
Wer sich auf die Lektüre einlässt, dem eröffnen insbesondere die Briefe von und an Eschen auf lebendige Weise einen Zugang in das Leben des jungen und vielseitig interessierten, hochtalentierten Intellektuellen sowie über die „universal-kosmopolitischen Ansprüche[n] bzw. Praxen“ (46) des Zeitalters der Aufklärung.
Das erste Kapitel widmet sich „Kindheit und Jugend im Ereignisraum ‘Eutiner Aufbruch’ (1776-1796)“ (67). Als wesentliche Sozialisations, Erziehungs- und Bildungseinflüsse Eschens portraitiert der Autor das lokalspezifische Umfeld der Residenz Eutin um 1800 sowie sein familiär-soziales Milieu. Ausgehend von Ulrich Herrmanns Annahme, dass „Lebensgeschichte“ anhand der „Lesergeschichte“ (161) nachvollziehbar wird, analysiert Wortmann die neben juristischen, auch philosophische, pädagogische, literarisch-belletristische und (alt-)philologische Werke umfassende Büchersammlung des Vaters Jacob Hugo Eschen (1745-1814), einem angesehenen Juristen und Freimaurer, im Blick auf ihren möglichen Einfluss auf die Entwicklung des Sohnes. Eine zentrale Persönlichkeit für Eschens gesamte Bildungsbiografie ist der Homer-Übersetzer Johann Heinrich Voß (1751-1826), dem es gelang, ein breites Bildungsnetzwerk aufzubauen und wichtige Persönlichkeiten nach Eutin einzuladen.
Die Darstellung der geselligen Lokalkultur am Beispiel des „Eutiner Voßkreises“ (212) gibt einen lebendigen Einblick in die Praxis aufgeklärter bürgerlicher Öffentlichkeit und zeichnet die Aus- und Einwirkungen der vossischen „Schule“ (36) auf Eschen differenziert nach. Eine weitere wichtige Institution ist die „Eutiner Lateinschule“, die Eschen unter dem neuhumanistisch orientierten Rektor Johann Heinrich Voß besuchte und deren Chronik hier in institutioneller, personaler und curricularer Perspektive nachgezeichnet wird. Über das biografische Interesse an Eschen hinaus, ist dies ein informativer Beitrag zur Institutions- und Professionsgeschichte des gelehrten Schulwesens, der auch in hochaktueller Perspektive vor Augen führt, dass Reformen in Schule nur durch den engagierten Gestaltungswillen einzelner VordenkerInnen möglich sind.
Als „Student und Freier Mann im Ereignisraum ,Jenaer Aufbruch‘ (1796 -1798)“ (387) eröffnen sich für Eschen, der ab 1797 erfolgreiche und in der Zunft akzeptierte Übersetzungen aus dem Griechischen und Lateinischen sowie eigene Dichtungen publizierte, wichtige Kontakte zur „Lokalen Wissenschaftskultur“ (402) rund um die Universität Jena. So wird er auf Vorschlag seines Freundes Johann Friedrich Herbart (1776-1841) Mitglied der „Freien Männer“, einer von Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) gegründeten republikanisch-literarischen Sozietät. Aus diesem Kreis heraus entstehen weitere äußerst produktive Freundschaften, so zum Beispiel zu Theodor Ziemssen (1777-1843) und es beginnt eine intensive Beschäftigung mit der idealistischen Philosophie Fichtes und Kants. In Jena wird zu dieser Zeit, angestoßen durch Kantianer wie zum Beispiel Carl Christian Erhard Schmid (1761-1812), das Verhältnis von Kantischer Transzendentalphilosophie und der Möglichkeit sittlicher Erziehung im Blick auf die Antinomie von pädagogischer Determination und transzendentaler Freiheit intensiv diskutiert. Überlegungen für eine wissenschaftliche Pädagogik, die kein untergeordneter Anhang von Psychologie und Philosophie mehr ist, sondern eine eigenständige Wissenschaft, konstituieren sich hier und werden nachfolgend von Herbart systematisch weitergeführt, so dass er heute als Begründer der wissenschaftlichen Pädagogik gilt. Der rege wissenschaftliche Diskurs unter den Studenten wird von Wortmann anschaulich dokumentiert.
1798 macht sich Eschen zu Fuß von Jena durch die erst wenige Wochen alte Helvetische Republik auf nach Bern, wo er – wie sein Freund Herbart- eine erste Stelle als Hauslehrer annimmt. Der in Jena aufgenommene lebhafte Diskurs unter den „Freien Männern“ zum Problem der sittlichen Erziehung wird hier weitergeführt und Wortmann stellt die These auf, dass Eschen ein „frühes Ästhetik-Konzept von Erziehung und Bildsamkeit“ (9) maßgeblich mitbeeinflusst hat und damit an der Entwicklung der Urform des „Erziehenden Unterrichts“ mitbeteiligt ist. Der Autor weist Eschen damit eine bedeutende Rolle unter den Pädagogen des 18. Jahrhunderts zu.
In der Schweiz macht Eschen gemeinsam mit seinem Freund Ziemssen auch die Bekanntschaft mit Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827), der auf viele seiner Zeitgenossen eine inspirierende und begeisternde Wirkung ausübt. Am 7. August 1800 endet der Versuch den Mont Buet zu bezwingen für den wanderlustigen Eschen tödlich und sein Leben endet plötzlich mit nur 24 Jahren.
Fest steht, die Beschäftigung mit dieser Biografie braucht Zeit, die Bereitschaft zur Vertiefung und die Muße sich, vielleicht in der einen oder anderen Quelle, zu verlieren. Wer all dies mitbringt, wird reich belohnt und erhält einen einzigartigen Einblick in das Leben, die Persönlichkeit und die Gedankenwelt eines hochgebildeten, im Leben wie in der Wissenschaft vielseitig interessierten, geachteten und äußerst produktiven jungen Mannes des „Pädagogischen Jahrhunderts“.