicher Aufarbeitung der Forschungsliteratur die deutschsprachige Diskussion voranzubringen, ist sicher sinnvoll. Aber braucht es wirklich einen solchen Aufwand für die Erkenntnis, dass eine Partnerschaft auf Augenhöhe nicht realistisch ist? Lässt sich letztere angesichts des evidenten Macht-/Wissensgefälles zwischen Fachkräften/Lehrpersonen und Eltern nicht bereits a priori als funktionale Idealisierung erkennen? Es mag sein, dass sich die Orientierung an einer großen Anzahl von untersuchten Dokumenten und Studien erfolgreich in den politischen Willen nach evidenzbasierter Steuerung von Bildungsprozessen einzufügen vermag, das Ergebnis geht jedoch in diesem Punkt kaum über den Erkenntniswert von konzeptionellen Überlegungen hinaus.
Trotz dieser Kritikpunkte ist die Studie meines Erachtens insgesamt als relevanter und hochaktueller Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion um die Potenziale und Fallstricke des Verhältnisses von Eltern und Bildungsinstitutionen zu betrachten.
EWR 17 (2018), Nr. 2 (März/April)
Partner auf Augenhöhe?
Forschungsbefunde zur Zusammenarbeit von Familien, Kitas und Schulen mit Blick auf Bildungschancen
Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung 2017
(244 S.; ISBN 978-3-86793-789-4; 25,00 EUR)
Alex Knoll (Fribourg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Alex Knoll: Rezension von: Betz, Tanja / Bischoff, Stefanie / Eunicke, Nicoletta / Kayser, Laura B. / Zink, Katharina: Partner auf Augenhöhe?, Forschungsbefunde zur Zusammenarbeit von Familien, Kitas und Schulen mit Blick auf Bildungschancen. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung 2017. In: EWR 17 (2018), Nr. 2 (Veröffentlicht am 09.05.2018), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978386793789.html
Alex Knoll: Rezension von: Betz, Tanja / Bischoff, Stefanie / Eunicke, Nicoletta / Kayser, Laura B. / Zink, Katharina: Partner auf Augenhöhe?, Forschungsbefunde zur Zusammenarbeit von Familien, Kitas und Schulen mit Blick auf Bildungschancen. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung 2017. In: EWR 17 (2018), Nr. 2 (Veröffentlicht am 09.05.2018), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978386793789.html